Die Predigt im Wortlaut:
„Die Zeiten ändern sich!“ – so das niedergeschlagene Empfinden betagter Menschen, die nicht mehr erwarten können, dass der Nachwuchs sich ihrer annimmt, so wie sie sich vor Jahrzehnten um ihre eigenen Eltern gesorgt haben.
„Die Zeiten ändern sich!“ – so die sorgenvolle Aussage von Eltern, deren Kinder sich erwachsen fühlen und anderen Lebensweisen folgen.
„Die Zeiten ändern sich!“ – so die im Grunde schmerzliche Erfahrung von Pflegekräften, die keinen Dank erwarten dürfen, weil sie ja bezahlt werden.
„Die Zeiten ändern sich!“ – so die Erkenntnis, dass ehrenamtlicher Einsatz für das Gemeinwesen immer mehr abnimmt.
„Die Zeiten ändern sich!“ – so das Bedauern, dass Meinungsverschiedenheiten, Konflikte, Unstimmigkeiten, immer häufiger in aggressiver, gehässiger Weise ausgetragen werden.
„Die Zeiten ändern sich!“ – was an vielen Punkten des unmittelbaren Zusammenlebens festzustellen ist, und wodurch sich die überschaubare Welt mehr und mehr verändert, das ist auch in der großen Welt erfahrbar.
„Die Zeiten ändern sich!“ – Leben, Zusammenleben, ja sogar menschliches Leben überhaupt wird mehr und mehr durch die ökonomische Brille betrachtet und bewertet. Der Verdacht auf eine mögliche Behinderung führt in vielen Fällen zur Abtreibung. In Frankreich ist das Recht auf Abtreibung inzwischen in der Verfassung verankert. Ebenso soll dort die aktive Sterbehilfe erlaubt werden. Bei uns werden diese Veränderungen in Teilen der Gesellschaft und der Politik als Fortschritt gefeiert. Es gilt also nicht mehr: an der Hand eines vertrauten, vielleicht sogar geliebten Menschen, sondern durch die Hand eines anderen zu sterben.
„Die Zeiten ändern sich!“ Solidarität, Mitmenschlichkeit, Wertschätzung, auch für das geschwächte Leben, – diese Grundhaltung sind immer weniger Kennzeichen und Ausdruck einer menschenfreundlichen Gesellschaft.
„Die Zeiten ändern sich!“ Wo es bislang hieß „Wie kann ich Dir helfen?“ heißt es heute oft „Was kann ich an Dir verdienen?“
„Die Zeiten ändern sich!“ – auch in der großen Politik: 1989 schien der kalte Krieg überwunden, Grenzen wurden aufgehoben, Freizügigkeit galt in jeder Hinsicht. Nun stellen wir fest, dass in Europa ein brutaler Krieg herrscht und sich in vielen Ländern nationalstaatliches Denken immer stärker breitmacht. Das Ziel, nach dem schrecklichen Zweiten Weltkrieg durch intensive Bemühungen stabile Verbindungen in einer europäischen Union zu schaffen, wird inzwischen von nicht wenigen Zeitgenossen sehr kritisch, sogar ablehnend erachtet.
„Die Zeiten ändern sich!“ – auch in anderen Kontinenten, in vielen Ländern Afrikas, Lateinamerikas, Asiens, denken wir nur an die Spannungen um China und Nordkorea, und leider auch im Heiligen Land, also in Israel und Palästina. „Die Zeiten ändern sich!“
Vor zweitausend Jahren war die Welt nicht besser. Das große römische Reich beherrschte die Welt. Im Aufbegehren gegen die Besatzungsmacht richteten einige Zeitgenossen ihren Blick auf den Zimmermann aus Nazareth, der in ungewöhnlicher Weise vom Leben sprach und von Gott, der wie ein sorgender Vater wirkt und alles zum Guten wendet. Doch dann die große Enttäuschung: Wie ein Verbrecher wurde er ans Kreuz geschlagen. Der Funken Hoffnung, der sich mit ihm verband, schien erloschen. Selbst den Treuesten der Treuen blieb nichts anderes, als dem Toten die Ehre zu geben. Die Frage nach dem großen Stein vor dem Grab macht deutlich: Es war alles aus! Doch dann die verwunderliche Erfahrung.
