Die Predigt im Wortlaut:
Egal aus welcher Richtung wir auf Würzburg zufahren, von überall her sind die zahlreichen Kirchen und ihre Türme zu sehen. Sie prägen die Silhouette, das Bild der Stadt. So ist es mir am vergangenen Sonntag wieder aufgefallen, als ich vom Urlaub in Tirol zurückkam.
Die Türme stehen aber auch für eine wechselvolle Geschichte. Sie erinnern z.B. an die Zerstörung Würzburgs vor 80 Jahren, wie die Aufnahmen aus der Zeit nach dem 16. März 1945 dokumentieren.
Die Kirchen und ihre aufragenden Türme prägen zumindest städtebaulich bis heute das Bild der Stadt. Die Frage, die sich von daher aufdrängt: Nur städtebaulich?
In dieser weltoffenen Stadt mit ihrer reichen Tradition und gewachsenen Kultur, die alljährlich zahlreiche Gäste anzieht, wie die Fremdenverkehrsstatistik belegt, sind inzwischen Menschen aus den verschiedensten Nationen zuhause. Somit leben hier mit der großen Zahl an Studentinnen und Studenten viele junge Menschen in der Zeit ihrer Ausbildung. Sie werden später Verantwortung in Familie, Beruf und Gesellschaft übernehmen. Umso wichtiger scheint mir die Frage, wie stark wird tatsächlich die Stadt bzw. das Zusammenleben der Menschen geprägt von der Botschaft, für die die vielen Kirchtürme stehen?
Im Blick auf die gravierenden Veränderungen in unserer Gesellschaft, aber auch im Blick auf die Unsicherheit, wie sich die Zukunft der Welt angesichts der Neuordnung gestaltet, die durch die bestimmenden Weltmächte angestrebt werden, ist es wichtig, deutlich zu machen, wofür wir Christen, wofür unsere Lebensbotschaft steht.
Deshalb die Frage: Wird in der verwirrenden Vielfalt von Interessen, Meinungen, Thesen, Haltungen und Lebensphilosophien klar, wofür wir Christen stehen? Welche konkreten Auswirkungen hat die Frohe Botschaft auf unsere Weltsicht und unser Engagement in der Gesellschaft? Wird klar, was unsere Vorstellung von einem menschenwürdigen, lebenswerten und sozialen Miteinander ausmacht?
Von daher möchte ich die im Evangelium an Jesus gerichtete sorgenvolle Frage, wer gerettet wird, aus einer anderen Perspektive angehen und so formulieren: Wie kann Leben gelingen, glücken und zu seiner Erfüllung finden? Jesus antwortet eindeutig: Wer IHM, wer dem Weg SEINER Frohen Botschaft folgt, für den gilt die Verheißung: „Und man wird von Osten und Westen und von Norden und Süden kommen und im Reich Gottes zu Tisch sitzen.“ SEINE Einladung gilt allen Menschen.
Überraschend für seine Zuhörerinnen und Zuhörer damals wie heute ist sein Fazit im Hinblick auf das Ende der Welt: „Dann werden manche von den Letzten die Ersten sein und manche von den Ersten die Letzten.“ Damit hinterfragt er die geltenden Maßstäbe im Zusammenleben der Menschen, ja er stellt sie sogar auf den Kopf – in der kleinen wie in der großen Welt.
Wenn wir die Mahnung Jesu auf meine eingangs gestellte Frage hin anwenden und wissen wollen, ob tatsächlich unsere Städte und Dörfer bzw. unser Zusammenleben in der Gesellschaft geprägt wird von der Botschaft, für die die vielen Kirchtürme stehen – wie fiele die Antwort aus? Den Ausführungen Jesu zufolge hätten wir in jeder Hinsicht verloren, wenn die Kirchtürme, wenn unsere Kirchengemeinden nur für die Bewahrung einer frommen Tradition und die Pflege binnenkirchlicher Strukturen stehen würden.
Kirche wird in unserer Zeit immer weniger über ihr pastorales und liturgisches Angebot wahrgenommen, sondern vor allem über ihr soziales und kulturelles Engagement.
