Die Predigt im Wortlaut:
„Wohin führt dieser Krieg?“ – Das fragen sich die Menschen in rund 370 Ländern der Erde, in denen derzeit Krieg herrscht. Wir nehmen davon nur die wenigsten wahr wie z.B. in der Ukraine oder im Nahen Osten. Weit über 130 Millionen Menschen sind derzeit auf der Flucht.
„Wohin führt dieser Krieg?“ – Das fragen sich viele besorgte Menschen, wenn sie in den Nachrichten von den unendlichen Verhandlungen z.B. nur um einen Waffenstillstand hören. Ich will noch gar nicht von „Friedensverhandlungen“ sprechen.
Von daher drängt sich mehr und mehr der Gedanke auf, ob die Frage nicht tiefergehender gestellt werden müsste – nicht „Wohin führt dieser Krieg?“, sondern: „Wohin führt eine Lebenshaltung, ein Welt- und Menschenbild und damit dann auch eine Politik, die geleitet ist von einer ideologisch veranlassten Machtbesessenheit, von einem wirtschaftlichen Vorherrschaftsstreben oder von einem im Grunde falschen Freiheitsbegriff?“
Ist es nicht eine der großen Nöte und Probleme, dass wir eine zumeist nur einseitige Sicht des Lebens haben? Wir versuchen das Glück mit materiellen Dingen zu sichern, meinen nur dann wirklich Mensch zu sein, wenn alles strahlend und erfolgreich ist und sich materiell und finanziell gewinnbringend auszahlt. Dieser Versuchung sind alle sozialen Schichten ausgesetzt. Deshalb wird deutlich: Alle brauchen ebenso einen geistigen und geistlichen Kompass für ihr ganz persönlichen Leben, wie auch für ihre Aufgaben.
Damit sind wir bei der biblischen Botschaft des zweiten Fastensonntags.
Der alttestamentliche Bericht bringt es auf den Punkt: Das Festhalten an Gott – auch in einer extrem schwierigen Situation – bringt Segen. An Abraham wird deutlich, dass er bereit war, im Blick auf seinen Sohn Isaak sich und seine Zukunft in die Hand Gottes zu legen. Bis zum Äußersten vertraute er auf Gott.
Leben ohne Vertrauen ist nicht möglich. Menschen, die nur auf sich bezogen sind, die niemandem vertrauen, die vor allem auf materielle Sicherheit bedacht sind, kommen letztlich nicht weiter. Dagegen macht Abraham deutlich, wenn ich Gott vertraue, gewinne ich immer neu Leben.
Im Evangelium wird uns das Ereignis auf dem Berg Tabor berichtet, das auch bekannt ist als „Verklärung Christi“ oder einfacher gesagt und gedeutet: „Petrus, Jakobus und Johannes wird klar, worauf es mit Jesus hinausläuft. Selbst durch den Tod hindurch führt der Weg mit IHM zum Leben. Deshalb ist die Stimme vom Himmel wie eine Bestätigung des Vertrauens auf IHN: ‚Das ist mein geliebter Sohn … auf ihn sollt ihr hören!‘“ Gott selbst hat also geboten, auf Jesus und SEINE Lebensbotschaft zu hören – in allen Um- und Aufbrüchen unserer Zeit und bei allen Neuanfängen. Mit dem Vertrauen eines Abraham und im Blick auf Jesus sollen wir der Welt helfen, den Weg zu einem menschenwürdigen Leben und schließlich zum Leben in Fülle zu finden. Deswegen ist es für uns Christen und die Kirche unerlässlich, uns in den aktuellen Problemen unserer Zeit zu Wort zu melden und deutlich zu machen, dass es um weit mehr gehen muss, als um möglichst viele Milliarden, um vielleicht einen Krieg zu gewinnen.
In der Vorbereitung auf diesen Gottesdienst habe ich im Internet das Stichwort „Friedensgebete“ eingegeben und zahlreiche Einträge gefunden: Gebete, Andachten, Lieder, Texte usw., darunter viele sehr berührende Anregungen zum Innehalten sowie für die Bitte an Gott. Unter vielen dieser Einträge finden sich vier-, fünf- und z.T. sechsstellige sogenannte „Likes“, also Zustimmungen.
Es ist bemerkenswert, dass Gott und der Glaube an IHN für zunehmend mehr Menschen in unserer Gesellschaft an Bedeutung verlieren. Zugleich suchen hunderttausende – darunter viele junge Menschen – im Internet nach Liedern und Gebeten um Frieden.
Die Menschen suchen Antworten auf ihre Fragen. Sie suchen Orientierung in ihren Unsicherheiten und Halt in ihren Sorgen.
