Die Predigt im Wortlaut:
Als „Bachgau-Dom“ betitelte das Main-Echo in einer groß gedruckten Überschrift die imposante Kirche, deren Weihetag wir begehen. Dom meint eine Kirche mit herausragender Bedeutung. Das ethymologische Lexikon verweist darauf, dass der Dom – ganz einfach mit „Haus“ übersetzt – auf einen Herrschaftsbereich hinweist, der durch den Dom deutlich gemacht wird. Zum anderen gilt es zu bedenken, dass unser Wort Dom eine Abkürzung ist für „domus dei“, also „Haus Gottes“, und erinnert damit an den Wirkungsbereich Gottes.
Wenn wir nun bedenken, dass an dieser Stelle ein erster Kirchbau zumindest schon für das Jahr 1340 nachgewiesen ist und eine zweite Kirche 1773/74 gebaut wurde, dann wird deutlich, dass die Menschen an diesem Ort Gott eine herausragende Bedeutung für ihr Leben und ihr Zusammenleben eingeräumt haben. Das gilt auch für den Bau dieser Kirche, deren Rohbau noch kurz vor Ausbruch des Ersten Weltkrieges fertiggestellt werden konnte. Während des Krieges wurden unter vielen persönlichen Opfern der Innenausbau und die Einrichtung ergänzt. Doch mit der Weihe hat man gewartet, bis der letzte Pflaumheimer Kriegsgefangene zurückgekehrt war. Und so war es dann am 12. Oktober 1920 endlich so weit.
Unmittelbar nach dem Krieg, in einer Zeit der Trauer, Enttäuschung, Niedergeschlagenheit und Aussichtslosigkeit wurde mit der Kirche ein unübersehbares Zeichen für Gott gesetzt.
Dass die Pflaumheimer schon sehr früh ihre Kirche der hl. Luzia weihten, ist zugleich Programm, denn der Überlieferung nach folgte Luzia, die an der Wende vom dritten zum vierten Jahrhundert lebte – in einer Zeit, in der die Christen verfolgt wurden – nicht dem Plan ihrer Eltern zu einer Heirat, sondern gründete mit ihrem Vermögen eine Armen- und Krankenstation. Es wird berichtet, dass Luzia ihren Glaubensgeschwistern Lebensmittel in die Verstecke brachte. Damit sie beide Hände frei hatte zum Tragen der Speisen, setzte sie sich einen Lichterkranz aufs Haupt, um in der Dunkelheit den Weg zu finden.
Der „Bachgau-Dom“ ist mit seiner Geschichte auch für uns heute unübersehbare Botschaft, und der Turm mit seiner markanten Kuppel, der als Wahrzeichen von Pflaumheim gilt, sollte nicht nur einen städtebaulichen Akzent bilden, vielmehr wie ein Leuchtturm auf den richtigen Weg hinweisen.
Deswegen erachte ich es als einen Wink des Himmels, dass die Leseordnung der Kirche für diesen Sonntag genau die biblischen Botschaften vorsieht, die wir in der Lesung und als Evangelium gehört haben.
Der Prophet Jesaja erinnert sein Volk in seiner Niedergeschlagenheit und Hoffnungslosigkeit, dass Gott Trauer, Unsicherheit und Aussichtslosigkeit nehmen und ihnen eine lebenswerte Zukunft schenken wird. Mehr noch, er führt die Menschen zusammen. Deshalb werden sie sagen können: „…das ist unser Gott, auf ihn haben wir gehofft, dass er uns rettet. Das ist unser Herr ... Wir wollen jubeln und uns freuen über seine rettende Tat.“
Damit sind wir bei der Bedeutung, die das Weihejubiläum hat und die durch uns in unseren Tagen von den Menschen um uns herum wahrgenommen werden soll. Denn nicht nur Corona erweist sich als unberechenbares Risiko für den Einzelnen wie das Miteinander der Menschen. Wir erleben, wie schnell die kurzzeitig praktizierte Solidarität wieder abgeebbt ist und wie Vorsichtsmaßnahmen, um die Ausbreitung einzudämmen, bei Demonstrationen von Zehntausenden bestritten werden. Aggressivität und Gewalttätigkeit greifen nicht nur in diesem Zusammenhang um sich.
Sorgen bereitet die immer weiter auseinandergehende Schere zwischen Leuten, die sich alles leisten können und denen, die jeden Cent umdrehen müssen, bevor sie ihn ausgeben.
