Der Jakobsweg ist zweifelsohne der bekannteste Pilgerweg der Welt. Seit mehr als 1000 Jahren wandern Menschen zum Grab des Apostels Jakobus in der spanischen Stadt Santiago de Compostela. Es gibt viele Jakobswege, und es gibt viele Möglichkeiten ans Grab des Apostels Jakobus zu kommen. Für „normale“ Menschen ist die Route schon anstrengend genug. Hape Kerkeling, der übrigens in der Woche zuvor auf derselben Strecke gesehen wurde, kann davon ein Lied singen. Ein beschwerlicher Wanderweg. Blasen an den Füßen, Sonnenbrand, Muskelkater oder auch nasse Klamotten sind da vorprogrammiert. Was aber, wenn sich Menschen mit Behinderung das „antun“. „Ein Abenteuer. Keiner wusste zuvor, was da auf jeden Einzelnen zu kommen könnte. Eine Grenzerfahrung“, wie Hestermann jetzt weiß.
Die Route, die das „Team“ der Außenwohngruppe Hettstadt genommen hatte, führte rund 100 Kilometer von Sarria bis zum Ziel des Jakobusweges in Santiago de Compostela. Los ging das Abenteuer am 30. März. Die Maschine hob am Nachmittag bei strahlendem Sonnenschein vom Flughafen in Hahn ab. Einige Stunden später landete sie – bei strömendem Regen in Spanien. Das Wetter sollte für die Teilnehmer noch zu einem Problem werden. Doch auch dies konnte die gute Laune nicht verderben. In der ersten Herberge bei Vilamaior angekommen, ruhte sich die unterfränkische Gruppe aus. Nach dem Abendbrot ging es ab in die Betten.
Die Nacht war kurz, der Regen heftig. Am Morgen ging es mit dem Nahverkehrsbus über Lugo ins 120 Kilometer entfernte Sarria, wo das Treffen mit dem „Fahrdienst“ vereinbart war, der bereits zwei Tage zuvor in Hettstadt gestartet war und in Leon und Astorga Zwischenstation gemacht hatte. „Pünktlich auf die Minute und das nach 2000 Kilometer Fahrstrecke“, so Hestermann. Denn es war klar, dass nicht alle Menschen aus der Gruppe die lange Strecke komplett würden laufen können, ganz zu schweigen von Gerhard, der auf den Rollstuhl angewiesen ist. „Ohne den Transporter hätten wir es wohl nicht geschafft“, sagt Hestermann. Das schwere Gepäck wurde hinten eingeladen, bei sich trugen die Teilnehmer nur das Notwendigste. Und: „Ab und an waren für den einen oder anderen Wanderer die Strapazen einfach zu viel. Dann riefen wir per Handy den Begleitwagen, mit dem die Erschöpften die letzten Kilometer bis zur nächsten Herberge fuhren.“
25 Kilometer pro Tag, oft auch einige mehr, sind schon für manchen „normalen“ Menschen zu viel. „Mit Behinderten ist das eine ganz andere Angelegenheit“, weiß Hestermann jetzt aus eigener Erfahrung. „Sie reagieren vollkommen anders, brauchen Ansprache, natürlich viel mehr Unterstützung.“ Das beginnt am frühen Morgen und endet abends mit dem zu Bettgehen. Beim Anziehen, Waschen und Essen müsse immer jemand dabei sein. „Aber das allein ist es nicht. Sie haben den Menschen, für den sie die Verantwortung tragen, 24 Stunden am Tag um sich.“ Auch in der Nacht sei man nicht alleine.
Die Pilgergruppe schlief, wie in den folgenden Nächten, in einer „echten“ Pilgerherberge – in einem Saal mit 140 Betten, von denen nur fünf nicht belegt waren. Elf Uhr war „Zapfenstreich“ angesagt. Übrigens wurden die Herbergen, wie für Pilger üblich, jeweils erst ab dem Nachmittag gesucht und dann kurzfristig bezogen.
Am nächsten Tag ging es weiter nach Palas de Rei. Diese Strecke schaffte das Eisinger Team glänzend. „Bei strömendem Regen hielten alle durch. Wir sind stolz auf die Truppe“, lobten die Betreuer Christof Mock und Hermann Gehr ihre Schützlinge. Und für so viel Einsatz und Durchhaltevermögen gab es am Abend im „Casa Castro“ eine Belohnung. Die Gruppe hatte drei Räume für sich alleine. Alles war neu, auch die Duschen und Bäder. Und für die eingefleischten Bayern-Fans lief dann noch das Champions-Spiel gegen ManU im Fernsehen. Ein rundum gelungener Tag.