Unser christlicher Glaube verschont uns nicht – nicht vor dem Tod, nicht vor dem Kreuz, nicht einmal vor dem Zweifel. Es wäre deshalb falsch an Gott zu glauben, nur damit es uns besser geht, damit wir im Leben vor Problemen verschont werden, damit im Grunde alles glatt läuft. Glaube ist immer ein Suchen, um auf dem Weg zu bleiben, der uns in eine von Gott gesegnete und deshalb gute Zukunft führt.
Unser Glaube braucht immer wieder die Begegnung, die Berührung mit Gott, aber unser Glaube führt uns nicht auf einen Berg, um dort zu verweilen, sondern in den Alltag, in die Beziehungen, die wir dort haben, in unsere Aufgaben, in die Last und das Leid, das uns bedrückt. Es ist nicht möglich, auf dem Berg der Verklärung zu bleiben, um so die Realität des Lebens zu umgehen. Aber mit Gott kann man getrost hinabsteigen und sich den Niederungen des Alltags stellen mit all den eigenen Kreuzen, die man zu tragen hat, und schlussendlich dem eigenen Tod.
Deshalb kommt es darauf an, die Begegnung mit Gott zu suchen und zugleich den Menschen den Blick zu weiten für Gott und seine Lebensbotschaft. Das geschieht z.B. durch die Art und Weise, wie wir den Menschen begegnen, wie wir ihre Not, ihre Last mittragen, wie wir für sie aber auch mit ihnen beten.
Denn dort, wo Gott in das Leben eines Menschen eintritt, ist nichts mehr, wie es vorher war. Jede Gotteserfahrung, ob sie mit Leiden und Kreuz oder mit Freude und Jubel geschieht, hat Auswirkungen auf die künftige Lebensgestaltung.
Darum hat Petrus – wie das Evangelium berichtet – die Gunst der Stunde erkannt und es für seine beiden Freunde mit ausgesprochen: „Es ist gut, dass wir hier sind.“ In einem Moment wurden sie zu Zuschauern dessen, was Ostern sein wird; das ganz andere und neue Leben in der bleibenden Nähe zu Gott.
Der Blick zurück in die Geschichte zeigt, dass es – gerade in unserem Land – immer wieder Menschen waren, die in Zeiten des Umbruchs, des Neuanfangs – auch nach Niedergängen – getragen vom Vertrauen auf Gott Verantwortung übernommen und angepackt haben.
Wenn wir uns heute am 16. März an die Zerstörung Würzburgs vor genau 80 Jahren erinnern, dann wird deutlich, dass es viele überzeugte Christen waren, die beim Aufbau der Gesellschaft, unserer Städte und des Landes nach dem verheerenden Zweiten Weltkrieg angepackt und Verantwortung übernommen haben. Und die Politiker, die die Grundlagen für die Europäische Union gelegt haben und auf eine friedliche Entwicklung der Länder innerhalb Europas hingewirkt haben, waren überzeugte Christen. Ihr Bemühen um Versöhnung und Frieden war aus ihrem Glauben heraus motiviert. Die Anforderungen für ein soziales, gerechtes, menschenwürdiges Miteinander haben unsere Vorfahren also aus dem Geist der Lebensbotschaft Gottes gewonnen.
„Wohin führt dieser Krieg?“ – Diese Frage stand am Anfang. Ich möchte diese Frage ergänzen: Wohin führt ein Leben, das sich nur an materiellen Kategorien ausrichtet? Wer bietet heute Orientierung? Wer stärkt die Zuversicht der Menschen? Wer ermutigt sie, nicht einfach im Strom der gängigen Meinungen und Haltungen mitzuschwimmen?
Von Dietrich Bonhoeffer ist ein Wort überliefert, das er im Augenblick größter Bedrängnis, kurz bevor er hingerichtet wurde, formuliert hat: „Wer Ostern kennt, kann nicht verzweifeln!“ Darum ging es auf dem Berg Tabor! Diese Botschaft heute vor den Menschen in all ihren Sorgen, Unsicherheiten und Ängsten zu bezeugen, darum sollte es uns als Christen, als Kirche bei unserem Dienst, bei unserem Einsatz für die Menschen gehen!
Domkapitular Clemens Bieber
www.caritas-wuerzburg.de
Text zur Besinnung
Menschen
die aus der Hoffnung leben
sehen weiter
Menschen
die aus der Liebe leben
sehen tiefer
Menschen
die aus dem Glauben leben
sehen alles
in einem anderen Licht
(Lothar Zenetti)