Der Journalist Heribert Prantl schreibt in seinem Kommentar zu Ostern: „Jesus, von seinen Anhängern für den Messias gehalten, wird von den römischen Behörden als politischer Umstürzler hingerichtet. Nach Jesu Tod sollten seine Jünger schweigen und auseinanderlaufen, doch das glatte Gegenteil ist der Fall. Sie reden vom leeren Grab des Messias und dass er auferstanden sei. ... Sie erzählen davon, dass er ihnen auf wundersame Weise erschienen sei…“
Dazu führt Prantl, ein kritischer Beobachter der Entwicklungen in unserer Gesellschaft wie auch der Welt, aus: „Auferstehung bewegt sich außerhalb des Erfahrungshorizonts. Es ist das wunderlichste aller Wunder. Es ist ein geheimnisvolles religiöses Versprechen, das im Leben beginnt und auch im Sterben gilt: die Überwindung des Todes.“ Von daher erschließt sich auch der Titel seines lesenswerten Kommentars. Der Titel lautet: „An Ostern stellen sich die großen Fragen des Lebens“. Und diese Fragen lauten: „Wofür lebe ich? Warum leide ich? Wie halte ich dem Tod stand? Was ist Liebe? Wie finde ich Vergebung? Was darf ich hoffen?“ Diese entscheidenden Fragen stellt nicht der, der das Leben und alles im Leben nur durch die ökonomische Brille betrachtet und bei allem fragt: „Was bringt es mir? Was habe ich davon?“
Die Fragen dagegen, die Heribert Prantl in seinem Oster-Kommentar stellt, sind keine Fragen, die ein für alle Mal gelöst und beantwortet werden könnten – und schon gar nicht sofort. Die Fragen „Wofür lebe ich? Warum leide ich? Wie halte ich dem Tod stand? Was ist Liebe? Wie finde ich Vergebung? Was darf ich hoffen?“ begleiten einen das ganze Leben über bis in den Tod. Und gerade deshalb sind sie die wichtigsten Fragen. Sie müssen gestellt werden. „Sie wollen gelebt werden.“
Dazu gibt der Regensburger Moraltheologe Rupert Scheule in einem großen Interview, das die Süddeutsche Zeitung im Blick auf den Karfreitag abgedruckt hat, einen wichtigen Hinweis. Professor Scheule sagt: „Der Gegenbegriff zu Tod ist nicht Leben, sondern Liebe“. Während viele Zeitgenossen leben wollen und alles daransetzen, das, was sie als Leben erachten, auszukosten und sich daran festklammern, verweist der Theologe auf die Liebe. „Sollte es etwas geben, was stärker ist als der Tod, dann ist es die Liebe.“
Damit sind wir wieder bei Jesus. Sein Leben, seine Botschaft, sein Wirken war Hinweis auf die Liebe, durch die das Leben gewinnt. Er hat sich den Armen zugewendet, hat Kranke aufgerichtet, Hoffnungslose ermutigt, Blinden zum Durchblick verholfen, die begrenzte Lebensperspektive auf Gott hin geweitet. Er hat Menschen, die wie gelähmt waren und nicht mehr weiterkamen im Leben, wieder bewegt und auf den Weg gebracht. Taube hat er hellhörig gemacht für die Botschaft Gottes, Geizigen das Herz geöffnet für die Not um sie herum, Traurige getröstet, Aussätzige und Ausgegrenzte zurückgeholt in die Gemeinschaft, schuldig Gewordenen zum neuen Anfang verholfen. Er hat Tote lebendig gemacht. Er ist Fremden, Menschen anderer Kulturen, mit Respekt begegnet und hat sie dadurch neugierig gemacht für seine Sicht des Lebens. Er hat Frieden verheißen. Jesus hat die Menschen aus den vielfältigen Gräbern mitten im Leben herausgeholt.
