Die Predigt im Wortlaut:
„Der singende Papst“, so lautete eine der Überschriften in den Tagen nach der Wahl von Kardinal Robert F. Prevost zum Papst. „Wie mit Leo XIV. der Gesang wieder in den Vatikan zurückkehrt …“ Eine andere Pressemeldung lautete: „Die katholische Kirche hat einen ‚singenden Papst‘. So überraschte Leo XIV. die Öffentlichkeit …, als er mit klarer Stimme die liturgischen Gesänge leitete.“ Bei der Suche der Journalisten nach Unterschieden zu Papst Franziskus heißt es: „Ein nicht unwesentlicher Unterschied ist, dass Papst Leo XIV. singt, was er in den letzten Tagen mehrfach bewiesen hat – und er singt gar nicht mal schlecht.“
Der Gesang ist ein unverzichtbarer Bestandteil in liturgischen Feiern. Neben den Gemeindegesängen sind es auch die gesungenen Gebete und Akklamationen, die die Feierlichkeit und Schönheit eines Gottesdienstes hervorheben. Doch hier steht und fällt es oft mit demjenigen, der den Gottesdienst leitet. Zwar kann es sein, dass jemand – wie z.B. Papst Franziskus – einfach nicht singen kann, aber nicht selten ist es „pure Ideologie, die zur Unterlassung des Singens führt, da gesungene Liturgie von manchen Zeitgenossen als klerikalistisch empfunden wird“, wie ich dieser Tage in einem Artikel gelesen habe.
Dagegen hält sich Papst Leo XIV. wohl an das von seinem Ordensvater, dem hl. Augustinus, überlieferte Wort: „Wer singt, betet doppelt!“ Eine Deutung dieses Diktums sagt: „Singen in der Kirche, insbesondere bei geistlichen Liedern, kann den Glauben und die Andacht verstärken und somit das Gebet vertiefen.“ Historiker stellen sogar fest, dass Martin Luther „das musikalische Element ganz bewusst zur Verbreitung seiner Theologie einsetzte“. Oder Religionswissenschaftler belegen im Blick auf Liturgie und Musik: „Im Judentum und im Islam herrscht ein striktes Bilderverbot, Musik aber ist im Kult zugelassen.“ – Also: „Wer singt, betet doppelt!“
Im Blick auf den Benediktinermönch und einen der bedeutendsten und beliebtesten Kirchenmusiker Valentin Rathgeber stellte der Bayerische Rundfunk in einer Sendung die rhetorische Frage: „Lieber komponieren als beten? So sieht es aus, wenn man sich mit der Lebensgeschichte von Valentin Rathgeber beschäftigt. Der komponierende Mönch aus Oberelsbach in Unterfranken soll aus seinem Kloster geflohen sein. Doch das ist nur die halbe Wahrheit.“
Zur Wahrheit gehört nämlich, dass er als Mönch im Kloster Banz die herrliche Weite des sogenannten „Gottesgarten“ vor Augen hatte. Davon geprägt, gelang es ihm mit seiner Musik, seinen Kompositionen, seinen Chorgesängen, seinem Orgelspiel das Herz der Menschen zu weiten für die Botschaft des Glaubens. Von Ihnen, lieber Herr Professor Gaß, als dem Präsidenten der „Rathgeber-Gesellschaft“, habe ich folgenden Gedanken gelesen: „So lernen wir Musik kennen, die tänzelt und gute Laune macht, ohne barockes Brimborium und verkopfte Fugen. ‚Es ist die Einfachheit, die Leichtigkeit, die ‚Lieblichkeit‘ wie Rathgeber selbst schreibt, dass es ins Ohr geht, man kann die Musik einfach mitsingen“. Es war sein Bestreben, leichte, aber dennoch anspruchsvolle Musik für Kirche und Öffentlichkeit vorzulegen.
