„Der massive Mangel an bezahlbarem Wohnraum und die damit einhergehenden negativen Begleiterscheinungen stellen eines der drängendsten Probleme unserer Zeit dar.“ In dieser Feststellung und der Anzeige hohen Handlungsbedarfs sind sich die Geschäftsführerinnen und Geschäftsführer der neun unterfränkischen Orts- und Kreiscaritasverbände einig. Zugleich bestünden zwischen urban und ländlich geprägten Regionen Unterschiede und spezifische Herausforderungen.
„Wir sehen mit großem Wohlwollen die Bemühungen in der Stadt Würzburg, dem wachsenden Bedarf an bezahlbarem Wohnraum gerecht zu werden“, äußert sich Stefan Weber, Geschäftsführer des Orts- und Kreiscaritasverbandes Würzburg. Doch stünden dem guten Willen oftmals umfangreiche Auflagen im Wege. „Wer bauen will und dabei sogar den sozialen Aspekt im Blick hat, darf nicht durch überbordende Vorschriften ausgebremst werden.“ Weber appelliert zugleich an die Vermieter, nicht nur den Gewinn im Blick zu haben. „Die Mieten sind in den zurückliegenden zehn Jahren um 57 Prozent gestiegen“, stellt Weber fest und betont: „Dass das für einige zum Problem wird, sehen wir in der Bahnhofsmission, der Wärmestube und anderen sozialen Angeboten, die hohen Zulauf haben.“
Tendenzen zur Segregation machen die Geschäftsführer in den Landkreisen Aschaffenburg und Miltenberg aus. „Das Thema Verdrängung ist am Untermain inzwischen ein Dauerbrenner“, sagt Heinrich Almritter, Geschäftsführer der Caritas in Miltenberg, und führt aus: „Während Wohnen in der Stadt immer kostspieliger wird, haben wir auf dem Land Leerstand zu beklagen. Dieser wird nun zunehmend von Menschen in prekären Lebenslagen genutzt“, so Almritter. Das Problem bestehe in einer zunehmenden Schieflage der Sozialstruktur: „Die Reichen leben in der Stadt, die Armen auf dem Land.“
Ähnliches konstatiert die Geschäftsführerin der Caritas im Landkreis Rhön-Grabfeld, Angelika Ochs. „Bezahlbare Mehrzimmerwohnungen zu finden, ist in der ländlichen Region im Norden des Freistaates kein Problem“, so Ochs. Allerdings fehle es an kleinen Wohnungen in der Nähe von Versorgungseinrichtungen wir Ärzten, Apotheken und Supermärkten und damit an nötiger Infrastruktur. „Wer aufs Land zieht, weil dort die Miete günstig ist, braucht zwingend ein Auto, denn Einkaufsmöglichkeiten und Busverbindungen sind inzwischen vielerorts Mangelware.“ Einziger Anlaufpunkt seien noch die Kindergärten der Caritas oder die Sozialstation. Die von der Verfassung her gebotene Schaffung gleicher Lebensbedingungen in Stadt und Land sei weiterhin eine große Aufgabe.
Die Unterschiede zwischen Stadt und Land werden auch im Landkreis Main-Spessart sichtbar. „In einigen Städten tut sich etwas in Sachen Wohnungsbau; in anderen herrscht seit Jahren Stillstand“, lässt Geschäftsführerin Gabriele Kimmel wissen. Auf dem Land gebe es dann die zusätzlichen Probleme fehlender Verkehrsanbindung und Versorgungsstruktur im Nahraum.
„In der Stadt Schweinfurt gibt es auf dem Wohnungsmarkt genügend Wohnungen für die übliche Klientel einer Industriestadt wie Ingenieure, gutverdienende Facharbeiter etc. Die typischen Klienten der Caritas finden jedoch nicht genügend bezahlbaren Wohnraum“, stellt Geschäftsführerin Jutta Münch fest. Hier bestehe die Gefahr, dass der soziale Friede durch Sozialneid gestört werde. Im Landkreis Schweinfurt seien auch bezahlbare Wohnungen verfügbar. Dort fehle dann jedoch die zufriedenstellende Anbindung an den öffentlichen Nahverkehr.
