Würzburg. Den lange versprochenen Armutsbericht muss die bayerische Staatsregierung noch vor der Landtagswahl im September veröffentlichen, fordert die Bezirksarbeitsgemeinschaft der freien Wohlfahrtspflege (BezAGFW). Auf einer Pressekonferenz stellte sie ihre sozialpolitischen Forderungen und Positionen für die Öffentlichkeit und die Kandidaten des unterfränkischen Bezirks- und des bayerischen Landtages vor. Die Mitglieder der Arbeitsgemeinschaft - der Caritasverband für die Diözese Würzburg, das Diakonische Werk Würzburg und die Bezirksverbände des Bayerischen Roten Kreuzes, des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes, der Lebenshilfe Bayern, der Arbeiterwohlfahrt und des Landesverbandes der Israelitischen Kultusgemeinden in Bayern - repräsentieren 1.300 Einrichtungen mit über 18.500 Beschäftigten.
Fast zwei Millionen Kinder unter 15 Jahren leben in Deutschland in relativer Armut, allein in Unterfranken sind über es 17.500. Auf Sozialeinkommen sind in Unterfranken 64.000 Menschen angewiesen. Als Armutsgrenze gilt ein monatliches Einkommen von 700 bis 800 Euro. Armut, schlechte Bildung und schlechte Gesundheit sind in Deutschland wie in kaum einer anderen Industrienation miteinander verbunden. Armut vererbt sich. Um auch armen Kindern den Zugang zu Bildung zu ermöglichen, müsse der Hartz-IV Satz für schulpflichtige Kinder angehoben werden, so Pfarrer Jochen Keßler-Rosa, Geschäftsführer des Diakonisches Werks Schweinfurt. „Für 1,63 Euro im Monat kann kein Schulkind ausgestattet werden.“ Statt der jährlich 25 Euro Schulkosten im Hartz IV-Regelsatz belaufen sich die tatsächlichen Kosten auf bis zu 550 Euro.
Reibereien zwischen öffentlichen Kostenträgern stellen immer wieder eine zeit- und kräftezehrende Angelegenheit dar. Als Beispiel nannte der Vorsitzende der Arbeitsgemeinschaft, Caritasdirektor Martin Pfriem, die Planungsunsicherheit bei Kindern mit Behinderung. Seit Einführung des Bayerischen Kinder- Bildungs- und Betreuungsgesetzes (BayKiBiG), das u.a. den erhöhten Aufwand für solche Kinder stärker berücksichtigt, streiten sich Bezirk und Sozialministerium regelmäßig um die Übernahme dieser Kosten. „Die Leidtragenden sind die Kinder und ihre Eltern,“ so Pfriem. Da das neue Gesetz die Betreuungskosten für Kinder mit Zusatzaufwand wie z.B. Behinderungen, Sprach- oder Migrationsproblemen deutlich mehr berücksichtige, seien vor allem kleine Kitas, die solche Kinder nicht hätten, in Gefahr.
Mehr sprachliche Förderung der Migranten als Voraussetzung der Integration in jede fremde Gesellschaft forderte Katrin Speck, Geschäftsführerin des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes. Angesichts der ca. 2,4 Millionen Menschen in Bayern mit einem Migrationshintergrund müsse die Staatsregierung mehr Geld zur Finanzierung der Integrationsberatungsstellen bereitstellen. "Leider gibt es nur unzureichend Geld für Neuzugänge, nicht aber für die Begleitung der Menschen, die schon einige Zeit bei uns leben".
Ein großes Anliegen sind allen Verbänden administrative Erleichterungen in der Altenhilfe. Die Flut an Vorschriften und Gesetzen erweise sich als kontraproduktiv. Die Zahl der Gesetze bezüglich der Altenhilfe liege mit achtzig doppelt so hoch wie die für Atomkraft, verdeutliche Bernhard Pammer, Geschäftsführer der Arbeiterwohlfahrt, die Situation. Angesichts der Vergreisung unserer Gesellschaft werde der Mangel an Pflegekräfte schnell zunehmen. Doch viele Altenheime würden heute keine neuen Pflegekräfte mehr ausbilden, da sie die Ausbildungskosten nicht über die Pflegesätze bezahlt bekämen. "Wer nicht ausbildet, wird vom System belohnt", so Pammer.
Mehr Förderung für Menschen mit Behinderung
Wolfgang Trosbach, Vorsitzender der Lebenshilfe, beschrieb Probleme im Bereich der Förderstätten für mehrfach behinderte Menschen. Können sie nicht in einer Werkstatt für behinderte Menschen arbeiten, müssten sie in Förderstätten betreut und gefördert werden. Bis zu dreihundert Menschen sind davon in Unterfranken betroffen. Warum der Bezirk Unterfranken als einziger in Deutschland diese Möglichkeit verwehre, ist Trosbach nicht klar. Zieht hier nämlich ein Betroffener von seiner Familie in eine Wohnstätte um, bewilligt der Bezirk nur eine Betreuung im Wohnheim, nicht aber in einer Förderstätte. Die Wohlfahrtsverbände fordern den Bezirk auf, allen Menschen mit schwerer Behinderung den Besuch einer Förderstätte zu ermöglichen, egal ob sie zu Hause oder in einer Wohneinrichtung leben. Ein ähnlich großes Dilemma existiert laut Trosbach bei Kurzzeitpflegeplätzen für Menschen mit Mehrfachbehinderungen. Angehörige, die ihre behinderten Familienmitglieder betreuen, finden im Verhinderungsfall kaum Entlastung, da die Einrichtungen solche Plätze nicht vorhalten können. Die Kostenträger gingen von einer unrealistischen hundertprozentigen Auslastung aus. Die Konsequenz: Betroffene Familien können über Jahrzehnte keinen Urlaub machen oder sich eigene Krankheiten oder Hobbys leisten. Auch die wirtschaftliche Situation der Frühförderstellen von Kindern mit Behinderung - in Unterfranken sind davon ca. 2.500 Kinder betroffen - habe sich in den letzten Jahren dramatisch verschlechtert. Viele solcher Einrichtungen, so Trosbach, wären daher deutlich defizitär.
Reinhold Dietsch, Geschäftsführer des Bezirksverbandes des Bayerischen Roten Kreuzes, warnte vor einer Mittelreduzierung bei sozialpsychiatrischen Hilfen. Angesichts der Tatsache, dass psychische Störungen nach Angaben der Weltgesundheitsorganisation mittlerweile zu den häufigsten Beratungsanlässen in Allgemeinpraxen gehören und die vierthäufigste Ursache für Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen sind, forderte er eine finanzielle Absicherung und bedarfsbezogene Weiterentwicklung solcher Maßnahmen.
An diesen sozialpolitischen Forderungen, darin sind sich die unterfränkischen Wohlfahrtsverbände einig, muss sich die Politik messen lassen. Die Bezirks- und Landespolitik forderten sie auf, die hierfür nötigen Rahmenbedingungen zu schaffen.
Die vollständigen Forderungen der (BezAGFW) im Downloadverzeichnis. Die Forderungen der Landesarbeitsgemeinschaft unter www.lagfw.de