Deswegen wäre es dem Auftrag Jesu zuwider, wenn wir das vor Jahren geprägte Wort von der „Entweltlichung“ als Aufforderung ansehen würden, uns aus dem vielfältigen Dienst am Leben zurückzuziehen, zu dem uns Jesus mit dem Gebot der Gottes- und Nächstenliebe beauftragt. Ich verstehe „Entweltlichung“ so, dass wir den Dienst am Nächsten in einer Weise erfüllen, dass dadurch eine besondere Qualität deutlich wird, nämlich, dass die Nähe und Fürsorge Gottes selbst in alltäglichen Diensten erfahrbar werden, und nicht nur von der Wirtschaftlichkeit her bewertet wird.
Deshalb erachte ich es für bedenklich, dass es in den aktuellen Diskussionen innerhalb der Kirche um den sogenannten synodalen Weg insbesondere um Fragen von Ämtern, Macht, Kontrolle, Zölibat, Weihe von Frauen usw. geht, und weniger um den Auftrag und die Sendung Jesu zum Dienst am Nächsten. So wichtig die genannten Fragen sind und so sehr sie der Klärung bedürfen: Es ist für mich bedenklich, dass sie die vordringlichen Fragen zum Zeugnis für die Frohe Botschaft durch unser Tun überlagern.
Vor einiger Zeit las ich einen Artikel unter der Überschrift „Zukunft der Caritas – Zukunft der Kirche“ einen Beitrag zum Thema „Solidarität und Barmherzigkeit“. Es geht darum, den „christlichen Anspruch von Barmherzigkeit und Nächstenliebe neu zu entdecken.“ Caritas – „die Liebe ist Grundvollzug des Christseins wie der Kirchen und folglich leitendes Prinzip“.
Unsere Kirche steckt in einer tiefen Glaubwürdigkeitskrise. Zugleich ist eine zunehmende Entkirchlichung der Gesellschaft zu beobachten. „Das wirkt sich als Relevanzverlust auf Lebenswelten und Lebensdeutungen der Menschen aus.“
In besagtem Artikel wird auf den kanadische Sozialphilosoph Charles Taylor verwiesen. Er „wünscht sich aus säkularer Sicht für die Gesellschaft ein starkes Christentum, weil es Tugenden wie Barmherzigkeit, Nächstenliebe und Vergebung mit dem Vorbild Jesu gut begründen kann und so in der Gesellschaft moralisch befriedend und sinnstiftend wirkt. … Diese dennoch wertschätzende Sicht verweist aber auf wesentliche ideelle und anthropologische Aussagen des christlichen Glaubens, die auf das gelingende Miteinander der Menschen und auf eine Humanisierung der Welt abzielen …“.
Kürzlich hörte ich die These: „Die Kirche hat eine Zukunft, wenn sie sich diakonisch engagiert und profiliert.“ Im Blick auf unsere Kirche und die Caritas bedeutet das für mich: „Caritas ist Zukunft der Kirche“ oder „Kirche wird als Caritas Zukunft haben“. Das heißt: „Liebe und Barmherzigkeit müssen deren Gesicht nach innen und nach außen sein.“
Das wiederum entspricht dem zuvor bereits zitierten Artikel. Darin heißt es: „In Schieflage gerät die Caritas dann, wenn sie den Kontakt zum jesuanischen Ursprung verliert und sich auf die alleinige Seite professioneller, sozialtechnischer Dienstleistung zurückzieht. Solidarität ohne Barmherzigkeit ist und braucht keine Caritas.“
Es genügt also nicht, uns auf ehrenamtliche Dienste der Barmherzigkeit zu beschränken wie z.B. die Speisung von Armen oder die Ausgabe von Lebensmitteln an Bedürftige, denn damit ändern wir nichts an den Ursachen von Armut. Es genügt auch nicht, uns auf die seelsorgliche Begleitung von Menschen in Not zu beschränken. Wir müssen erlebt werden, wie wir konkret anpacken, um Not zu lindern und Hilfe zu gewähren.
Das Wort Jesu im heutigen Evangelium erachte ich als Mahnung: „Dann werdet ihr sagen: Wir haben doch mit dir gegessen und getrunken und du hast uns auf unseren Straßen gelehrt.“ Jesus lässt keinen Zweifel aufkommen, dass zu SEINER Nachfolge mehr gehört als frommes Beieinandersein. Unsere Gottesdienste und Zusammenkünfte sollten vielmehr Ausgangspunkt für unseren Dienst am Leben sein. Dabei kommt es auf das Zeugnis für die Frohe Botschaft in Wort und Tat an.
