Die Predigt im Wortlaut:
„Wo sind denn die christlichen Werte alle hin …“, fragte in der vergangenen Woche Dunja Hayali, die bekannte Journalistin und Fernsehmoderatorin, in einem mit ihr geführten Interview.
„Wo sind denn die christlichen Werte alle hin …“. Diese Frage bewegt sie zutiefst, die Tochter irakischer Christen aus Mossul. Ihre Mutter ist chaldäisch-katholische Christin, ihr Vater ist syrisch-orthodoxer Christ. Hayali selbst war Katholikin und in der Jugend Messdienerin, ist aber aus der Kirche ausgetreten.
„Wo sind denn die christlichen Werte alle hin auf die sich diese ganzen Abendlands-Verteidiger irgendwie berufen? Wo ist denn die Nächstenliebe? Wo ist denn die Barmherzigkeit?!“, fragt Dunja Hayali.
Angesichts der aktuellen Pandemiesituation erwartet sie einen verantwortungsvollen Umgang mit dem eigenen Leben, aber auch dem der Mitmenschen. Respekt erwartet sie im Miteinander unserer Gesellschaft insbesondere gegenüber Minderheiten. Sie kritisiert dabei nicht nur die – wie sie es bezeichnet – „asozialen Medien“. Die Diskussionen z.B. um Menschen mit Fluchterfahrung erfüllt sie mit Schrecken, wenn weiterhin gelten soll: „Die Würde des Menschen ist unantastbar!“
Hayali sagt: „Diese Pandemie hat mich wachgerüttelt …“ Deshalb stellt sie sich die Frage: „Wo soll denn das alles hingehen und wie lange noch? Und warum sind denn die Menschen so? Und warum können wir nicht ein bisschen mehr miteinander sein?“
Weil wir immer deutlicher ein Defizit an Verantwortungsbewusstsein ebenso wie an Solidarität wahrnehmen, müssen zunehmend mehr Regelungen getroffen werden, die – z.B. jetzt in der Pandemie – das Schlimmste verhindern sollen. Es werden Abstandsregeln definiert, Kontakte beschränkt, Sperrstunden festgelegt, Glühweinbuden geschlossen, ein immer strengerer Lockdown verordnet. Das alles sind kurzfristig unumgängliche Maßnahmen, aber wann werden die Menschen in unserem Land wachgerüttelt und beginnen über die tieferliegenden Ursachen eines verantwortungsarmen und deshalb letztlich auch gefährlichen Umgangs miteinander nachzudenken. Ich sehe die Ursache dafür wesentlich im Verlust eines verbindenden geistigen und geistlichen Fundaments!
Ganz anders äußerte sich in diesen Tagen der Verfassungsrechtler Thorsten Kingreen, der keinen Unterschied zwischen Liturgie und Theater sieht. Die „Ungleichbehandlung“ sei auch deshalb schwer nachzuvollziehen, weil insgesamt viele Kultureinrichtungen im Sommer „ausgefeilte Hygienekonzepte“ entwickelt hätten. D.h., nicht die Botschaft ist das Entscheidende, sondern ausgeklügelte Hygienekonzepte. Er habe „große Schwierigkeiten“ damit, „wenn das Grundrecht auf freie Religionsausübung höher gewichtet werde als andere Grundrechte“. Nach seiner Ansicht ist es sogar spalterisch, Gottesdienste zu bevorzugen, „weil Bayern ein christliches Land ist“.
Die BILD-Zeitung spekulierte sogar, ob die Ursache für die hohen Infektionszahlen im „katholischen Süden, und insbesondere in Bayern“, möglicherweise der dort häufige Gottesdienstbesuch sei.
Gesundheitsminister Spahn plädierte vor wenigen Tagen für mehr Corona-Beschränkungen auch an Weihnachten, denn „das Virus ist nicht katholisch“, so zitierte er einen Kollegen. Offensichtlich haben viele der politischen Entscheidungsträger nur die aktuelle Situation vor Augen. Das allerdings wäre meines Erachtens leider sehr kurzsichtig. Nach meiner Überzeugung braucht es aktuell neben den kurzfristigen Maßnahmen ganz besonders die ermutigende Botschaft, die Bestärkung von Vertrauen und Zuversicht, sowie das Bewusstsein der Verantwortung füreinander und der gegenseitigen Solidarität. Das alles wird aber nicht durch ein noch so detailliertes Hygienekonzept vermittelt. Das wird uns gerade jetzt im Advent durch die biblischen Texte etwa des Propheten Jesaja ans Herz gelegt. Er hatte den Mut, das Volk in seiner Zeit auf entscheidende Fehler hinzuweisen und zugleich das Vertrauen in Gott und von daher in Zukunft zu bestärken.