Anpacken
Die Caritas selbst unternimmt immer wieder Versuche, die Lebensverhältnisse für die Menschen in der Region zu verbessern. „Wir kritisieren nicht nur, sondern packen auch an“, sagt Anke Schäflein, verantwortlich für den Caritasverband Haßberge. So entstünden in Haßfurt derzeit acht barrierefreie Apartments für Menschen mit geringerem Einkommen. Seit 15 Jahren gebe es zudem das Projekt „FairMieten“, das Vermieter und potentielle Mieter über alle gesellschaftlichen Vorbehalte hinweg, zusammenbringe. „Wir haben es auf dem angespannten Wohnungsmarkt oft mit versteckter oder sogar offener Diskriminierung zu tun“, erläutert Stefan Weber. Schon ein ausländisch klingender Name könne Türen verschließen statt öffnen. „Kinderreiche Familien und Alleinerziehende sind schon lange benachteiligt und gelten nicht als die idealen Mieter“, kritisiert Weber. Hier sei es Auftrag der Caritas als Vermittlerin aufzutreten.
Mit dem Projekt „Fit For Move“ sei man im Raum Würzburg sehr erfolgreich, stellt Weber fest. „Seit Sommer 2017 konnten wir 491 auf dem Markt benachteiligten Personen durch Vermittlung zu einer Wohnung verhelfen“, freut sich Weber und verweist auf die gute Zusammenarbeit von Stadt, Landkreis und Caritas.
Im Caritasverband für die Diözese Würzburg wird für die nächsten zwei Jahre mit Unterstützung des Freistaates Bayern eine Projektstelle eingerichtet und am Heimathof Simonshof angesiedelt, einer Einrichtung für wohnsitzlose Männer. Die neuen Fachkräfte sollen in dieser Zeit die besonderen Bedürfnisse für Menschen in prekären Lebenslagen in der Region Main-Rhön in den Blick nehmen. „Wir stellen fest, dass es in den Städten und Landkreisen dieser Planungsregion Angebote und Maßnahmen gibt, die aber bislang wenig oder gar nicht aufeinander abgestimmt sind“, meint Bernhard Christof, Fachmann für Wohnsitzlosenhilfe beim Caritasverband für die Diözese Würzburg. „Ganz konkret bringt sich die Caritas auch in Kitzingen im Notwohngebiet ein“, ergänzt Christof. Knapp 100 ordnungsrechtlich untergebrachte Menschen leben dort und sind dankbar für die Unterstützung der beiden Sozialpädagoginnen. Das Projekt sei überdies ein gutes Beispiel für die konstruktive Zusammenarbeit von Stadt und Landkreis, von Caritas und Diakonie im Sinne der Menschen.
Dennoch: Alle Maßnahmen und Projekte reichten bislang nicht aus. Deshalb fordere die Caritas mehr Anstrengungen bei der Errichtung bezahlbarer Wohnungen.
Kirche
Einig sind sich die Geschäftsführerinnen und Geschäftsführer der unterfränkischen Caritasverbände auch darin, dass die Kirche selbst ebenfalls aktiv werden müsse. Sie verfügt über Grundstücke, Immobilien und Wohnungsbaugesellschaften. Ausdrücklich begrüßt würden Unternehmungen, die Wohnraum auf Kirchengrund ermöglichten. Das mehrfach ausgezeichnete Projekt in Erlenbach am Main „Sozialwohnungen auf Kirchengrund“ stehe hier als gutes Beispiel.
„Der Themenkomplex Wohnungsnot wird in unserer Arbeit weiterhin einen Schwerpunkt bilden“, sagt Caritasdirektorin Pia Theresia Franke. Sie setzt auf den konstruktiven Dialog mit Kommunen, Wirtschaft und Politik. „Hier geht es um nichts Geringeres als den gesellschaftlichen Zusammenhalt und den sozialen Frieden.“
Sebastian Schoknecht | Caritas