Referent Dr. Volker Then vom Heidelberger Zentrum für soziale Investition und Innovation (CSI) machte im Hauptvortrag deutlich: „Der Beitrag des sozialen Sektors am Bruttosozialprodukt beträgt 4,1 Prozent. Das klingt erst einmal nicht noch einer großen Zahl. Bedenkt man aber, dass der Beitrag der Automobilbranche auch exakt bei 4,1 Prozent liegt, gehen einem die Augen auf.“ Während die Autobauer aber nicht unter mangelnder Anerkennung und Wertschätzung litten und auch ein sehr gutes Auskommen hätten, sähe dies im sozialen Bereich ganz anders aus. Wie es um das Image der sozialen Berufe steht, machte Then mit der Frage klar: „Möchten sie, dass ihr Kind einmal ihren Beruf ergreift, dass es Erzieherin oder Altenpfleger wird?“
Chronische Bescheidenheit
In ihrer thematischen Hinführung hatte Organisatorin Julia Stampfer bereits auf das bekannte negative Image der sozialen Berufe hingewiesen und auf die dramatischen Folgen eines rapide um sich greifenden Fach- und Arbeitskräftemangels aufmerksam gemacht. Im Rahmen des EU-Projektes „rückenwind“, in dem es um Personalgewinnung und -bindung geht, wurde im Jahre 2012 eine Befragung in den Caritaseinrichtungen Unterfrankens durchgeführt und anschließend analysiert.“ Die Qualität der sozialen Arbeit wird in dem Maße leiden, in dem der Personalmangel wächst“, stellte Stampfer eines der Resultate vor und wies darauf hin, dass in absehbarer Zeit Patienten und Klienten nicht mehr behandelt und beraten werden könnten. „Als Caritas wollen wir niemanden abweisen, sondern für die Menschen, die Hilfe brauchen, da sein. Das ist dann nicht mehr möglich.“ Stampfer attestierte den Leitungskräften und den vielen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern in KiTas, Sozialstationen und in den Einrichtungen der Kinder-, Jugend- und Altenhilfe eine „chronische Bescheidenheit“ und rief zu mehr Selbstbewusstsein im Eintreten für die eigenen Interessen auf. „Stellen wir doch mal die Frage, was wäre wenn? Was wäre, wenn es die Einrichtungen, Dienste und Angebote der Caritas nicht mehr gäbe?“
Das Soziale erzielt positive Erträge und erwünschte Wirkungen
Volker Then, Soziologe, Historiker und Wirtschaftswissenschaftler, griff diese Frage auf und zeigte, dass bereits ökonomische Gesichtspunkte für die Mehrheit der sozialen Einrichtungen sprächen. Es stimme schlicht und ergreifend nicht, dass das Soziale nur Kosten verursache. „Allerdings steckt die exakte Forschung auf diesem Gebiet noch in den Kinderschuhen“, schob der Heidelberger Wissenschaftler nach. Man müsse Modelle bauen, um Faktoren genauer ermitteln zu können. Viele der vorhandenen Studien auf diesem Gebiet geben nicht her, was ihr Titel verspreche. Then unterfütterte seinen akademischen Vortrag mit praxisnahen Beispielen. Einrichtungen etwa, die sich um sozial auffällige Jugendliche kümmerten, würden erst einmal Kosten verursachen. Schaue man aber mittel- und langfristig hin, lassen sich höhere Erträge feststellen. „Jugendliche, denen wir zu einer Normalbiografie verhelfen, werden Steuer- und Beitragszahler und verursachen keine weiteren Kosten in den Sozialsystemen.“ Der große Unterschied zur Privatwirtschaft bestehe darin, dass eine soziale Einrichtungen die Investitionen zu tätigen habe, während andere, nämlich die Gesellschaft im Ganzen, die Erträge ernte.
Then machte deutlich, dass die monetäre Dimension nicht im Mittelpunkt stehe, obwohl es auch im sozialen Sektor immer wieder um Geld gehen müsse. „Wie kann dann aber die Wirkung einer sozialen Investition gemessen werden?“ In der privaten Wirtschaft sei die Systematik einfach und drücke sich in Profit aus, in einer KiTa oder einer stationären Einrichtung der Altenhilfe sei dies schon viel schwieriger. Entscheidend sei, so Then, dass der Dienst der Caritas eine gesellschaftliche Legitimation habe. Dabei gehe es um Netzwerke, Wertevermittlung, Nachbarschaften im Lebensraum der Menschen und andere Aspekte, die sich nicht rein monetär auflösen ließen. Auch wenn nicht immer klar sei, ob ein positives Resultat einer konkreten Maßnahme zugerechnet werden könne, wird der Wert sozialen Engagements nicht bestritten. „Es geht um die Zufriedenheit der Menschen“, benannte Then das zentrale Kriterium.
Thens Vortrag nahm die Zuhörerinnen und Zuhörer mit in das Feld moderner Wirkungsforschung und bot eine Fülle an hilfreichen Argumentationen, die gleichzeitig als Einladung zu mehr Selbstbewusstsein aufgefasst werden konnten. „Ich bin kein Prophet, aber ich sehe hier Ansätze für eine gute Entwicklung“, ließ Then auf eine Frage aus dem Publikum nach der Zukunft sozialer Berufe, wissen.
