Die Predigt im Wortlaut:
Das Bild berührt das Herz der Menschen. Die Meldung fand zunächst kaum Beachtung, denn sie reihte sich ein in die vielen Nachrichten von Flüchtlingsdramen, an die wir uns schon gewöhnt haben, aber dann wurden dazu die Bilder gezeigt: Ein kleiner Junge liegt am Strand, es sieht fast aus, als würde er schlafen – doch sein Gesicht liegt im Wasser. Und dann ein türkischer Soldat, der den kleinen Jungen auf Händen vom Ufer wegträgt.
„Er hieß Aylan“ – titelten die Zeitungen. Er stammte aus der nordsyrischen Stadt Kobane. Die Familie war aus der größtenteils zerstörten Stadt vor der Terrormiliz Islamischer Staat (IS) geflohen. Der Vater, der zuvor als Friseur arbeitete, erzählte am Donnerstag unter Tränen von seinem Kampf, seine Familie vor dem Ertrinken zu retten. Hohe Wellen hätten das Boot zum Kentern gebracht: „Ich half meinen beiden Söhnen und meiner Frau und versuchte mehr als eine Stunde lang, mich am gekenterten Boot festzuhalten.“ Als er nach drei Stunden von der Küstenwache gerettet worden sei, seien seine beiden Kinder und seine Frau tot gewesen.
Viele seiner Landsleute wollen nach Europa fliehen, „wo sie in Sicherheit leben können und sich nicht davor fürchten müssen, was die Zukunft bringt“. Aylans Familie wollte weiter nach Kanada, wo eine Tante seit mehr als zwanzig Jahren lebt. Aylan kam nicht einmal bis Europa – seine Reise endete in Sichtweite der EU. Die Familie bezahlte 4.000 Euro an Schlepper.
In Großbritannien, einem Land, in dem „Migration“ ein Reizwort ist, kippte – wenigstens vorübergehend – die Stimmung. Fast alle großen Zeitungen in England druckten die Bilder auf der Titelseite ab. „Ohne Mitgefühl sind wir nichts“, sagte ein Vertrauter von Premier David Cameron, „für das Bild sollten wir uns alle schämen“.
Zwar wurde am Donnerstag die Festnahme von vier Schleusern gemeldet wurde, die Aylans tödliche Überfahrt organisiert haben sollen. Doch das konnte den Vater nicht trösten. Die kanadische Zeitung „Ottawa Citizen“ berichtete unter Berufung auf die Tante von Aylan, sein Vater habe nur noch einen Wunsch: Mit den Leichen seiner Kinder und seiner Ehefrau nach Kobane zurückzukehren – und dann neben ihnen beerdigt zu werden.
Ist das die Zukunft, in die wir gehen? Ist das die
lebenswerte und menschenwürdige Welt, von der wir träumen, für die es lohnt
sich zu engagieren?
Täglich, auch in dieser Stunde, während wir hier feiern, wird das Leben von
unzähligen Menschen an vielen Orten der Erde bedroht durch Terror, Krieg,
ungerechte und unsoziale Strukturen.
In der Welt kann sich nur dann wirklich etwas ändern, wenn
sich der Mensch grundlegend ändert. Genau das machen die biblischen Texte
dieses Sonntags klar:
Der Taubstumme, der auch deshalb nicht reden konnte, weil er nie etwas Gutes
gehört hatte, ein Mensch also, der taub war für jede gute Botschaft, er wird
ganz persönlich berührt von Jesus. Jesus legt den Finger auf den „wunden Punkt“, die tauben,
verschlossenen Ohren. Der Evangelist Markus beschreibt den Vorgang sehr genau,
um klarzumachen, dass es kein Hokuspokus, sondern ein beherztes Handeln aus dem
Innersten heraus war: ER „berührt die
Zunge des Mannes mit Speichel“ und er blickt zum Himmel auf, d.h. er
handelt aus der Kraft Gottes, und sagt: „Éffata,
öffne dich!“
Jesus hat sich von der Not des für ihn fremden Menschen berühren lassen, und zugleich hat er ihn in einer Weise berührt, die sein Leben veränderte – zum Guten hin.
Wo immer seine Jünger sich diese Haltung zu eigen machten, haben sie die Welt verändert – in allen Epochen. So ist uns z.B. aus dem 5. Jahrhundert eine syrische Kirchenordnung überliefert mit einer sehr konkreten Beschreibung für den Dienst von Diakonen. Darin heißt es: „Wenn der Diakon in einer Stadt tätig ist, die am Meere liegt, soll er sorgsam das Ufer absuchen, ob nicht die Leiche eines Schiffbrüchigen angeschwemmt worden ist. Er soll sie bekleiden und bestatten. In der Unterkunft der Fremden soll er sich erkundigen, ob es dort nicht Kranke, Arme oder Verstorbene gibt, und er wird es der Gemeinde mitteilen, dass sie für jeden tut, was nötig ist. Die Gelähmten und die Kranken wird er baden, damit sie in ihrer Krankheit ein wenig aufatmen können. Allen wird er über die Gemeinde zukommen lassen, was Not tut …“
Ein berührender Text, der deutlich macht, wie konkret die Christen sich um die Menschen und ihre Not – selbst die der Fremden – angenommen und dadurch die Welt verändert haben. Nach einer Epoche, in der wirtschaftliches Vorteilstreben, Gewinnsucht und Machtansprüche die Welt und die Weltpolitik bestimmt haben, ist es nun höchste Zeit, dass wir deutlich machen, wie das Zusammenleben der Menschen in der EINEN Welt lebenswert wird, wenn wir aus dem Geist Gottes und SEINER Frohen Botschaft heraus handeln.
