Die Predigt im Wortlaut:
Nine Eleven – am 11. September 2001, also gestern vor genau 20 Jahren, ereignete sich das Attentat des islamistischen Terrornetzwerks Al-Qaida unter Führung von Osama bin Laden. Das World Trade Center in New York wurde zum Einsturz gebracht. In den Trümmern starben 2 996 Menschen. Damit änderte sich schlagartig die weltpolitische Lage. Der islamistische Terror wurde als Bedrohung empfunden. Seither haben die Spannungen zwischen der westlichen und islamischen Welt zugenommen. Das Bemühen der westlichen Industrienationen, der Bedrohung durch den islamistischen Terror zu begegnen und diesen an der Wurzel auszumerzen, scheiterte jäh, wie der letztlich erfolglose Einsatz in Afghanistan zeigte.
Im Westen besteht größte Unsicherheit im Umgang mit dem Islam. Dabei wird häufig nicht wirklich zwischen dem Islam als Religion und dem ideologisch verblendeten islamistischen Terror, der die Religion für seine Ideologie benutzt, unterschieden. Ebenso vermengen viele in den islamisch geprägten Regionen der Erde die freien, demokratischen und wirtschaftlich starken Länder mit dem in diesen Ländern weitgehend verbreiteten Christentum. Auch deshalb erachten viele, die einer der verschiedenen islamischen Glaubensrichtungen anhängen, uns Christen als Ungläubige.
Um auf Frieden in der Welt hinzuwirken gilt es, zwischen den religiösen Überzeugungen und den ideologischen Verblendungen zu unterscheiden und dabei selbst der Friedensbotschaft der eigenen Religion zu folgen und entsprechend zu handeln. Vor einiger Zeit wurde Angela Merkel bei einer Podiumsdiskussion an der Universität Bern von Studenten gefragt: „Wie wollen Sie Europa vor Islamisierung schützen?“ Darauf antwortete die Bundeskanzlerin: „Wir können uns ja nicht beschweren, dass Muslime den Koran besser kennen als wir die Bibel.“
In der Tat ist die Kenntnis von Religion und das Bewusstsein für Religion in unserem Land nicht sonderlich ausgeprägt. Vorherrschend scheinen pauschale Urteile über die christlichen Kirchen zu sein, während andere Religionen unter dem heute grundsätzlichen Aspekt der Gleichheit erachtet werden. Vor diesem Hintergrund ist es interessant, die Wahlprogramme der einzelnen Parteien zur Bundestagswahl im Blick auf das zu vergleichen, was sie im Verhältnis zu den Religionen sagen. Dabei ist interessant, welche gar nichts oder nur wenig über die christlichen Kirchen aussagen.
Mir fällt auf, dass einige Parteien, die Regierungsverantwortung anstreben, sehr deutlich Bildungsangebote zum Judentum sowie Sensibilisierungs- und Präventionsprojekte gegen Antisemitismus als erforderlich ansprechen. Ebenso solle in Deutschland lebenden Muslimen und ihren Einrichtungen größtmögliche Sicherheit garantiert werden. – Damit wir uns nicht falsch verstehen: Das kann ich alles unterstützen! Dennoch bin ich vorsichtig bei der Forderung, mit islamischen Religionsgemeinschaften Staatsverträge abzuschließen. Als Grund wird in den einzelnen Wahlprogrammen angeführt, dass der Staat keine Religion bevorzugen dürfe. Dass die islamischen Religionsgruppen keine inhaltliche wie organisatorische Einheit bilden wie etwa die christlichen Kirchen, dürfe für den Muslimen nicht zum Nachteil gereichen und Staatsverträge verhindern. Eine Partei fordert dagegen die Abschaffung der Lehrstühle für islamische Theologie bei uns.
Eine Partei will den Kampf des Einzelnen gegen große Systeme – wozu auch die Kirchen gehören – verstärken, spricht sich gegen die Taufe von unmündigen Kindern aus, und sieht Schwangerschaftsabbrüche als „Teil der Gesundheitsversorgung“. Der Appell nach einem säkularen Staat wird immer lauter verbunden mit der Abschaffung von Tanzverboten und ähnlichen Einschränkungen an stillen Feiertagen. Ebenso konträr zur kirchlichen Haltung werden Forderungen erhoben zu zentralen ethischen Fragen z.B. zur Fortpflanzungs- und Reproduktionsmedizin, zu Abtreibung und Sterbehilfe, also zum Lebensschutz. Anstelle der klassischen Ehe sollen weitere Formen des Zusammenlebens gesetzlich verankert werden.
