„Männer sind selten in sozialen Berufen in Bulgarien“, stellten Jonas Dietz und Steven Reinemund schnell fest. Die beiden jungen Männer, die zur Zeit eine zweijährige Ausbildung zum Heilerziehungspfleger an der Dr. Maria Probst-Schule der Robert-Kümmert Akademie absolvieren, erzählten von einem Praxisaufenthalt nahe der Stadt Varna an der bulgarischen Schwarzmeerküste. Die beiden Schüler der Europaklasse hatten sechs Wochen in einer Sozialeinrichtung der Liebenauer Stiftung mitgearbeitet und neben der Arbeit einer Sozialstation auch die Arbeit mit behinderten Senioren und sozial benachteiligten Kindern kennen gelernt. „Sowohl die Senioren als auch die Kindern hatten uns zuerst komisch angeschaut, da sie nur Frauen in diesem Arbeitsfeld kannten,“ erklärte der 20-jährige Steven. Doch über Fußball und Baskettball hatten sie schnell Kontakt zu den Kindern bekommen. „Den Respekt haben wir uns regelrecht erspielen müssen,“ lachte er.
Die Sozialeinrichtung in dem kleinen Ort Kitchevo sei neu in der Reihe der internationalen Austauschpartner der Europaklasse, erklärte Klassenleiter Max Procher. Wie Steven und Jonas hatten ihre 24 Mitschüler/innen paarweise in Einrichtungen für Menschen mit Behinderungen in 13 verschiedenen europäischen Ländern gearbeitet. „Ich habe hohen Respekt davor, wie sie immer alle Schwierigkeiten meisten,“ so Procher. Seine Schüler, beobachtet er, kommen immer viel erwachsenen und reifer von ihren Praxiseinsätzen zurück.
Jonas Dietz und Steven Reinemund bestätigen seine Einschätzung. Das große Haus in Kitchevo und seine Bewohner waren ihnen schnell ans Herz gewachsen. Die intensive Vorbereitung auf diesen Einsatz, gewisse Sprachkenntnisse, die sie sich angeeignet hatten und eine ausgezeichnete Betreuung vor Ort hätten ihnen den Einstieg erleichtert. Die Unterschiede in der Arbeit waren für sie sehr interessant. „Zu sozialen Berufen in Bulgarien gehören bislang fast nur Krankenschwestern und Erzieher,“ fiel Jonas auf. Professionelle Arbeit mit behinderten Menschen stehe noch am Anfang. Der Staat hat sich dieser Aufgabe in vielen osteuropäischen Ländern noch kaum angenommen, viele soziale Einrichtungen werden kirchlich oder privat betrieben. Obwohl die beiden jungen Männer erst seit einem Jahr in der Ausbildung sind, wurde ihr Rat im Umgang mit behinderten Kindern sehr geschätzt.
Genau dieser Effekt sei auch beachsichtigt, ergänzte Procher. Heilerziehungspfleger sind sozialpädagogisch und pflegerisch ausgebildete Fachkräfte, die sich für die Assistenz, Beratung, Begleitung, Pflege und Bildung von Menschen mit Behinderung einsetzen. Die Europaklasse Heilerziehungspflege der Dr. Maria Probst-Schule - eine vergleichbare Einrichtung gibt es in ganz Bayern nicht - ermöglicht seit diesem Schuljahr den Erwerb der European Care Certficate (ECC). Das ECC definiert europaweite Qualitäts- und Ausbildungsstandards und öffnet seinen Inhabern den internationalen Arbeitsmarkt. Der Praxiseinsatz im Ausland, der über das EU Programm Leonardo da Vinci finanziert wird, soll den Schülern nicht nur Einblicke in fremde Arbeitsweisen geben, sondern auch das Berufsbild des Heilerziehungspflegers internationaler bekannter machen. Denn in vielen europäischen Ländern gibt es keine Ausbildung und gesellschaftliche Anerkennung für die Arbeit mit alten und behinderten Menschen, so Procher.
Jonas und Steven hat ihr Einsatz gut gefallen. Und neben ihre eigentlichen Arbeit konnten sie eine erstaunliche Initiative anstoßen. Denn sie knüpften Kontakte zu einem deutschsprachlich orientierten Gymnasium in Varna. Die Schüler aus gut situierten Elternhäusern hatten bisher keinen Einblick in die Situation ihrer armen Landsleute. Es freut Jonas und Steven daher sehr, dass sich nach mehrfachen Besuchen in der Schule eine Spendeninitiative zu Finanzierung eines Elektrorollstuhls eines schwer behinderten Kinddes bildete. „Wir haben wirklich Spuren in Varna hinterlassen“, sind sie sich sicher. Und sie wollen beide wieder zurück. Die Tränen in den Augen ihrer betreuten Kinder und Senioren beim Abschied können sie nicht vergessen.