Zurück zur Silhouette Würzburgs, zu seinem markanten Stadtbild, das von den vielen Kirchtürmen bestimmt wird. Sie stehen nur dann für die prägende Kraft des christlichen Glaubens, wenn die Kirchen als Mittelpunkt von Gemeinden erlebt werden, als Orte, wo Alt und Jung, Kinder und Erwachsene, Frauen und Männer, Frohe und Traurige, Menschen aus allen sozialen Schichten, mit unterschiedlichster Herkunft zusammenkommen und dem Miteinander ein guter, gesegneter Weg zu Gott und zueinander aufgezeigt wird.
Gerade die alten Aufnahmen aus der Zeit vor 80 Jahren machen deutlich, wohin der Weg einer Gesellschaft ohne Gott führt, einer Gesellschaft, in der Menschen den Maßstab festlegen und definieren, was lebenswert ist und was nicht.
Es braucht eine geistige Orientierung, die Hoffnung und Zuversicht vermittelt. Die Kirchtürme sollten also wahrgenommen werden als Einladung zum verbindenden Mittelpunkt. Die Kirchen sind dann ein Haus für Gott und die Menschen!
So wie wir uns mit Sorge fragen, wie das Miteinander in der Gesellschaft gelingen kann, wenn sich bestimmte Religionen und Glaubensgemeinschaften in ihre Nischen zurückziehen, so überzeugt sind wir, dass es auch für uns Christen darauf ankommt, unter den Menschen wahrgenommen zu werden als verbindende, Versöhnung schaffende, Frieden stiftende, Hoffnung weckende und von daher prägende Kraft.
In beiden biblischen Botschaften des heutigen Sonntags – der Lesung aus dem Buch Jesaja wie auch aus dem Lukasevangelium – geht es darum, dass alle bei Gott und durch ihn zusammenfinden. Jesus sagt: „Und man wird von Osten und Westen und von Norden und Süden kommen und im Reich Gottes zu Tisch sitzen.“
Unsere Kirchen in Würzburg machen dies auf vielfältige Weise sichtbar und deutlich, sowohl in Gottesdiensten, zu denen sich Christen dort versammeln, als auch im Dienst an den Mitmenschen, zu dem wir von da ausgesandt sind.
Unsere Stadt wird städtebaulich geprägt von den Kirchtürmen, die herausragen, egal von woher wir kommen. Darüber hinaus hängt es von uns Christen ab, von unserem glaubwürdigen Engagement, durch das das Miteinander der Menschen und ihre Zuversicht geprägt werden.
Domkapitular Clemens Bieber
www.caritas-wuerzburg.de
Text zur Besinnung nach der Kommunion
Unsere Hoffnung muss Phantasie bekommen,
die diese kranke Welt neu entwerfen kann,
die das aus - malen, aus - denken, aus - deuten, aus - breiten kann,
von dem wir jetzt nur träumen können:
den neuen Himmel und die neue Erde.
Unsere Hoffnung muss Hände bekommen,
die Hand anlegen an dieser kranken Welt,
heilende Hände anlegen,
die Tränen abtrocknen
und sich nicht abfinden
mit der Un - er - löstheit dieser kranken Welt.
Unsere Hoffnung muss Füße bekommen,
die sich wundlaufen für das Heil der Welt,
denen kein Weg zu weit und zu schwer ist,
zu den Menschen zu gehen,
die den Weg Jesu weiter - gehen,
die Gott hier auf Erden in Gang bringen.
Unsere Hoffnung muss Worte bekommen,
die den Menschen verstehen,
ein rechtes Wort zur rechten Zeit,
Worte, die Trauer tragen,
Worte, die trösten,
Worte, die Freude schenken.
Gott hat damit den Anfang gemacht
in seinem geliebten Sohn Jesus von Nazaret,
in ihm hat die Hoffnung der Menschen,
die Hoffnung dieser kranken Welt
Hand und Fuß bekommen,
und das im wahrsten Sinne des Wortes.
Gott hat damit den Anfang gemacht,
wir müssen weiter - machen.
(Autor unbekannt)