Während die Aussagen zum Judentum und zum Islam ausführlich formuliert sind, sind die Aussagen zu den christlichen Kirchen insgesamt eher zurückhaltend und im Ton kühl. Zwar wird von Einzelnen den christlichen Kirchen zugestanden, dass sie der Gesellschaft vielfältige Impulse geben und einen wichtigen Beitrag für den gesellschaftlichen Zusammenhang leisten, etwa im Sozialbereich oder beim Engagement für geflüchtete Menschen, dennoch soll das Verhältnis zwischen Staat und Kirche der heutigen gesellschaftlichen Realität angepasst werden. Offensichtlich haben die Parteien, die den Kirchen nur noch eine marginale Rolle zugestehen, sie nur als Randerscheinungen in der Gesellschaft erachten, vergessen, welche wichtige Aufgabe die Kirchen z.B. aktuell in der Pandemie wahrgenommen haben und wahrnehmen durch ihren sozial-caritativen Dienst. Ebenso geben die christlichen Kirchen durch ihre pastoralen, seelsorglichen Bemühungen den Menschen gerade in Zeiten großer Verunsicherung Halt und Zuversicht.
Doch die den Kirchen durch das Grundgesetz bislang zugestandenen Selbstbestimmungsrechte, wie etwa im kirchlichen Arbeitsrecht, sollen aufgehoben werden. Außerdem soll der sogenannte Blasphemie-Paragraf, der die Beschimpfung von religiösen Bekenntnissen und Gemeinschaften unter Strafe stellt, gestrichen werden.
Unsere Gesellschaft befindet sich im Umbruch. Damit verändern sich auch viele geistige, geistliche wie auch ethische Grundlagen für das Zusammenleben der Menschen. Aber gerade in Zeiten des Umbruchs braucht es klare Orientierung. Damit sind wir bei der Frage Jesu an seine Jünger im heutigen Evangelium. „Für wen haltet ihr mich?“ Die Frage hat es in sich!
Auf die Antwort des Petrus „Du bist der Messias!“, macht Jesus klar, welche Konsequenzen der Glaube an IHN und SEINE Nachfolge hat.
Petrus möchte Verfolgung, Leid und vor allem Verurteilung und Tod ausschließen. Er stellt sich offenbar einen „Glauben light“ vor, also eher einen Glauben ohne persönliche Konsequenzen, oder wie das der verbreiteten Vorstellung in unserer Generation entspricht, als „Wohlfühlreligion“ allenfalls für die Privatsphäre; deshalb unterstreicht Jesus: „Wer sein Leben um meinetwillen und um des Evangeliums willen verliert, wird es retten.“ Es gehört also Mut dazu, Christ zu sein! Denn Christsein ist mehr als nur eine angenehme Form des Umgangs miteinander.
Der Linzer Bischof Manfred Scheuer stellte bei einer internationalen Tagung fest: „In einer fiktiven Gleichstellung aller bestimmten Religionen wurde alles Konkrete und Bestimmte abgehobelt und Religion auf Ethik reduziert.“ Christsein ist mehr als gute Manieren, Christsein fordert den ganzen Menschen!
Das wird zuallererst deutlich an Jesus selbst, denn ER ist mehr als ein guter Mensch, mehr als ein vorbildlicher Sozialarbeiter, mehr als ein einfühlsamer Vermittler. Jesus ist der menschgewordene Gott, der uns den Weg nicht nur zu einem gelingenden und beglückenden Leben, sondern letztlich sogar durch alle Vergänglichkeit und den Tod hindurch zur Vollendung unseres Lebens in Gott führt. ER gibt unserem Leben Sinn und Ziel. Durch IHN kommen wir in Berührung mit dem ewigen Glück und Heil.