Durch Corona erkennen wir, dass wir nicht auf einer Insel der Glückseligen leben, sondern unser Schicksal verbunden ist mit dem Schicksal der Menschen in anderen Ländern und Kontinenten.
Das Leben in unseren Tagen ist zudem überschattet von den Spannungen zwischen den Großmächten. Wir haben uns längst daran gewöhnt, dass uns nur noch eine Zeit lang von ausgebrochenen Kriegen in vielen Ländern der Erde berichtet wird und vergessen, dass unzählige Menschen, auch wenn das für die Medien und ihre Berichterstattung nicht mehr interessant ist, Tag für Tag unter Krieg, Terror und damit auch unter Hunger leiden.
Es ist deshalb für uns von großer Bedeutung, dass vor einer Woche Papst Franziskus in Assisi seine Enzyklika veröffentlicht hat mit dem bemerkenswerten Titel „Fratelli tutti“, mit dem er alle Brüder und Schwestern, also alle Menschen guten Willens anspricht.
Der Papst legt damit die Finger in die offenen Wunden unserer Zeit. Er spricht die Spaltungen in der Menschheitsfamilie an: Von Neuem erscheint „die Versuchung, eine Kultur der Mauern zu errichten, Mauern hochzuziehen, Mauern im Herzen, Mauern auf der Erde, um diese Begegnung mit anderen Kulturen, mit anderen Menschen zu verhindern. Und wer eine Mauer errichtet, wer eine Mauer baut, wird am Ende zum Sklaven innerhalb der Mauern, die er errichtet hat, ohne Horizonte. Weil ihm dieses Anderssein fehlt“ (27).
Für manche ist es heute sogar politische Botschaft, Grenzen zu ziehen, anstatt daran mitzuwirken, dass Menschen in allen Teilen der Welt leben und sich entfalten können. Franziskus schreibt dazu: „Ideal wäre es, wenn unnötige Migration vermieden werden könnte, und das kann erreicht werden, indem man in den Herkunftsländern die Bedingungen für ein Leben in Würde und Wachstum schafft, so dass jeder die Chance auf eine ganzheitliche Entwicklung hat“ (129).
Doch dagegen beklagt der Papst in „Fratelli tutti“: „In der gegenwärtigen Welt nimmt das Zugehörigkeitsgefühl zu der einen Menschheit ab, während der Traum, gemeinsam Gerechtigkeit und Frieden aufzubauen, wie eine Utopie anderer Zeiten erscheint. Wir erleben, wie eine bequeme, kalte und weit verbreitete Gleichgültigkeit vorherrscht, Tochter einer tiefen Ernüchterung, die sich hinter einer trügerischen Illusion verbirgt, nämlich zu glauben, dass wir allmächtig sind, und zu vergessen, dass wir alle im gleichen Boot sitzen“ (30).
Die Welt, unsere Gesellschaft braucht mehr als kurzweilige Unterhaltung, sie braucht Orientierung und Begleitung, damit wir zueinander finden und gemeinsam ein friedvolles Miteinander gestalten: „Der Individualismus macht uns nicht freier, gleicher oder brüderlicher. Die bloße Summe von Einzelinteressen ist nicht in der Lage, eine bessere Welt für die gesamte Menschheit zu schaffen. Sie kann uns auch nicht vor so vielen immer globaler auftretenden Übeln bewahren. Aber radikaler Individualismus ist das am schwersten zu besiegende Virus. Er ist hinterhältig. Er lässt uns glauben, dass alles darauf ankommt, unseren eigenen Ambitionen freien Lauf zu lassen, als ob wir durch Akkumulation individueller Ambitionen und Sicherheiten das Gemeinwohl aufbauen könnten“ (105).
Deshalb, so der Papst: „Jede Gesellschaft muss für die Weitergabe von Werten sorgen, denn wenn dies ausbleibt, werden Egoismus, Gewalt und Korruption in ihren verschiedenen Formen sowie Gleichgültigkeit verbreitet, ein Leben letztlich, das jeder Transzendenz verschlossen ist und sich in individuellen Interessen verschanzt“ (113).
