Würzburg (POW) Im Konferenzraum im Mutterhaus der Würzburger Erlöserschwestern hat am Montagabend, 14. Juli, Herausgeberin Dr. Monika Berwanger das Buch „Steine, die vom Leben erzählen“ vor rund 100 Personen vorgestellt. Es ist dem am 1. März 2025 verstorbenen Professor em. Dr. Theodor Seidl als Festschrift gewidmet. Am 29. Juni 2025 hätte der langjährige Inhaber des Würzburger Lehrstuhls für Altes Testament und Biblisch-Orientalische Sprachen sein 50. Priesterjubiläum gefeiert. Das Buch vereint unter anderem interreligiöse Betrachtungen unterschiedlicher Autorinnen und Autoren zur Bestattungskultur. Diese nähern sich der Thematik aus christlicher, jüdischer und muslimischer Perspektive.
„Als ich damals mein Grußwort für das Buch schrieb, konnte ich nicht absehen, dass es letztlich zu einem Gedenkwort für Theodor Seidl wird“, sagte Professor Dr. Matthias Reményi, Dekan der Katholisch-Theologischen Fakultät der Universität Würzburg. Er würdigte die disziplinübergreifende Interessenslage, die für Seidl charakteristisch gewesen sei. Mit seiner integrierend-motivierenden Art habe er aufgezeigt, dass Theologie nur „in Osmose“ der Fachbereiche und auch mit Ausblick auf andere Bereiche von Wissenschaft und Leben zu betreiben sei. „Er war ein Aushängeschild der Fakultät, als Mensch, Priester und Wissenschaftler.“
Hochschulreferent und Studentenpfarrer Burkhard Hose, katholischer Vorsitzender der Gesellschaft für christlich-jüdische Zusammenarbeit in Würzburg und Unterfranken, würdigte die Festschrift, die sich unter anderem mit der Dokumentation der Inschriften der Grabsteine auf dem jüdischen Friedhof von Allersheim beschäftigt, als wichtigen Beitrag zur Erinnerungskultur. Es sei „wichtig, die Gegenwart so zu gestalten, dass sich die schlimme Vergangenheit nicht wiederholt“. Ausgehend von Friedhöfen werde sichtbar, welches reiche jüdische Erbe in Unterfranken anzutreffen sei. Die christlichen Kirchen fußten auf jüdischer Tradition und seien daher in der Pflicht, das jüdische Leben sichtbar zu machen. Er dankte allen Beteiligten, besonders Berwanger, für die Beharrlichkeit und die Genauigkeit, mit der sie das im vorliegenden Buch tun. Rabbiner Shlomo Avrasin zeigte sich sehr dankbar für das Buch. „Unkenntnis und Unverständnis sind oft die Wurzel der Ablehnung von Menschen, die anders sind.“ Mit den vielen Erklärungen und Details helfe das Werk, trennende Mauern zwischen den Menschen niederzureißen, betonte der Rabbi.
Neben Beiträgen beispielsweise zu den Herausforderungen der Dokumentation jüdischer Friedhöfe und Untersuchungen zu einzelnen Gräbern oder den Stammbäumen einer ausgewählten jüdischen Familie finden sich nach den Worten der Herausgeberin in dem Band auch Grundsatzartikel zur Bestattungs- und Trauerkultur bei Juden, Muslimen und Christen. „Bei allen Unterschieden ist festzuhalten: Es gibt durchaus auch viele Parallelen.“ So hingen die Riten eng zusammen mit den Vorstellungen des Lebens nach dem Tod.
Exemplarisch stellten drei am Buch Beteiligte den Inhalt ihrer Beiträge vor. Dr. Riccardo Altieri vom Würzburger Johanna-Stahl-Zentrum dankte Berwanger und ihrem Team für die Dokumentations- und Forschungsarbeit an den Allersheimer Grabsteinen. Diese liefere einen wichtigen Beitrag, jüdisches Erbe zu erhalten. Dann gab er einen Einblick in seinen Beitrag zum Buch und berichtete, dass David Schuster lange Jahre jüdische Menschen beerdigt habe, bis im Jahr 2001 Jakov Ebert erster Rabbi der Israelitischen Kultusgemeinde Würzburg und Unterfranken nach der Shoah wurde. „Schuster beerdigte eine gebürtige Berlinerin, die nach dem Krieg nach Bad Kissingen zurückgekehrt war. Erst bei der rituellen Waschung entdeckte man die Nummern-Tätowierung, mit der klar wurde: Sie hat Auschwitz überlebt.“ Details wusste aber niemand, da die Frau in Bad Kissingen praktisch keine Kontakte gehabt habe. Ein ursprünglich in Schwanfeld beheimateter Jude habe ein noch dramatischeres Schicksal erlitten: Er sei nach der Befreiung aus Auschwitz von der Roten Armee in einen Gulag verschleppt worden. Als er nach sieben Jahren Gefangenschaft endlich nach Deutschland zurückkehrte und das Eigentum seiner Immobilien zurückforderte, habe keiner der nun dort Wohnenden darauf eingehen wollen. „Von Behördenseite hieß es nur: Sie hatten bis zu dem bestimmten Stichtag Zeit, Ihr Eigentum einzufordern. Der ist aber verstrichen.“
Von einem Wettlauf gegen die Zeit bei der Dokumentation jüdischer Friedhöfe sprach Dr. Wolfgang Hegel vom Bezirk Oberfranken. Durch Verwitterung und Umwelteinflüsse gingen täglich Inschriften und damit Zeugnisse lebendiger Geschichte verloren. Durch die „Structure from motion“-Technik sei es aber möglich, vollkommen berührungsfrei gute Ergebnisse für die Dokumentation zu erzielen. Im Wesentlichen handele es sich dabei um ein Verfahren, bei dem zwischen 80 und 120 Fotos beim Umkreisen eines Grabsteins aufgenommen werden. Eine Software füge diese Fotos dann zu einem 3-D-Modell zusammen, das sich dann so nachbearbeiten lasse, dass auch scheinbar verloren geglaubte Inschriften wieder lesbar würden.
Wie sie mit detektivischer Kleinarbeit den Stammbaum von Aaron Moses, geboren 1808, erschloss, erläuterte Nina Gretzmacher. Ausgangspunkt waren zwei jüdische Grabsteine in Allersheim. Am Fuß des einen fand sich, nachdem der üppige Grasbewuchs drumherum entfernt war, eine kleine Platte mit lateinischer Inschrift „Anna Mainzer, Gaukönigshofen“. Schnell habe sich gezeigt, dass der wohl des Hebräischen unkundige Steinmetz die Inschrift am Fußende des daneben begrabenen Bruders Mainzers angebracht habe. „Von da ab habe ich unter anderem in Standesamtsunterlagen nachgeforscht.“ Dabei sei eine reichhaltige jüdische Geschichte in Gaukönigshofen zum Vorschein gekommen. „Sie endete allerdings mit der Shoah.“
Für die musikalische Gestaltung des Abends sorgten ein Streichquartett sowie Burkhard Herbert (Gitarre und Gesang).
mh (POW)
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