Was der Prophet Jesaja, wie wir in der Lesung gehört haben, als Vision, geradezu wie einen Traum, beschreibt, sollte durch uns Wirklichkeit, erfahrbar werden: „Sagt den Verzagten: Habt Mut, fürchtet euch nicht! Seht hier ist euer Gott … er selbst wird kommen und euch erretten … Dann werden die Augen der Blinden geöffnet, die Ohren der Tauben sind wieder offen … selbst in der Wüste brechen Quellen hervor …“
Wenn wir heute in Randersacker das Kirchweihfest feiern, dann müssen wir wissen, dass der Ursprung der Kirchweihfeste zumeist Jahrhunderte zurückliegt und Ausdruck der Freude über die Fertigstellung und Weihe des Gotteshauses war, dadurch wurde den Dörfern und Städten nicht nur städtebaulich eine Mitte gegeben, sondern auch die Mitte im Zusammenleben der Menschen sichtbar, von der wichtige Impulse für das Leben ausgingen.
Und wenn in Randersacker seit vielen Jahren die Gewichtheber
der Sportgemeinschaft zur Kirchweih ein Fest veranstalten, bei dem heuer schon
zum 25. Mal der Frankencup ausgelobt wird, dann geht es nicht nur um
körperliche Fitness und das Kräftemessen im Gewichtheben und Dreikampf, sondern
es geht insbesondere um das kameradschaftliche Miteinander im Verein, um den
Umgang auch mit Schwächeren, um den Blick für den Anderen und was sein Leben
ausmacht.
Deshalb sind gerade die sportlichen Erfolgserlebnisse von Menschen mit
Behinderungen besonders wertvoll, die sie – getragen von der Gemeinschaft des
Vereins – erringen.
So besehen erweisen sich auch die Gewichtheber als Teil einer Gemeinde von beherzten Menschen, die offen sind für die Not ihrer Mitmenschen und sich nicht davor verschließen bzw. taub stellen; auch das gibt es in unserer Gesellschaft. Z.B. hörte ich vor zwei Tagen von einer Beschwerde in der moniert wurde, dass es nicht anginge, die Sporthalle in der betreffenden Gemeinde mit Flüchtlingen – im wahrsten Sinne des Wortes – zu „belegen“ und deshalb derzeit die Gymnastikstunden ausfallen müssten.
Es ist für mich kein Zufall, dass gerade an diesem Sonntag als Frohe Botschaft verkündet wird: Jesus berührt das Herz. Der Ruf „Éffata“ richtet sich an den ganzen Menschen, denn Jesus will nicht nur gesundheitliche Defizite beseitigen, sondern vor allem SEINER Botschaft Gehör verschaffen.
Ein Theologe hat das Problem der Taubheit in unserer Zeit
beschrieben mit der Feststellung, dass wir ständig auf alle möglichen „Stimmen“ und Interessen achten, so dass
wir immer weniger das Wort Gottes hören, deshalb auch nicht darüber reden und
uns schon gar nicht fragen, was SEINE Botschaft für uns in unserer konkreten
Lebenssituation bedeutet.
Von Jesus heißt es: „Er hat alles gut
gemacht!“ Mehr und mehr hat sich verbreitet, dass ER sehr genau Gott und
sehr aufmerksam den Menschen Gehör schenkt. Ebenso hat Jesus nicht verbreitet,
was halt „in“ ist, was alle sagen und
hören wollen, er hat sogar Widerspruch riskiert, um dem Leben zu dienen.
Von IHM berührt können wir andere berühren und bewegen!
Die Betroffenheit über den kleinen Aylan, der tot am Strand aufgefunden wurde,
sollte dazu führen, dass wir nicht schnell umschalten auf das
Unterhaltungsprogramm, sondern hellhörig werden für die Lebensbotschaft Gottes,
um dann auch wieder die Not der Menschen wahrzunehmen.
Wo sich Menschen umeinander annehmen – ob wir an die zuvor zitierte syrische
Kirchenordnung aus dem 5. Jahrhundert denken oder an den türkischen Soldaten
mit dem kleinen Aylan auf den Händen – da können wir auf eine lebenswerte
Zukunft hoffen.
Und so wird das Miteinander zum Fest – nicht nur in diesen Tagen!
Text zur Besinnung
Man lebt
Ich höre, dass man damit leben kann:
Mit Schlaf und Arbeit, Spaß und gutem Essen.
Habt ihr dabei nicht einiges vergessen?
Und überhaupt, was soll das heißen: man?
Und das soll wirklich alles sein,
wofür wir leben, das soll uns genügen:
der Tisch gedeckt, gelegentlich Vergnügen
und Händchen halten und ein Lottoschein?
Man lebt, und mehr fällt euch nicht ein,
als Geld verdienen und ein Auto fahren
und Steuern zahlen und für‘n Urlaub sparen
und abends Fernsehn oder Sportverein?
Es ist nicht viel, was man so Leben nennt:
Erst Kinderspiel, dann selber Kinder kriegen,
dann einmal jährlich in der Sonne liegen
und Rentenanspruch und ein Testament.
Und das soll alles dann gewesen sein
für uns, und sonst soll es nichts geben?
In mir ist Sehnsucht, mehr möcht ich erleben
und Träume haben und unsterblich sein!
(Lothar Zenetti)