Deshalb scheint die These, dass der Mönch Valentin Rathgeber aus dem Kloster geflohen und unerlaubt neun Jahre unterwegs war, nicht zu stimmen. Der Bayerische Rundfunk vermutet nach seiner Recherche, „dass er … für seine Musik werben und letzten Endes Impulse sammeln wollte.“ Ansonsten wäre auch kaum zu erklären, warum er auf seiner Reise durch halb Europa kam und sich in teilweise bedeutenden Klöstern aufhielt. Seine Reise ging über Würzburg und Mainz ins Rheinland, weiter über Trier und Stuttgart in den Bodenseeraum und die Schweiz nach Muri, St. Gallen, Zürich, Wettingen, Pfäffers, dann nach Vorarlberg, von dort über Wasserburg am Bodensee, Habach am Staffelsee, München, Scheyern, Regensburg, Niederaltaich, Melk, Heiligenkreuz bei Wien, Pannonhalma in Ungarn, St. Lambrecht und Mariazell. Valentin Rathgeber habe sich auch auf seiner großen Reise stets zu seiner Ordenszugehörigkeit bekannt, kam zumeist in Benediktinerklöstern unter und habe sich oft bei seinen Gastgebern mit Widmungen seiner Kompositionen bedankt.
Valentin Rathgeber war ein Mönch mit einer eigentlich unbeschreiblichen Weite in seinem Denken und Wirken. Er war getragen von einer tiefen Verbundenheit zu Gott, dem er mit seiner „leichten, aber trotzdem anspruchsvollen Musik“ das Lob erklingen ließ. So erreichte er weit über die oft begrenzten Kirchenräume hinaus die Menschen. Die Fülle seiner zumeist religiösen Werke – bekannt sind bislang nahezu 600 Kompositionen – zeugen von seiner Begeisterung und Faszination, Gott zu loben und IHM, dem Schöpfer der Welt, wie er es wohl beim Blick von Banz aus über den „Gottesgarten“ empfand, die Ehre zu geben.
Die geistige Weite des gebürtigen Oberelsbachers spiegelt sich auch in seiner Biografie: In der Rhön aufgewachsen, wo er in seiner Heimat schon als junger Mensch die Aufgabe des Kantors und Organisten übernahm, ging er nach Würzburg, um das Gymnasium zu besuchen. Dann studierte er an der Julius-Maximilians-Universität. Die Verbindung zum Juliusspital lässt ahnen, dass er stets auch mit den sozialen Nöten der Menschen in Berührung kam. Deswegen verwundert es nicht, dass er eine Anstellung als Lehrer an der Waisenhausschule erhielt. Von Würzburg aus kam er 1707 nach Banz, wurde Mönch und erhielt 1711 die Priesterweihe. 18 Jahre lang war er Prediger und Chorregent in der Abtei, verkündete also die Glaubensbotschaft in Wort und Musik, bevor er 1729 auf die schon erwähnte große Reise ging.
Valentin Rathgeber ging seiner Wege, aber anders als die Menschen, die wir heute Tag für Tag beobachten können, die – durch einen Kopfhörer mit irgendeiner Musik in den Ohren geradezu betäubt – ihrer eigenen Wege gehen. Sie schauen nicht rechts, nicht links und queren nicht selten unbesehen die Straße, wodurch sie sich und auch andere in Gefahr bringen. Valentin Rathgeber ging mit wachem Blick durch die Welt, suchte Kontakte, sammelte Erfahrungen und ließ dies einfließen in seine Musik. So ging er im Grunde nicht seiner eigenen Wege, sondern SEINER Wege, also Wege, um Gottes Spuren in der Schöpfung zu entdecken.
Genau dieses Suchen nach den Wegen Gottes für und mit uns Menschen wäre heute so dringend „not – wendig“, in einer Welt, die immer mehr auseinanderbricht, in der die Mächtigen eher gegeneinanderstehen und anderen kein Gehör schenken und schon gar nicht Gott, um vor allem ihre eigenen Vorteile herauszuholen und weniger zusammen zu wirken zum Wohl der Menschen und somit auf eine friedvolle Welt hinzuwirken.