Workshops: Die Praxis zur Theorie
Am Nachmittag boten fünf moderierte Workshops Gelegenheit zur Vertiefung von Einzelaspekten für die praktische Alltagsarbeit.
Was lässt sich tun zur Förderung der Gesundheit von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern? Welche Rolle spielt die Zugehörigkeit zu einem christlichen Träger im Alltag einer Einrichtung? Welche Werte werden gelebt? Wie kann die Mitarbeitervertretung (MAV) unterstützend tätig werden, so dass die Mitarbeitenden nicht nur für die ihnen anvertrauten Patienten und Klienten, sondern auch für sich selbst gut sorgen? In allen Workshops ging es nicht zuletzt um die Frage nach Wertehorizonten und umgesetzter Wertschätzung.
Caritasdirektor Martin Pfriem hatte am Vormittag den Fachtag mit einem Statement eröffnet; Domkapitular Clemens Bieber, Vorsitzender des Caritasverbandes in der Diözese schloss es am Nachmittag mit einem eindringlichen Vortrag ab. Er war kurzfristig für den erkrankten Landtagsabgeordneten Joachim Unterländer eingesprungen.
Politische Diskurse
„Es ist erschreckend, dass gerade jüngere Leute in der Politik, Mandatsträger von der kommunalen Ebene bis in Landes- sowie Bundespolitik wie auch Ministerialbeamte das Wort Subsidiarität nicht mehr zu buchstabieren wissen“, kritisierte Bieber die bisweilen herrschende zentralistische Regulierungswut. Dabei habe man sich nach der Diktatur der totalitären, alles beherrschenden Systeme bewusst dafür entschieden, in die Gestaltung des freiheitlichen Gemeinwesens bürgerschaftliches Engagement einzubinden und zu fördern und nur dort regulierend einzugreifen, wo dies dringend erforderlich sei. „Der Staat tut gut daran, sich dort, wo andere Akteure gute Arbeit leisten, herauszuhalten.“ An zahlreichen Beispielen zeigte der Domkapitular, wie schwierig es bisweilen sei, der Politik gegenüber das bewährte Modell der Subsidiarität verständlich zu machen. Es könne nicht angehen, dass eine Kommune die eigene KiTa finanziell besser ausstatte, als die eines freien Trägers; es könne nicht angehen, dass die Caritas im Bereich der Flüchtlingsberatung seit Jahren unzureichend refinanziert werde und nun, da die Zahl der Asylbewerber und Flüchtlinge steige, mit großen Beträgen in Vorleistung gehen müsse, weil die staatlichen Systeme viel zu träge reagiere. „Die Menschen brauchen jetzt Unterstützung und nicht erst, wenn Haushaltsmittel bewilligt sind.“ Allerdings müsse man auch auf Seiten der Bürgerinnen und Bürger eine zunehmende Staatsgläubigkeit diagnostizieren. Sobald es Schwierigkeiten gebe, würde an vielen Orten reflexartig nach dem "Vater" Staat gerufen, der alles organisieren solle. Als Caritas halte man in Unterfranken auch weiterhin an der katholischen Soziallehre und damit am Prinzip der Subsidiarität fest. „Die Arbeit muss dort verortet sein, wo die Menschen sind. Und sie muss dort auch verantwortet werden.“ Caritas fördert damit das Bewusstsein für Solidarität, der Verantwortung füreinander und verdichtet damit das soziale Netz in der Gesellschaft. "Wo der Staat alles regelt, wird der Bürger entmündigt, wird ihm die Chance genommen, sich zu engagieren." Anerkennend und verständlich gegenüber der Politik äußerte sich der Caritas-Chef: „Ich weiß, dass auch die Politiker bei der Fülle der Aufgaben und Anfragen oft überfordert sind. Wer einmal den Schreibtisch eines Abgeordneten gesehen hat kann das nachvollziehen.“ Umso dankbarer sei man für jeden, der ein Gespür für die Anliegen der Caritas habe.
Briefe an die Politik
Julia Stampfer übergab an Domkapitular Bieber einen Stapel Briefe an die Politik. „Die Wünsche und Anregungen kommen aus den vielen Einrichtungen der Caritas und haben nur ein Ziel“, sagte Stampfer, „die Rahmenbedingungen zu verbessern, damit soziale Berufe wieder attraktiver werden.“ Bieber versprach die Anliegen weiterzugeben und sich immer wieder im Kontakt zur Politik für die Belange der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter einzusetzen.
Dank
Viel Applaus erhielten Dr. Volker Then und Domkapitular Bieber für ihre Vorträge, ebenso die Moderatoren der Workshops und nicht zuletzt Julia Stampfer und ihr Team für die hervorragende Vorbereitung und Durchführung des Fachtages. Und am Montag beginnt wieder eine neue Arbeitswoche, in der Gehörtes und Erfahrenes im Sinne der Wertschätzung und -schöpfung seine Wirkung entfalten kann.