Keine der Fragen, die Dunja Hayali – wie eingangs erwähnt – stellt, will ich abschwächen. Es ist wichtig, dass wir uns als Christen, als Kirche diesen kritischen Fragen stellen, denn nicht wenige Menschen vermissen heute die eindeutige Haltung von Christen in all den Fragen eines menschenwürdigen Miteinanders. Zugleich aber würde ich Hayali wünschen, sich der Frage zu stellen, ob an den vielen bedenklichen Entwicklungen im Umgang miteinander oder in der Bewertung des Lebens nicht der Verlust an Glauben und von daher an ethischer Orientierung deutlich wird!
Weil aber die Politik oft sehr stark mit den tagesaktuellen Ereignissen beschäftigt ist und die Medien im Blick auf Einschaltquoten und Auflagenzahlen weniger gewillt sind den Mainstream zu hinterfragen, bräuchte es uns als Kirche, um die entscheidenden Fragen zu stellen oder auch die wunden Stellen einer rein immanenten Lebenssicht zu berühren. Doch wir sind derzeit zu sehr mit uns selbst beschäftigt, da geht es um Strukturen, um Macht und bei allem auch um Geld. Jedoch lösen wir mit noch so viel Strukturen keineswegs die Probleme.
Nicht die Strukturen geben Zeugnis für die Frohe Botschaft, sondern die Menschen, die sie mit Leben, mit Engagement, mit Überzeugungskraft und Glaubwürdigkeit füllen. Ebenso sollten alle Verordnungen Ausdruck der Verantwortung füreinander sein und nicht einfach nur Anordnungen bzw. Verbote eines letztlich hilflosen Gemeinwesens gegenüber einer eigenwilligen Bevölkerung; denn damit würde klar, dass es an grundsätzlicher Einsicht fehlt.
Diese Grundhaltung hat mit der eigenen Sicht des Lebens zu tun und mit dem Horizont, unter dem ich lebe, oder ob das eben nur mit dem Auskosten des Augenblicks zu tun hat oder mit der größeren Perspektive, nämlich mit Gott.
In der Lesung aus dem Buch des Propheten Jesaja haben wir gehört: „Der Geist Gottes, des Herrn, ruht auf mir; denn der Herr hat mich gesalbt. Er hat mich gesandt, damit ich den Armen eine frohe Botschaft bringe und alle heile, deren Herz zerbrochen ist …“
Hier geht es um Identität, um das, was mich im Innersten ausmacht und mein Handeln motiviert. Es geht um die geistige Grundlage meines Lebens und Wirkens.
Das betont auch Johannes der Täufer, wie wir im Evangelium gehört haben. Er bezeichnet sich nur als Stimme und will dem den Weg ebnen, auf dem der Geist Gottes ruht, in dem der Geist Gottes lebt.
Wo der Geist Gottes in Menschen wirkt, da geschieht – wie es dann an Jesus deutlich wurde – unendlich viel Gutes, da verändert sich die Welt zum Besseren, da wird ein gerechtes Miteinander möglich, da hat Leben Zukunft.
Dunja Hayali sieht die Entwicklung in unserer Gesellschaft kritisch. Das Verhalten zahlreicher Zeitgenossen gerade im Zusammenhang mit der Pandemie ärgert sie zutiefst. Das kann ich gut verstehen, zumal sich bei den zuletzt stattgefundenen Protesten mehrere Teilnehmer mit Kreuzen in der Hand darunter bewegten. Umso wichtiger ist es, dass wir uns als Christen, als Kirche, mit klarer Haltung und konsequentem Engagement für das Lebens einsetzen.
Bei der Botschaft des Dritten Adventes geht es um den persönlichen Bezug zu Jesus, zu seiner Frohen Botschaft und zu seinem Umgang mit dem Leben.
Verordnungen taugen nicht. Es kommt auf den Geist an, aus dem heraus wir alle – die Regierenden wie das Volk, die Bischöfe wie die Christen – denken, handeln und leben.
Es ist Advent, es wird wirklich Zeit, dass wir und alle, die sich zu Jesus bekennen, sich IHM wieder zuwenden! Deshalb ist es wichtig, dass wir uns gerade in dieser schwierigen Zeit im Glauben stärken lassen und ihn dann überzeugend bekennen, damit sich schließlich Fragen erübrigen wie z.B. „Wo sind denn die christlichen Werte alle hin …“.
Domkapitular Clemens Bieber
www.caritas-wuerzburg.de
Text zur Besinnung
Herr,
der Täufer Johannes war in besonderer Weise dein Vorläufer,
doch wir leben als Menschen alle im Vorläufigen,
oft gehen wir nur mit Mühe unseren Lebensweg,
alle Ziele sind nur vorläufige Stationen,
wir haben keine bleibende Stätte hier auf Erden.
Johannes hat es uns vorgemacht, als Vorläufer zu leben,
in adventlicher Haltung,
willig, die ihm gestellte Aufgabe anzunehmen,
bereit, seine Grenzen zu akzeptieren,
auf Größeres ausgerichtet,
für den Kommenden offen.
Autor unbekannt