Die Besinnung im Wortlaut:
Menschlichkeit – diese Haltung wird dieser Tage bei uns deutlich. Landauf landab engagieren sich unvorstellbar viele Menschen für die Flüchtlinge, die aus den Krisengebieten unserer Erde zu uns kommen. Krieg, Terror, brutale Gewalt und Unmenschlichkeit bedrohen ihr Leben. Sie nehmen die unberechenbare Gefahr eines viele tausend Kilometer langen Fluchtweges auch über das weite offene Meer in Kauf. Einige setzen ihr ganzes Vermögen ein, in der Hoffnung, dass sogenannte Schleuser ihnen weiterhelfen.
Nach all den teilweise schlimmen, oft traumatisierenden Erfahrungen, die sich ihrer Seele einbrennen, wenn sie Misshandlungen, Missbrauch miterleben oder am eigenen Leib erfahren müssen, wenn Angehörige vor ihren Augen gequält werden und sterben, erhalten sie nun bei uns nicht nur Essen und Trinken, warme Kleidung und eine weiche Matratze zum Ausruhen, zum Schlafen, sie erfahren durch die Art und Weise, wie die Helferinnen und Helfer ihnen begegnen ganz einfach Menschlichkeit.
Keiner der Flüchtlinge, die bei uns ankommen und Zuflucht suchen, weiß, wohin sein weiterer Weg führt, wo er letztlich eine Bleibe finden wird, aber hier fühlen sich sicher und geborgen. Sie spüren Menschlichkeit. Sie ahnen, unter all den Grausamkeiten dieser Welt gibt es auch Erbarmen, Zuneigung und aufrichtige Sorge.
Es ist erschreckend, dass es bei uns auch gehässige Äußerungen im Internet gibt, die den Menschen, deren Leben bedroht ist, keine Hilfe zukommen lassen wollen. Andererseits lässt sich die berechtigte Sorge nicht ausblenden, dass es vereinzelte Fanatiker geben könnte, die sich unter die Flüchtlinge mischen, um bei uns oder irgendwo sonst in Europa Angst und Schrecken zu verbreiten. Aber all das hält – wie wir derzeit erleben – weder die politisch Verantwortlichen noch die unzähligen Helfer ab, sich derjenigen anzunehmen, die bei uns ankommen.
Diese wundervolle, immens große Hilfsbereitschaft in unserem Land gilt es in den Blick zu nehmen und dafür dankbar zu sein, denn sie ist ein Zeichen von Menschlichkeit, die dem Leben eine höhere Qualität und seinen unendlichen Wert verleiht.
Es passt gerade heute am 8. September, diese großartige Hilfsbereitschaft zu bedenken. Denn am 8. September begeht die Kirche das Fest „Mariä Geburt“. Es ist kein historisch genaues Datum ihrer Geburt bekannt. Der Gedenktag wurde vermutlich im 5. Jahrhundert im Zusammenhang mit der Weihe der St. Anna-Basilika im Jerusalem festgelegt. Anna und Joachim waren die Eltern von Maria. Der Name, den sie ihrem Kind gaben, war zugleich Programm: „Die von Gott geliebte“.
Durch sie wurde die Liebe Gottes in der Welt erfahrbar. Dabei ist bemerkenswert, dass am Gedenktag ihrer Geburt als Evangelium der sogenannte Stammbaum Jesu verkündet wird. Der Evangelist Matthäus stellt in der von ihm verfassten Lebensbeschreibung Jesus in eine Linie von Menschen, die Geschichte geschrieben haben und zwar sowohl mit guten, aber auch mit schwierigen, schlimmen Erinnerungen. In dem Auf und Ab der Menschheitsgeschichte werden immer wieder durch Menschen wie Maria menschliche Nähe, Mitgefühl und Mitsorge erfahrbar und weisen hin auf Gott, der das Leben will; schließlich stellt sich Gott in Jesus selbst in diese Reihe.
Deshalb ist ebenfalls bemerkenswert, dass unmittelbar neben der Basilika St. Anna, die der Überlieferung nach als Geburtsort von Maria gilt, der sogenannte Bethesda-Teich liegt. Jesus hat hier nach dem Bericht des Johannesevangeliums einen Gelähmten geheilt. Damit hat er nicht nur deutlich gemacht, dass die Hilfe von Gott größer ist als die beschränkten Heilungskräfte einer wundersamen Quelle. Gleichzeitig hat Jesus mit seinem Wirken auch die Not des Mannes überwunden, dem niemand half, in den Teich zu steigen.
Das Evangelium in der Liturgie des 8. Septembers endet damit, dass Maria und Josef ihrem Kind den Namen Jesus gaben, der bedeutet: „Gott rettet“.
Damit komme ich zurück zu den Menschen, die bei uns Zuflucht suchen, und den vielen, die bereit sind, sich zu einzusetzen, zu helfen und damit ein Zeichen von Menschlichkeit zu geben. Durch sie können die bei uns ankommenden, Zuflucht suchenden Menschen etwas erahnen von Gott, der das Herz ihrer Helferinnen und Helfer erfüllt und mit ihnen ist, wenn sie fremden Menschen selbstlos ganz einfach helfen wollen, damit sie sich sicher und geborgen fühlen.
Unsere Welt, auch unsere Gesellschaft, braucht Menschlichkeit – so wie sie durch Maria deutlich wurde. Viele Menschen praktizieren auch heute – ob bewusst oder unbewusst – diese Menschlichkeit, die mehr ist als „nur“ Humanität, die vielmehr ein glaubwürdiges Zeugnis ist für Gott.