„Sie feiern die Auferstehung des Herrn,
Denn sie sind selber auferstanden“
(Johann Wolfgang von Goethe – Faust I)
Die Anfrage war klar formuliert: „Können Sie uns für die Ausgabe am Karsamstag einen Gastbeitrag liefern? Sie wissen schon, ungefähr 5500 Zeichen für die Seite 2. Gerne auch mit Bezug zu aktuellen Ereignissen.“
Ach ja, es ist wieder einmal Ostern. Die Zeit eilt dahin, und wenn man keine 30 mehr ist, ist schnell das Gefühl da, auch dieses Fest, ähnlich wie Weihnachten, schon hundertmal erlebt zu haben. Und nach zweitausend Jahren, was soll da noch Neues kommen? Vielleicht hält das Nachrichtenmagazin „Der Spiegel“ neben einem spektakulären Titelbild, noch neue Thesen bereit, aber auch dort ist zum „historischen Jesus“ wohl längst alles gesagt.
Ich versuch's einmal, der aufmerksame Leser hat es längst bemerkt, ganz persönlich. „Pass' auf, dass du nicht den promovierten Theologen raushängen lässt“, sage ich mir selbst. Die Menschen sind da inzwischen sehr sensibel geworden. Wer eine Predigt will, der geht zu Ostern in die Kirche, und das werden von Jahr zu Jahr immer weniger. Viele Predigten taugen wohl nicht mehr für unsere Zeit.
Kürzlich las ich von einem Pfarrer, der am Sonntag vor leeren Bänken stand. Da fiel mir gleich der alte Goethe ein mit seinem Osterspaziergang: „Aus der Kirchen ehrwürdiger Nacht sind sie alle ans Licht gebracht.“ Sehnsucht nach dem Licht der Erkenntnis, nach Befreiung aus dem Dunkel, nach echter Freiheit. Das ist Ostern. Sofort tauchen vor meinem inneren Auge die gegenläufigen, dunklen Geschichten des Missbrauchs in der Kirche auf. Endlich, nach Jahrzehnten, fällt auch – Gott sei Dank – Licht in die finsteren Zeiten der Regensburger Domspatzen. Auch das ist für mich Ostern. Menschen, die zu Opfern gemacht wurden, stehen auf und finden nach so vielen Jahren Gehör, Anerkennung ihres Leids und vielleicht auch ein wenig Heilung. Auch der Kirche tut die neue Offenheit gut, will sie ernsthaft ran an ihr Glaubwürdigkeitsproblem.
Viele Menschen scheinen die alte Sprache der Kirche und ihrer Liturgie nicht mehr zu verstehen. Gottesdienste werden an den hohen Feiertagen noch besucht, weil es schon immer so üblich war, aber so richtig etwas damit anzufangen wissen immer weniger. Glaubhaft ist die Tat.
Verantwortlich für die Öffentlichkeitsarbeit der Caritas in Unterfranken, erlebe ich Tag für Tag, dass nicht die großen Worte, sondern die Taten Resonanz erzeugen. Menschen sehen, dass in Stadt und Land etwas geschieht, um Benachteiligten zu helfen. Dies sind gegenwärtig vor allem jene Männer, Frauen und Kinder, die aus den Kriegs- und Krisengebieten dieser Welt zu uns nach Unterfranken kommen. Ihre Flucht ist gewiss kein Osterspaziergang, führt aber aus dem Dunkel von Diktatur, Krieg, Terror und Gewalt in die Freiheit. Sie sind einfach nur dankbar, hier zur Ruhe kommen und Frieden erfahren zu können. Der gewaltige Stein, der einst das Grab Jesu verschloss, so mein persönlicher Eindruck, versperrt nun mehr und mehr den Flüchtlingen ihren Weg in die Freiheit.
Das Lob für vielfältiges Engagement für Flüchtlinge gilt gar nicht vorrangig der großen Institution Caritas, sondern den vielen ehrenamtlichen Helferinnen und Helfern in den Pfarreien und Unterstützerkreisen. Sie bescheren den Flüchtlingen aus Syrien, Afghanistan, dem Irak und Eritrea Ostererlebnisse. Jeden Tag kommen E-Mails, Anrufe und Nachrichten über andere Kanäle, die von ansteckender Freude berichten. „Ich bin stolz auf meine Kirche, die sich aus dem Glauben heraus, für diese Menschen einsetzt, unabhängig von Herkunft und Religion“, lese und höre ich immer wieder.
Und die Anderen? „Ihr“, gemeint sind Kirche und Caritas, „kümmert euch nur noch um Moslems. Ihr seid die Totengräber des christlichen Abendlandes.“ So oder so ähnlich, bisweilen auch in einer etwas härteren Gangart, dringt die Kritik ins Caritashaus und zu den Helfern. Rationale Argumente, so meine Erfahrung, vermögen wenig auszurichten. Natürlich ist die Caritas auch weiterhin für Wohnsitz- und Obdachlose da, pflegt alte Menschen, betreibt im Auftrag vieler Kommunen Kinderkrippen und -gärten, berät schwangere Frauen, unterstützt Familien in Erziehungsfragen, betreibt Förderschulen, bietet benachteiligten Jugendlichen Ausbildungsplätze, unterhält Bahnhofsmissionen und Suppenküchen, begleitet Sterbende und ihre Angehörigen etc. Aber das erreicht die Ohren der Kritiker und erst recht ihre Herzen nicht.
„Entängstigt euch!“, ruft der Wiener Theologe Paul M. Zulehner in seinem neuesten Buch seiner Leserschaft zu. Keiner bestreite die großen Herausforderungen, vor die jene Länder gestellt seien, in denen eine große Zahl an Flüchtlingen aufgenommen würde, aber die Ängste, die zu Ablehnung, dann zu Hass und immer öfter auch über die verbale hinaus zu handgreiflicher Gewalt führten, seien unbegründet und irrational. Sie seien Symptome einer Angstgesellschaft. „Es geht nicht um die Rettung des christlichen Abendlandes, sondern um die Rettung des Christlichen im Abendland“, so Zulehner in seiner trefflichen Analyse.
Und auch das hat für mich mit Ostern zu tun. Wenn dieses Fest einen universellen Kern hat, den weiterzusagen und zu feiern lohnt, dann diesen: Ostern ist nicht nur das Fest äußerlicher Befreiung zur Freiheit, sondern noch viel mehr das Fest geschenkter innerer Befreiung des Menschen aus seiner Angst um sich selbst. Echte Freiheit scheint mir erst dort möglich zu sein, wo Menschen in der Zuversicht zu leben vermögen, dass Elend, Leid und Tod nicht das letzte Wort haben, sondern wo es hinter dem weggewälzten Stein ein leeres Grab gibt, weil das Leben obsiegt. Und aus dieser Befreiung heraus lässt sich selbstlos handeln. Gut möglich, dass nicht jedem dieser therapeutische Ansatz christlichen Glaubens gefällt oder genügt, aber er ermöglicht die Überwindung jener Angst, die uns unfrei und klein macht.
Am Ende vielleicht doch ein wenig Predigt zum Osterfest? Ich bitte den Leser, der es bis hierher geschafft hat, dies zu entschuldigen.
Gesegnete Ostern.