Die Predigt im Wortlaut:
Am Montag, am Tag vor Heiligabend, hörte ich dem Gespräch eines Hörfunkmoderators mit einem Mann zu, der in einer großen Verkaufskette arbeitet. Er berichtete, dass er am nächsten Tag, also an Heiligabend, erst dann nach Hause gehen könne, wenn nach Geschäftsschluss noch die Weihnachtsdekoration weggeräumt sei; denn wenn nach den Feiertagen der Markt wieder öffnet, soll nichts mehr an Weihnachten erinnern, sondern schon alles für Silvester vorbereitet sein.
In der Tat empfinden inzwischen die meisten Menschen in unserer Gesellschaft den Heiligen Abend als den krönenden Abschluss der sogenannten Vorweihnachtszeit. Der Advent als Zeit der Erwartung und Vorbereitung auf die Geburt Christi verschwindet mehr und mehr aus unserem Bewusstsein und damit auch aus unserem Sprachschatz. Und am eigentlichen Weihnachtsfest, am 25. Dezember, ist im Vergleich zum 24. Dezember schon kaum mehr weihnachtliche Musik in den verschiedenen Radiosendern zu finden.
Die Botschaft des menschgewordenen Gottes wird für einige Stunden, allenfalls Tage auf ein niedliches Kind und eine sentimentale Inszenierung reduziert, die inzwischen zu einem harten Wirtschaftfaktor geworden ist.
Umso bedeutungsvoller ist es, dass Ihre Vorfahren hier in Randersacker mit dem hl. Stephanus als Patron Ihrer Kirche und Ihrer Gemeinde den ersten Märtyrer der jungen Kirche ausgewählt und damit das Zeugnis für den menschgewordenen Gott den nachfolgenden Generationen ins Stammbuch geschrieben haben und damit auch uns heute. Sie stehen damit in der urchristlichen Tradition, in der von Anfang an die Botschaft des menschgewordenen Gottes im Zusammenhang von Krippe und Kreuz gesehen wurde.
Weihnachten endet eben nicht in der Heiligen Nacht, sondern wird mit großer Freude erst richtig am Weihnachtstag gefeiert. Und der Stephanustag setzt ein wichtiges Zeichen, dass Weihnachten weitergeht, dass die Menschwerdung Gottes Konsequenzen hat.
Stephanus hat mit Klugheit und in aller Klarheit den Glauben an Jesus, den menschgewordenen Gott und SEINE Auferstehung, verkündet und deutlich gemacht, dass die Frohe Botschaft Auswirkungen hat auf das Leben des Einzelnen und das Zusammenleben der Menschen.
Doch wie die Lesung aus der Apostelgeschichte erinnert, fand diese Botschaft keinen Anklang bei den Meinungsführern, im Gegenteil, sie wurde abgelehnt.
Und daran hat sich in den vergangenen zweitausend Jahren wenig geändert. Es geht um die Wegweisung Jesu zu einem erfüllten Leben. Um diese zu diskreditieren, werden diejenigen öffentlich an den Pranger gestellt, die mutig dafür einstehen und – wie bei Stephanus deutlich wurde – werden sie wegen ihrer Überzeugungskraft sogar als gefährlich erachtet.
Da auch Christen Menschen mit Fehlern und Schwächen sind, sind diese persönlichen Defizite oftmals ein willkommener Anlass, um die Frohe Botschaft in Zweifel zu ziehen, lächerlich zu machen oder als unsinnig abzutun.
Damit will ich aber keineswegs rechtfertigen, dass jemand unter frommem Schutzmantel sich selbst Vorteile verschafft oder die Würde von Menschen zutiefst verletzt.
Stephanus war als Diakon dafür verantwortlich, dass der Auftrag Jesu zum Dienst am Nächsten in der Gemeinde der Christen nicht vergessen, im Gegenteil als wesentlicher Auftrag wahrgenommen wurde, um so die Menschenfreundlichkeit und das Erbarmen unseres Gottes zu bezeugen. Er kümmerte sich darum, dass alle mit dem Notwendigsten versorgt wurden. Genau deshalb galt Stephanus als unbequem.
Ähnliches erlebte ich kürzlich bei einem Gespräch, bei dem es um die menschenwürdige Unterbringung von Asylbewerbern ging, der Hausbesitzer hielt mir im Hinblick auf die – um es vorsichtig zu sagen – nicht gerade einladende Unterkunft vor: „Hat der Bischof nichts Besseres zu tun, als dorthin zu gehen?“
Zurück zu Stephanus: Sein Einsatz, seine Haltung stießen auf heftige Ablehnung, weil in der gängigen Lebenspraxis viele übersehen und vergessen wurden und der einzelne Mensch mit seiner Not und Hilfsbedürftigkeit nicht zählte und man vor allem auf den eigenen Vorteil bedacht war. Aber genau daran wird deutlich, wie wichtig für Gott jeder Mensch ist, gerade der sozial schwächste. SEINE Sorge und Güte gilt allen.
