Die Predigt im Wortlaut:
„Ich schließe vor niemanden die Tür! Ich bin offen für alle!“ Diese Aussage von Dir, lieber Peter, liegt nun schon fast 50 Jahre zurück. Dennoch bleibt sie für unsere gemeinsame Freundin Isolde Goppel unvergesslich. Es war eine pastoral schwierige Situation, in der Bedenken laut wurden, ob die Kirche hier aktiv werden soll. Dann kam Deine sehr entschlossene Stellungnahme: „Ich schließe vor niemanden die Tür! Ich bin offen für alle!“ Im Grunde war es mehr als eine Stellungnahme. Es war der Ausdruck Deiner Haltung.
Diese Haltung aber war und ist getragen von Deiner Begeisterung für die Frohe Botschaft Jesu und von Deiner Freude an der Begegnung mit den Menschen. Diese zeigt sich auch in der Gastfreundschaft, die Du gerne pflegst. Gerne – auch wenn sie es nicht wollte – zitiere ich nochmals Isolde. Sie war von der ersten Begegnung an von Deiner Offenheit begeistert. Als Du 1976 in den USA ankamst, um in Washington zu wirken, wurdest Du von einer kleinen Delegation des Pfarrgemeinderates am Flughafen abgeholt. Mit Deinem ersten Wort hast Du schon eine entscheidende Botschaft markiert: „Ich wünsche mir, dass wir uns als Gemeinde miteinander wohlfühlen!“
Lieber Peter, ich will es bei den beiden Erinnerungen belassen. Ich habe diese aber bewusst erzählt, weil sich darin die Botschaft des heutigen Tages, des Festes Petrus und Paulus, spiegelt. Du bist nicht ideologisch verengst und grenzt Dich somit nicht von anderen ab. Du bist offen und stets um das Miteinander bemüht. Das ist eben die Botschaft dieses Festtages. Heute feiert die Kirche in aller Welt zwei ganz unterschiedliche Menschen, die aber beide wichtig geworden sind für die Kirche, für ihre Sendung und für ihre Entwicklung.
Da ist zum einen Petrus – mit ursprünglichem Namen Simon. Er war ein Kind vom Lande, ein hemdsärmeliger Fischer am See Genezareth. Petrus war impulsiv. Er kündigte an, Christus bis in den Tod folgen zu wollen. Er griff zum Schwert, er legte als erster er das Glaubensbekenntnis ab.
Aber er war auch labil. Das Treueversprechen hielt nicht lange. Als es brenzlig wurde, machte er sich aus dem Staub und verriet Jesus in dessen schwerster Stunde mit den Worten: „Ich kenne diesen Menschen nicht!“ Da war sicher viel guter Wille, aber auch viel menschliche Schwäche. Und ausgerechnet zu diesem labilen, unsicheren Menschen sagte Christus: „Du bist Petrus, der Fels, und auf diesen Felsen will ich meine Kirche bauen.“ Also dem, auf den man eigentlich nicht bauen kann, wird die Aufgabe übertragen, der Kirche Beständigkeit zu vermitteln.
Werfen wir einen Blick auf Paulus: Er stammte aus Tarsus, einer Stadt an der Mittelmeerküste im Gebiet der heutigen Türkei. Er war eher klein von Gestalt, mit dünner Kopfbehaarung, aber offenbar voller Charme. Ursprünglich hieß er Saulus, hatte nicht nur den Beruf des Zeltmachers gelernt, sondern hatte auch jüdische Theologie bei einem Rabbi studiert. Er war gläubiger Jude und zugleich römischer Bürger. Er war intelligent, kein Gefühls-, sondern wohl eher ein Willensmensch und war als leidenschaftlicher, ja fanatischer Christenhasser bekannt. Aber gerade ihn holte Christus vor Damaskus von seinem hohen Ross herunter und machte ihn so zum Völkerapostel und großen Missionar.
Da drängt sich die Frage auf: Was sind das für abenteuerliche Entscheidungen von Jesus:
- Den Wankelmütigen bestellte er, damit er seiner Kirche Halt und Beständigkeit verleiht,
- und den Fanatischen, damit Dynamik und Entwicklung in ihr möglich werden.
Alles in allem doch eine denkbar gewagte Personalplanung. Dazu kommt, dass Petrus und Paulus keineswegs gut zusammenpassten! Die heftigen Auseinandersetzungen sind bekannt, als es um die Frage der Mission und der Gesetzesvorschriften für neue Christen ging. Gerade bei dieser Frage stand viel auf dem Spiel, nämlich: Soll die Kirche jüdische Sekte werden oder Weltkirche? In dieser Frage hat sich Paulus gegen Petrus durchgesetzt, und die Entwicklung der Kirche gab ihm Recht.
