Die Predigt im Wortlaut:
„Schluss mit dem Weltuntergang“ – so der Titel eines „Zukunftsforums“, zu dem der Verband der Bayerischen Wirtschaft am vergangenen Mittwochabend eingeladen hatte. „Schluss mit dem Weltuntergang: Wie uns eine konstruktive(re) Weltsich gelingt.“
Um die zahlreichen Interessierten insbesondere aus dem Bereich der freien Wirtschaft bei diesem Forum in sehr lebhafte Gespräche zu bringen, hat die Referentin, eine Kommunikationswissenschaftlerin, Professorin für Medienpsychologie, Grundprobleme unserer Zeit umschrieben. Sie nannte die Informationsflut, die viele Menschen überfordert, verwies auf die bewusst gestreuten Desinformationen und Fakenews, ebenso auf den Pessimismus, der nahezu überall herbeigeredet wird.
Dadurch entstehen Unsicherheit, Misstrauen, Angst und somit Lähmung – sowohl im persönlichen Leben wie auch in der beruflichen Verantwortung. Dass dies auch ökonomische Nachteile und Verluste bedeutet, ist eine der verlustreichen Konsequenzen. Wer von Angst besetzt ist, wird im persönlichen Leben eingeengt sein und somit auch in seinem beruflichen Tun.
Nach ihren äußerst interessanten Ausführungen zur Wahrnehmung der Welt und der Vorgänge in ihr, nach der Bewertung und dem Umgang damit durch den Einzelnen, kam die Referentin schließlich auf die nachhaltigen Hindernisse in unserem Denken und Verhalten zu sprechen, nämlich auf den „Hang zum Negativen“. Zugleich sind „Angst und Unsicherheit schlechte Berater“. Und sie verwies auf „die Macht der Gewohnheiten“. Somit bleibe es weiterhin bei der Stimmung des drohenden „Weltuntergangs“. Deshalb könne „eine konstruktive(re) Weltsicht“ nicht gelingen.
Vor dem Hintergrund ihrer Diagnose stellte die Referentin die Frage: „Was ist die wichtigste Währung der Welt?“ Sie nannte zum Erstaunen der Zuhörerinnen und Zuhörer die Haltung der „Aufmerksamkeit“.
Die Ausführungen der Medienpsychologin waren für mich zugleich ein – wenn auch nicht wörtlich genannter – Appell an uns Christen und die uns anvertraute Lebensbotschaft Jesu. Die Referentin ermutigte angesichts der Flut von Desinformationen und Fakenews, sowie des Pessimismus, der bei nahezu allem herbeigeredet wird, „neue Geschichten zu erzählen“, also „Geschichten“, bei denen die Menschen das Gefühl haben, dass uns das wichtig ist, was wir weitergeben. Dazu sagte sie: „Wichtigster Faktor bei allem sind gute soziale Beziehungen, Menschen, die es gut mit uns meinen …“
Deswegen möchte ich unseren Blick auf das Evangelium des dritten Ostersonntags lenken. Dass der Osterglaube nicht selbstverständlich war, haben wir schon am vergangenen Sonntag an der Reaktion des – wie er genannt wird – „ungläubigen Thomas“ erfahren. Auch die versammelte Runde, von der uns heute berichtet wird, erschrak und hatte große Angst. Deshalb fragte Jesus sie: „Was seid ihr so bestürzt? Warum lasst ihr in eurem Herzen Zweifel aufkommen?“
Die Verunsicherung, die es bei den Jüngern damals und auch heute unter uns Christen gibt, hat ihren Grund sicher auch darin, dass uns die Evangelisten mit keinem Wort sagen, wie das völlig unerwartete Ereignis der Auferstehung Jesu geschehen ist. Doch mit all dem, was sie uns berichten, sind sie nur an einem interessiert, nämlich an der Tatsache, dass der Herr auferstanden ist.
Jesus seinerseits machte aus dem Ereignis der Auferstehung keine Demonstration, wie es in einer sensations- und schlagzeilenträchtigen Gesellschaft vielleicht erwartet und gewünscht wäre. Jesus zeigte sich weder in der breiten Öffentlichkeit in Siegerpose, noch demonstrierte er gegenüber seinen Gegnern, dass er doch der Stärkere ist. Was die Jünger verwirrte, war vielmehr die Unauffälligkeit, in der alles geschah.
Damit sind wir bei dem entscheidenden Punkt der Frohen Botschaft des dritten Ostersonntags: Gott handelt unauffällig im Gegensatz zu vielen – aber nur scheinbar – lautstarken Zeitgeistern. Zu deren Agenda gehört es nämlich, Verunsicherung und Angst zu verbreiten und Stärke zu propagieren. Gott handelt unauffällig: In der Gestalt eines Kindes kam er in unsere Welt. Er lebte das Leben einfacher Leute und starb schließlich den Tod eines Verbrechers. Ohne Lärm kehrte er aus dem Tod ins Leben zurück. Weil der Herr der unauffällig handelnde Gott ist, deshalb ist er auch der Gott der unerwarteten Überraschungen. Daher bedeutet österlicher Glaube: sich von Gott überraschen lassen!