Deswegen endet Weihnachten für uns nicht in der Heiligen Nacht, sondern beginnt erst in ihr. Das Geschehen vor über zweitausend Jahren in Betlehem bewegt uns, Gott für seine Menschenfreundlichkeit zu preisen und seinen Auftrag zum Dienst am Nächsten in die Tat umzusetzen.
Dazu aber braucht es Mut. Das galt für Stephanus damals und wie in allen Zeiten erfordert es auch heute Mut, den Glauben an den menschgewordenen Gott zu bezeugen und aus SEINER Frohen Botschaft den entscheidenden Wegweisungen für das Leben zu folgen.
Dass es Mut braucht, wird Tag für Tag deutlich so wie gestern, als im Irak in der Nähe einer Kirche eine Bombe hochging, während die Christen den Weihnachtsgottesdienst verließen.
Dass es Mut braucht, sich auch durch Lächerlich-Machen nicht von seiner Überzeugung abbringen zu lassen, erfahren wir in unseren Breiten auf vielfältige Weise. Das beginnt in zahlreichen Kabaretts und setzt sich fort bis hin zu Aktionen wie gestern im Kölner Dom, wo eine Aktivistin der Protestorganisation Femen während des Gottesdienstes auf den Altar sprang und schrie „I am God“, Ich bin Gott, was auch auf ihrer entblößten Brust zu lesen war. Kardinal Meisner ließ sich nicht aus der Fassung bringen und betete sogar im Laufe des Gottesdienstes für diese Frau.
Es braucht Mut, im Gespräch mit den heranwachsenden Kindern und ihren kritischen Fragen den christlichen Glauben zu begründen, ebenso im Kreis von Kollegen und Vereinskameraden.
Es braucht Mut, im gesellschaftlichen Engagement, ob in der Kommunalpolitik oder in den Parlamenten in Land, Bund und Europa, sich als Christ erkennen zu geben, so wie es Mut braucht, in der Öffentlichkeit – z.B. in einer Talkshow – zu seinem Christsein zu stehen.
Der Glaube an den menschgewordenen Gott ist kein ausschmückendes Beiwerk des Alltags, der wie ein Deko-Artikel bei bestimmten Lebensereignissen eingesetzt wird und wie die Christbäume aus den Geschäften verschwindet, sobald der Umsatz gemacht ist.
Aktuelle Untersuchungen belegen, dass viele Menschen, gerade junge, in unserer Gesellschaft auf der Suche sind. Sie halten Ausschau nach einem glaubwürdigen Weg zu einem sinnvollen und erfüllenden Leben. Viele finden die Wahrheit aber nicht in den gedruckten Buchstaben der Bibel oder einer noch so stimmigen Erklärung des Glaubens, sondern sie lesen die Wahrheit der Frohen Botschaft des menschgewordenen Gottes ab an dem Tun und Verhalten derer, die sich Christen nennen.
Dass wir nach zweitausend Jahren noch um Stephanus und seinen Mut wissen, hängt damit zusammen, dass er mit seinem Verhalten bis ins Sterben hinein glaubwürdig war.
Gerade weil die Christbäume vielfach schon jetzt wieder verräumt werden und weil für manche das Fest des hl. Stephanus einfach nur fromme Tradition ist, deswegen kommt es darauf an, dass wir in unserer Zeit den Glauben bekennen und so die Hoffnung beleben, die Menschen erfüllen und bewegen kann. Unsere Welt braucht keine Dekorateure, sondern mutige, glaubwürdige und überzeugende Christen!
Nach der Kommunion zur Besinnung
Winterpsalm
so nennt Lothar Zenetti dieses Gedicht:
Es ist jetzt nicht die Zeit,
um zu ernten.
Es ist auch nicht die Zeit,
um zu säen.
An uns ist es,
in winterlicher Zeit uns
eng um das Feuer zu scharen
und den gefrorenen Acker
in Treue geduldig zu hüten.
Andere vor uns haben gesät.
Andere nach uns werden ernten.
An uns ist es,
in Kälte und Dunkelheit
beieinander zu bleiben und,
während es schneit, unentwegt
wachzuhalten die Hoffnung.
Das ist es.
Das ist uns aufgegeben
in winterlicher Zeit.