Durch alle Jahrhunderte hindurch hat es in unserer Kirche immer Spannung gegeben – bis in unsere Tage hinein. Immer wieder geraten die Verteidiger des Bestehenden und die Vorkämpfern für Weiterentwicklung aneinander. Die Spannung zwischen Beständigkeit und Fortschritt überschattet derzeit die Kirche gerade in unserem Land bis hinein in unsere Gemeinden. Wenn wir die vielfach in die Öffentlichkeit getragenen Dispute erleben, wünschen wir uns insbesondere den gegenseitigen Respekt und die Wertschätzung – eben auch für die gegenteilige Meinung, die andere Haltung. Denn würde die eine Gruppe fehlen, wäre unsere Kirche nicht die Kirche Jesu. Sie würde verkommen zu einem Haufen „Museumswärter“ bzw. Reaktionärer oder zu einem Haufen revolutionärer Chaoten.
Unsere Kirche braucht beide Typen:
- den Petrus, dem der Zusammenhalt im Glauben am Herzen liegt,
- und den Paulus, der sich nicht ängstlich verschanzt oder nur mit sich selbst beschäftigt, sondern auch neue Schritte wagt und heiklen Fragen der Glaubens- und Lebenspraxis nicht ausweicht.
Wie damals tun sich auch heute viele Fragen nach dem Weg der Kirche auf. Denken wir nur an die Diskussionen um Reformen in der Kirche, an den synodalen Weg, die Verteilung von Verantwortung zwischen Amtsträgern und sogenannten Laien. Es braucht den offenen, ehrlichen Diskurs. Immer mehr Menschen treten aus der Kirche aus. Das Vertrauen in die Institution Kirche sinkt rapide. Junge Menschen finden keinen Bezug zur Kirche.
Die Herausforderung unserer Tage an die Kirche und alle, die sich mit ihr identifizieren, ist, auf dem Boden der Frohen Botschaft Jesu, entsprechend seiner Sendung und in der gewachsenen Haltung nach glaubwürdigen und tragfähigen Antworten auf die Fragen unserer Zeit zu suchen und dabei die Lebenswirklichkeit im Blick zu haben. Vielleicht ist es im Blick auf die Zukunft der Kirche gar nicht so entscheidend, ob sie einen mehr konservativen oder mehr progressiven Weg einschlägt, sondern ob Christen heute sich ernsthaft für ihren Glauben engagieren. Petrus und Paulus waren keineswegs immer einer Meinung, aber darin waren sie sich einig: Sie waren mit ganzem Herzen bei Christus und haben dafür in der Christenverfolgung unter Kaiser Nero sogar Kopf und Kragen riskiert. Bei aller Verschiedenheit war ihr Leben geprägt von der Entschiedenheit für Christus.
Deshalb will ich doch nochmals auf Deine Haltung und Deine pastorale Praxis verweisen. Eines Tages hattest Du Geistliche nach Washington eingeladen – allerdings nicht zu einer touristischen Unternehmung, sondern zu Exerzitien, also zu Tagen geistlicher Inspiration. Dazu hast Du Deine Gäste nicht in der Abgeschiedenheit eines Exerzitienhauses einquartiert, sondern in den Familien Euer Gemeinde. Zum einen war es Dir ein Anliegen, Kontakte und Begegnung zu ermöglichen. Zum anderen konnten so die geistlichen Impulse vom Tag nochmals in der unmittelbaren Begegnung mit Menschen reflektiert und vertieft werden.
Seelsorge ist Begegnung, darin stimmen wir überein. Wenn aber Seelsorge vorwiegend auf Distanz organisiert wird, geht die Frohe Botschaft und die Berührung mit denen verloren, denen Jesus seine Nähe schenken möchte. Es braucht gerade heute beherzte, überzeugte und überzeugende „Handlanger“. Und weil in den vergangenen 60 Jahren immer wieder Menschen durch Dich mit IHM in Berührung kamen, darum bleiben so viele Erinnerungen präsent.