Deswegen braucht es mehr als moralische Appelle und ethische Handlungsweisungen für einen menschenwürdigen Umgang miteinander und einen behutsamen Umgang mit der Schöpfung. Wer den Menschen als Geschöpf Gottes erachtet, wird auch einem noch so schwer behinderten Menschen oder einem Obdachlosen, wie einem Armen seinen unendlichen Wert und gottgegebene Würde zugestehen und nicht zulassen, dass unter dem vorgeschobenen Argument der Humanität menschliches Leben aussortiert wird; mehr noch, dass auch auf unsere Hilfe angewiesene Menschen eine Botschaft Gottes an uns sind, nämlich eine Aufforderung zur Solidarität.
Viele Muslime, um an die erwähnte Frage an Angela Merkel zu erinnern, vermissen bei uns zumeist das klare Bekenntnis zum Glauben an Gott und die Konsequenz im Leben. Deswegen nehmen sie den christlichen Glauben nicht ernst. Sie sind verwundert, wie Gott und der Glaube an ihn bagatellisiert, sogar lächerlich gemacht und allenfalls auf einige soziale Handlungen reduziert wird.
Ein Trendforscher hat festgestellt, dass die Menschen – auch in unserer Gesellschaft – Orientierung suchen, aber eine glaubwürdige Botschaft vermissen. Deshalb kommt es für uns als Christen vor allem darauf an, die Nöte von Menschen – ihre sozialen, aber auch geistigen, inneren Nöte – wahrzunehmen und Hilfe zum Leben zu geben, ohne zu allem „Ja und Amen“ zu sagen bzw. alles gutzuheißen, was heute „in“ ist.
Die Liebe Gottes bringen wir den Menschen nicht mit frommen Floskeln oder abstrakten theologischen Weisheiten nahe, sondern in der Art und Weise, wie wir auf sie zugehen, uns um sie annehmen, zugleich aber auch Grundsätzliches über die Welt, das Leben, das Menschsein und das friedvolle Miteinander ansprechen. Das Bekenntnis zu Jesus hat Konsequenzen, und unsere praktizierte Nächstenliebe ist der Ausweis unseres Glaubens. „Das Soziale und das Evangelium sind nicht zu trennen“, sagte Papst Benedikt einmal. Der Grund und der Maßstab für unseren unermüdlichen Dienst am Mitmenschen ist Jesus und seine Liebe zu uns. Unserem Bekenntnis zu Jesus folgt der Dienst am Leben.
Wo immer Menschen bereit sind, sich im Geiste Jesu um das Leben anzunehmen, wird die Welt menschlicher und lebenswerter.
Deshalb komme ich nochmals zurück zur Frage nach der Islamisierung unseres Kulturkreises, die Angela Merkel gestellt wurde. Die werden wir sicher nicht mit Abgrenzungen verhindern können. Aber wir können in einer Gesellschaft, in der künftig einige Millionen Muslime leben werden, dem Wert und der Bedeutung der Frohen Botschaft Jesu und des christlichen Glaubens Ausdruck geben mit unserem Bekenntnis in Wort und Tat.
Ein Flüchtling wird kaum neugierig werden und nach unserem Glauben fragen, wenn er zum ersten Mal Glockengeläute hört, aber er wird irgendwann fragen, „Warum setzt du dich für mich so sehr ein?“, wenn er spürt, dass es uns um ihn und sein Leben geht.
Ein Flüchtling wird entweder durch überzeugte Christen mit dem Auferstandenen in Berührung kommen, oder ihm wird der christliche Glaube fremd und unverständlich bleiben.
Die Art und Weise wie wir uns um das Leben und die Menschen annehmen, ist Teil unseres Bekenntnisses zu Jesus und SEINER Frohen Botschaft – sowohl als einzelner Christ wie auch als christliche Gemeinde. Deshalb möchte ich die Aussage von Angela Merkel „haben wir doch auch den Mut zu sagen, dass wir Christen sind“, ergänzen: „Haben wir auch den Mut uns gegenseitig im Glauben zu bestärken, ihn miteinander zu feiern und aus dem Glauben heraus zu handeln. Dann wird unsere Welt menschlicher, hoffnungsvoller und friedlicher.“
Damit werden wir auch auf lange Sicht Ereignisse wie den „Nine Eleven“ verhindern.
Domkapitular Clemens Bieber
www.caritas-wuerzburg.de
Text zur Besinnung
Gewissensfrage
Bist du ein Christ?
Wenn ja –
warum nicht?
(Lothar Zenetti)