Der Prophet Ezechiel weckt nach der Zerstörung Jerusalems die Hoffnung auf die Zukunft, die Gott einem erneuerten Volk ermöglicht. Dazu verkündet er das Wort Gottes: „Ich gebe euch ein neues Herz und einen neuen Geist gebe ich in euer Inneres … und bewirke, dass ihr meinen Gesetzen folgt …und sie erfüllt. Dann werdet ihr in dem Land wohnen, das ich euren Vätern gegeben habe. Ihr werdet mir Volk sein und ich, ich werde euch Gott sein.“
„Die Zeiten ändern sich!“ – und zwar zum Guten, dort, wo das Herz von Menschen erfüllt ist vom Geist Jesu und dem seiner Frohen Botschaft folgen.
Deshalb gilt es, den eingangs eher deprimierenden Feststellungen „Die Zeiten ändern sich!“ die Lebenshaltung des Gekreuzigten und Auferstandenen entgegenzusetzen. Ob das nun das persönliche, unmittelbare Lebensumfeld betrifft oder die großen politischen angstmachenden Spannungen und Konflikte unserer Tage.
Der Regensburger Theologen Rupert Scheule beantwortete die Frage, ob er nicht gern ewig leben würde, so: „Doch! Aber nicht in einem Luxus-Spa-Ambiente ... Sondern anders, als ich es mir überhaupt vorstellen kann. Nämlich besser. Sonst schlaf’ ich lieber in Ewigkeit.“
Ostern bedeutet also, dass sich die Zeiten ändern zum besseren Leben und zwar durch den Auferstandenen und seine Liebe zu Gott und den Menschen!
Wer nur das Hier und Jetzt vor Augen hat, wer getrieben ist von der Sorge, im Leben zu kurz zu kommen und deshalb möglichst alles auskosten will, der hat eine sehr einseitige Sicht des Lebens. Das ist vielfach auch der Grund dafür, dass Solidarität und persönlich praktizierte Unterstützung für Schwache, Gebrechliche und Behinderte vernachlässigt werden. Nur das Hier und Jetzt vor Augen zu haben, ist auch der Grund für die weltweiten Spannungen und Konflikte.
Dem gegenüber erfahren die Frauen am Grab und durch sie die Jünger: Jesus ist nicht nur aus dem Grab auferstanden und vom Tod, sondern auch in ihren Herzen lebendig. Das ist der Grund ihrer österlichen Freude. An Ostern zeigt sich: Hass und Tod, sinnlose Gewalt und Unrecht behalten nicht das letzte Wort. Gott gibt dem Leben und der Liebe das letzte Wort und er öffnet damit einen Ausweg aus den vielen Abgründen und Ausweglosigkeiten dieser Welt.
An Ostern können wir uns deshalb nur wünschen, dass in dieser Nacht nicht nur die Uhren umgestellt werden, sondern dass sich die Zeiten wirklich ändern und wir dem Leben entgegengehen!
Domkapitular Clemens Bieber
www.caritas-wuerzburg.de
Text zur Besinnung nach der Kommunion
Aufstehen – Auferstehen
Auferstehen aus dem Grab,
aufstehen aus der Resignation,
Auferstehen von den Toten,
aufstehen hinein ins Leben.
Auferstehen aus dem Leid,
aufstehen aus Enttäuschungen,
auferstehen aus der Finsternis,
aufstehen in das Licht.
Auferstehen aus dem Verrat,
aufstehen hinein in neues Vertrauen.
Auferstehen aus der Leblosigkeit,
aufstehen zurück ins Leben.
(Autor unbekannt)