Wir brauchen heute keine neue Kirche zu bauen wie unsere Vorfahren, aber wir sind berufen, glaubwürdige Zeichen zu setzen, um überzeugend die Wegweisung Gottes in Wort und Tat zu verkünden – ganz im Sinne der hl. Luzia, die dunkle Wege erhellte, um Menschen ganz konkret zu helfen. Deshalb noch ein Blick auf das heutige Evangelium: Es wendet sich nicht gegen die Erfüllung irdischer Pflichten, sondern gibt uns einen bedenkenswerten Hinweis, es macht uns aufmerksam, Prioritäten zu setzen. Wir müssen wissen, was uns im Leben wichtig ist.
Ursprünglich hat Jesus dieses Gleichnis wohl erzählt im Blick auf die in seiner Zeit führenden Kreise, die sich seinem Evangelium und dem Ruf Gottes, der darin enthalten ist, verschlossen hatten im Gegensatz zu den Armen, Verachteten und sogar Sündern, die bei Jesus und in seiner Botschaft neue Hoffnung schöpften. Der Evangelist Matthäus greift dieses Wort Jesu auf und gibt es an seine Gemeinde weiter in einer Zeit, in der die Menschen die Zerstörung und den Untergang Jerusalems erlebt hatten. Ihre Stadt lag in Schutt und Asche. Für den Evangelisten war dies die Konsequenz aus ihrem im Grunde gottlosen Verhalten.
Denn wo Geld und materielles Vermögen als höchstes Gut angesehen werden, greifen Egoismus und unsolidarisches Verhalten um sich. Wenn ich nämlich mein Leben, meinen Selbstwert nur vom Haben her definiere, dann geht es in allem und bei allem darum, viel, mehr, am meisten zu haben – um jeden Preis.
Aber jede Krise hat ihre Chance. Der Evangelist Matthäus hat gerade in schwieriger Zeit sehr bewusst die Einladung Gottes verkündet und weitergegeben. Genau das ist auch unsere Aufgabe als Christen, als Kirche heute: uns nicht verstecken, wie es Heribert Prantl in einem Kommentar in der Süddeutschen Zeitung kritisierte, als er schrieb: „Die Kirche hat sich in Corona-Zeiten mehr an den Hygienevorschriften als an der Bibel abgearbeitet!“ Ebenso dürfen wir uns nicht mundtot machen lassen, sondern sollen die Menschen unserer Tage vor dem Abgrund bewahren und in ihnen das Vertrauen in Gott und ins Leben wecken.
Weil wir als Kirche – gerade in Deutschland – derzeit aber mehr mit uns selbst, unseren Strukturen beschäftigt sind und Strategien zu entwickeln versuchen, um die Menschen zu erreichen, anstatt uns einfach um die Menschen pastoral und sozial anzunehmen; auch unter erschwerten Bedingungen sollte uns zu denken geben, was der Papst schreibt: „Paradoxerweise können manchmal diejenigen, die sich für ungläubig halten, den Willen Gottes besser erfüllen als die Glaubenden“ (74).
Das heutige Jubiläum kann uns deshalb erneut bewusst machen, dass wir als Christen gerufen und gesendet sind, Menschen persönlich zu begegnen und sie miteinander zu verbinden. Communio heißt Gemeinschaft, erlebte und erfahrene also praktizierte Gemeinschaft! Deshalb mahnt der Papst: „Die digitale Vernetzung genügt nicht, um Brücken zu bauen; sie ist nicht in der Lage, die Menschheit zu vereinen“ (43).
Im Gleichnis des Evangeliums geht es nicht nur um die Einladung zum Gottesdienst, es geht vielmehr um die vielen Einladungen Gottes, um dem Leben Sinn, Tiefe und Ziel zu geben.
Der „Bachgau-Dom“ ist hierfür wie ein Fingerzeig! Er möge uns Christen an unsere Sendung erinnern und den Menschen um uns herum zeigen, dass wir aus einer Botschaft leben, die Leben und Zukunft verheißt.
Domkapitular Clemens Bieber
www.caritas-wuerzburg.de
Text zur Besinnung
SIEH AN
Du musst es auf der Zunge
zergehen lassen
das neue Zauberwort:
Gemeinde!
Sieh an, da kommt also
mitten in der Großstadt
die gute alte Dorfpastoral
von vorgestern wieder:
Die heile Welt,
wo jeder jeden kennt,
wo jeder irgendwo
organisiert ist, wo sich
keiner entziehen kann,
wo wir
wie eine einzige Familie
alle zueinander
gemeinsam gemein sind
so recht miteinander.
Aber das ist wohl
aufs Ganze gesehen
einfach menschlich.
(Lothar Zenetti)