Deswegen habe ich dieser Tage mit einiger Verwunderung die Aussage eines Bischofs gelesen, der sich um eine verbesserte Priesterausbildung Gedanken macht. Wörtlich sagte er: „In den jüngeren Jahrgängen sehe ich immer wieder Priester, die mir signalisieren, dass sie nur bedingt belastbar sind, stärker auf die eigene Work-Life-Balance achten wollen, und sich ungern in Milieus wagen, die ihnen fremd sind.“
Wer Deine Biografie kennt, weiß um all die Stationen, an denen Du gewirkt und Dich dabei immer – nicht nur bei den Soldaten – auf neue Herausforderungen eingelassen hast. Selbst Deine Mutter hast Du, ohne dass sie nur eine Silbe Englisch sprechen konnte, mitgezogen. Mit Begeisterung hat sie auch in Amerika die Gäste bis hin zu den Militärbischöfen bewirtet.
Der erwähnte Bischof sagte: „Wer heute Priester werden will, braucht eine stabile Identität.“ Er müsse Freude daran mitbringen, „auf hohe See“ und ins Unbekannte aufzubrechen. Das hast Du stets und schließlich mit Deinem seelsorglichen Dienst bei der Marine konkret getan.
Lieber Peter, über alle noch so klug formulierten Papiere zur Priesterausbildung hinaus sind menschliche Priester und priesterliche Menschen wie Du wichtig. Sie bieten glaubwürdige Orientierungspunkte. Sie führen auch unterschiedliche Menschen zusammen und erweisen sich – wie es das heutige Evangelium beschreibt – als gute Hirten. Nicht nur Deine eingangs erwähnte Aussage bleibt unvergessen – „Ich schließe vor niemanden die Tür! Ich bin offen für alle!“ – sondern auch Dein Nachgehen, wo Menschen nicht mehr weiter wussten.
Gerade in Zeiten von Veränderungen und Umbrüchen, die wir in Kirche wie auch in der Gesellschaft erleben, braucht es Menschen mit Glaubenskraft und Mut. Sie geben unserer Überzeugung und unserer Kirche ein Gesicht. Petrus und Paulus sind uns dabei Vorbilder.
Für Deinen Dienst sagen Dir heute viele von Herzen Danke! Ich darf das auch im Namen unseres Bischofs tun. Danke für Deine Haltung: „Ich schließe vor niemanden die Tür! Ich bin offen für alle!“ Danke für Deine Menschenfreundlichkeit und Dein Zeugnis für den guten Hirten, der Menschen in aller ihrer Unterschiedlichkeit zusammenführt und begleitet!
Domkapitular Clemens Bieber
www.caritas-wuerzburg.de
Militärdekan a. D. Prälat Peter Rafoth (84) war viele Jahrzehnte in der Militärseelsorge tätig. Rafoth wurde 1940 in Offenbach geboren. Nach der Volksschule in Erlenbach am Main und Aschaffenburg besuchte er das Röntgengymnasium in Würzburg und studierte anschließend in Würzburg und Innsbruck Theologie und Philosophie. Am 27. Juni 1965 wurde er in der Michaelskirche in Würzburg durch Bischof Josef Stangl zum Priester geweiht. Danach war Rafoth Kaplan in Sulzbach, Kirchlauter und Kitzingen-Sankt Johannes. 1971 wurde er für die Militärseelsorge freigestellt. 1972 wurde er katholischer Standortpfarrer in Göttingen. 1976 übertrug ihm der Militärbischof das Amt des Deutschen Katholischen Militärgeistlichen in Washington/USA. 1980 kehrte Rafoth nach Bonn zurück und wurde Militärdekan und stellvertretender Wehrbereichsdekan für Nordrhein-Westfalen. 1982 wurde er Wehrbereichsdekan für Bayern in München. 1986 ernannte ihn Papst Johannes Paul II. zum Monsignore. 1996 wurde Rafoth der Ehrentitel Prälat verliehen. 1997 ging er als Wehrbereichsdekan nach Kiel, wo er ab 2002 zudem Leitender Militärdekan für die Deutsche Marine war. Nach seiner Versetzung in den Ruhestand im Jahr 2003 half Rafoth in der Erzdiözese Hamburg in der Seelsorge mit. Zusätzlich wurde er durch das Auslandssekretariat der Deutschen Bischofskonferenz für die Seelsorge auf deutschen Kreuzfahrtschiffen beauftragt. Außerdem betreute er das Militär im NATO-Hauptquartier in Neapel. Ab 2005 wirkte er neben seiner Tätigkeit im Erzbistum Hamburg ehrenamtlich in der Militärseelsorge mit. Zudem war er Vorsitzender des Beirats zur Erforschung der Katholischen Militärseelsorge in Berlin, der 2013 aufgelöst wurde. Seit 2022 lebt Rafoth im Seniorenzentrum Sankt Thekla in Würzburg.