Der kommende Tag sollte anders verlaufen. Zunächst fing er vielversprechend an. „Endlich keinen Regen“, notierte Hestermann in sein Tagebuch. Am Ende standen die Pilger beim „Bergfest“ bei Kilometerstein 50 wie die begossenen Pudel da. Und diesmal kam auch das Begleitfahrzeug mehrmals zum Einsatz. Die 28 Kilometer lange Tour zog sich ewig hin. Das Wetter gab sein Übriges dazu. Die Herberge und Gaststätte in Ribadiso, dem schönsten Etappenziel zwischen Sarria und Santiago, haben die Pilger aber auch mit diesem Tag wieder versöhnt.
„Es wird schlimmer, bevor es besser wird“, sagte einmal der ehemalige US-Präsident Lyndon B. Johnson. Das traf auf die Pilger aus Eisingen am vorletzten Tag ihrer Reise zu. Über 30 Kilometer, hoch zum Monte do Gozo, Höhenmeter natürlich inklusive, mal Regen, mal mit Hagel, mal ohne und ab und an tatsächlich auch Sonnenschein - Aprilwetter eben. „Doch irgendwann hat jede Pein ihr Ende und das Quartier war erreicht“, liest man im Tagebuch. Und beim Abendessen lockerte die Stimmung auch wieder auf. Schließlich würde man am nächsten Tag das Ziel, die Kathedrale von Santiago de Compostela erreichen.
Los ging’s mit viel Elan auf die letzten paar Kilometer. Leider, wie fast auf der gesamten Route, im Regen. Aber das war der Truppe mittlerweile völlig egal. Gegen Mittag standen die Eisinger dann vor der mächtigen Kathedrale. Nach dem Besuch im Pilgerbüro für die letzten Stempel und für die Pilgerurkunde, kam das Eisinger Team gerade rechtzeitig zum Gottesdienst mit der berühmten Botafumeiro. Dabei wird ein etwa 1,60 Meter großes Weihrauchfass durch das Querschiff geschwenkt. Es hängt an einem etwa 30 Meter langen Seil von der Decke herab. Nach dem Hochamt wird es von acht Männern in Bewegung gesetzt und bis hoch unter die Decke geschwungen. Außer seiner üblichen Funktion in der Liturgiefeier diente der Botafumeiro früher dazu, den Geruch der Pilger zu neutralisieren, die nach ihrer Wallfahrt auf dem Jakobsweg eine ganze Nacht wachend und betend in der Kathedrale verbracht hatten. Eines freute die Eisinger Pilger beim Gottesdienst ganz besonders: Sie wurden namentlich als „15köpfige Gruppe aus Bayern“ genannt.
Bevor es wieder Richtung Heimat ging, wurde am letzten Tag in Spanien natürlich ein klein wenig gefeiert. Das Abendessen fand an einem ungewöhnlichen Ort statt – in einer Sakristei, die den deutschen Pilgern zugewiesen wurde. Bis spät in die Nacht hinein ließen die tapferen Eisinger ihre unvergessliche Reise noch mal Revue passieren.
Ob man wieder einmal solche Strapazen auf sich nehmen möchte? Über diese Frage muss Jasmin nicht lange nachdenken: „Na klar.“ Doch zuvor muss sie ein wenig sparen, denn die Reise ins ferne Spanien hat sie selbst finanziert. Wie im übrigen alle Beteiligten der Pilgertour. Und Hermann Gehr fügt an: „Eine solche Tour hatte im Vorfeld schon für jede Menge Arbeit gesorgt. Es sei schließlich eine ganz andere Herausforderung als mit einer „normalen“ Pilgergruppe“.
Eines ist in all den Jahrhunderten gleich geblieben: Damals wie heute nehmen die Pilger eine Jakobsmuschel mit in die Heimat als Zeichen für ihre erfolgreich bestandene Pilgerfahrt. In der Schulstraße in Hettstadt sind ab jetzt einige zu finden.
Hier finden Sie zu den Seiten des St. Josefs Stift