Dafür gilt es gerade in Zeiten von Verunsicherung und Angst Zeugnis zu geben. In der sich an den Vortrag am vergangenen Mittwoch anschließenden Diskussion sagte eine Zuhörerin: „Wo finden wir Botschaften, die ermutigen?“ Und ein Zuhörer sagte: „Wir brauchen Leitplanken, an denen wir uns orientieren können!“ Deshalb möchte ich nochmals erinnern, dass ich nicht bei einer kirchlichen Veranstaltung war, sondern in einem „Zukunftsforum“, zu dem der „Verband der Wirtschaft“ eingeladen hatte!
Ein Nachdenken, wie ich es am vergangenen Mittwoch erlebt habe, macht deutlich, wie wichtig unsere Sendung, unsere Aufgabe als Christen ist: Es kommt entscheidend darauf an, dass wir das Leben in dieser Welt wahrnehmen und mit den Menschen teilen! Jesus selbst spürt, wie das heutige Evangelium berichtet, dass die Jünger immer noch verwundert waren. Deshalb gesellt sich Jesus zu ihnen, isst mit ihnen und erinnert sie an seine Worte.
Der Prager Theologe und Soziologe Tomáš Halík, der 1978 heimlich zum Priester geweiht wurde und in der Untergrundkirche in der damaligen Tschechoslowakei wirkte, ist überzeugt: „Der Menschen inspirierende Gott, der in der Welt in Liebe, Hoffnung und Glaube gegenwärtig ist – ja, dieser Gott ist lebendig. Für viele Leute ist er vielleicht anonym, aber doch: Er ist da!“ Wörtlich sagt Halík: „Unser Gott ist ein Gott der Überraschung!“
Im Blick auf die aktuelle Situation ermutigt er, als Kirche nach neuen Wegen zu suchen, um Zeugnis für den Auferstandenen zu geben: „Jetzt in der Krise werden viele Menschen mit sehr wichtigen Fragen konfrontiert; mit Leiden, mit Schmerz, mit Tod. Und das weckt metaphysische, spirituelle, geistliche Fragen. Und wir sollen nicht oberflächlich mit alten Phrasen darauf antworten. Sondern wir sollen diese Leute begleiten, uns einfühlen und zusammen mit ihnen die persönlichen Antworten suchen. Wenn die Kirche das anbieten kann, dann habe ich keine Angst, dass die Kirche leer bleibt.“
Es kommt also darauf an, dass wir als Kirche „im Dialog stehen und versuchen, auf die wirklichen, echten Fragen der Menschen überzeugende Antworten zu geben. Es muss eine Sprache aus dem Herzen zu den Herzen der Menschen sein.“
Wo Unsicherheit und Ängste geschürt werden, wird die Welt nicht lebenswerter und hoffnungserfüllter und deshalb nicht menschlicher und friedvoller. Es braucht eine klare Haltung, die über alle – von wem auch immer und mit welchem Interesse auch immer – produzierten negativen Schlagzeilen hinweg Zuversicht bestärkt und ermutigt, aus dem Glauben an den Auferstandenen heraus das Leben mit all seinen Herausforderungen bestmöglich zu gestalten.
In einer Welt, die sich mit negativen, pessimistischen Schlagzeilen begnügt, in der deshalb die vielfältige Not von Menschen dahinter verschwindet, ist es umso mehr Aufgabe der Christen, der Kirche, in der Art Gottes den Menschen zu helfen – vielleicht eher unauffällig, dafür umso wirkungsvoller. Deshalb möchte ich schließen mit einem Wort des Apostels Paulus aus dem 1. Korintherbrief (1 Kor 2,9): „Wir verkünden, wie es in der Schrift steht, was kein Auge gesehen und kein Ohr gehört hat, was in keines Menschen Herz gedrungen ist, was Gott denen bereitet hat, die ihn lieben.“
Es kommt darauf, dass wir in all den Unsicherheiten, Ängsten und Nöten unserer Zeit Zeugnis geben für den Gott der Überraschungen, der dem Leben zum Durchbruch verhilft: Ihr seid Zeugen dafür!
„Schluss mit dem Weltuntergang: Wie uns eine konstruktive(re) Weltsicht gelingt.“ – Die Welt braucht uns! Es geht um mehr als nur wirtschaftlichen Erfolg! Es geht um das Leben der Menschen! Es geht um eine hoffnungsfrohe, zufriedene und deshalb lebenswerte Zukunft! Es gibt viel zu tun!
Domkapitular Clemens Bieber
www.caritas-wuerzburg.de
Text zur Besinnung
Jesus Christus
Mit Dir will ich aufstehen
gegen Not und Tod
gegen Folter und Leiden
gegen Armut und Elend
gegen Hass und Terror
gegen Zweifel und Resignation
gegen Unterdrückung und Zwang
Mit Dir will ich aufstehen
gegen alles, was das Leben hindert
Mit Dir will ich einstehen
für alles, was das Leben fördert
Sei Du mit mir
damit ich aufstehe mit Dir
(Anton Rotzetter)