Heute haben wir im Evangelium einen Abschnitt aus den Abschiedsreden Jesu gehört. Er sprach sein Herzensanliegen mit den Worten aus: „Alle sollen eins sein!“ Die Sendung Jesu, sein Herzensanliegen, ist: „Vater, ich will, dass alle, die du mir gegeben hast, dort bei mir sind, wo ich bin.“ Um die Menschen zusammenzuführen und sie auf den Weg mit Gott zur Fülle des Lebens zu führen, betet Jesus: „Ich habe ihnen deinen Namen kundgetan und werde ihn kundtun, damit die Liebe, mit der du mich geliebt hast, in ihnen ist und ich in ihnen bin.“
Es geht also darum, die Menschen auf Gott hinzuweisen und durch IHN ein friedvolles Miteinander zu erwirken. Dazu erzählt eine sehr alte Geschichte:
Die Mönche eines Klosters fragten einmal ihren Abt, wie sie trotz verschiedener Herkunft, Anlagen und Neigungen eine Gemeinschaft bilden könnten. Der Abt antwortete: „Stellt euch ein Rad vor. Es besteht aus einer Felge, aus Nabe und Speichen. Zwei gegenüberliegende Punkte auf der Felge können zusammenkommen, wenn sie sich über die Speichen auf die Mitte zu bewegen. Je mehr wir alle auf Christus, der die Mitte ist, zugehen, umso mehr nähern wir uns einander. Wir werden eine wirklich Gemeinschaft.“
Je mehr Menschen Jesus Christus im Herzen und im Blick haben und SEINER Lebensbotschaft folgen, je mehr sie IHN zur Mitte ihres Lebens machen, umso mehr können Verständnis und Vertrauen und von daher Miteinander wachsen und umso deutlicher geht von IHM die Einheit der Welt aus.
Musik – insbesondere geistliche Musik – weitet das Herz. Sie erhebt über den Alltag. Sie führt Menschen über Grenzen hinweg zusammen. Geistliche Musik verbindet. Sie verbindet Menschen untereinander und mit Gott. Mit seiner Berufung als Musiker und Mönch gibt Valentin Rathgeber über seine eigene Lebenszeit und über den kirchlichen Bereich hinaus Zeugnis für den Gott und Schöpfer, den Liebhaber und Erhalter allen Lebens.
Von daher stellt sich uns heute die Aufgabe, dafür zu sorgen, dass in den kirchlichen Gremien unserer Tage nicht nur debattiert und diskutiert wird über Ämter, Macht und Strukturen, sondern vor allem dafür Sorge getragen wird, dass das Lob auf Gott nie verstummt, und stets aus frohem und vom Glauben erfüllten Herzen erklingt. Dann wird es auch gelingen im Geiste Gottes und der Frohen Botschaft das entsprechende Miteinander in der Kirche zu gestalten. „Alle sollen eins sein … damit die Welt glaubt, dass du mich gesandt hast“, betet Jesus, wie wir heute im Evangelium gehört haben.
In der Gruft der Klosterkirche von Banz ist das Grab von Valentin Rathgeber nicht mehr genau auszumachen, weil die Inschriften auf den Grabtafeln unleserlich geworden sind oder vielleicht sogar zerstört wurden. Aber seine Musik klingt über seine Lebenszeit hinaus und kündet noch heute das Lob Gottes und die Freude am Leben und erinnert an den bedeutenden Oberelsbacher, an den besonderen Benediktinermönch von Banz und an den von der Freude am Glauben inspirierten Kirchenmusiker.
Den wichtigen Hinweis, den wir von Valentin Rathgeber, von der heutigen Feier des Rathgeber-Jubiläums und auch von Papst Leo XIV. mitnehmen können, ist: „Wer singt, betet doppelt!“
Domkapitular Clemens Bieber
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