Die Predigt im Wortlaut:
„Deutsche wollen über Ostern ‚einfach entspannen‘“, das geht aus einer repräsentativen Emnid-Umfrage hervor. Zwei Drittel der Befragten planen demnach auch einen Besuch bei Freunden und Verwandten. Jeder dritte Befragte will mit den Kindern Ostereier suchen und jeder Fünfte will in die Kirche gehen.
Doch für viele fängt die Entspannung mit nervenaufreibenden Staus auf den Autobahnen an – schon auf der Anreise in den Osterurlaub und dann wieder auf der Rückreise. Für andere sind die arbeitsfreien Tage eine Chance, das Freizeitprogramm zu absolvieren, das ihren Vorlieben entspricht. Allerdings ärgert dabei, dass ein Teil der Kar- und Ostertage als „Stille Tage“ zu halten sind. Ein Kommentar in einer großen deutschen Tageszeitung, der die Beschränkung in Frage stellt, ist überschrieben „Schluss mit Lustig“, und die Christen sind als Spaßbremsen dargestellt. Ebenso kämpft im Ruhrpott ein Rentner für „Religionsfreiheit im Revier“. Ihn ärgert, dass viele Sender auf den Charakter der Kar- und Ostertage Rücksicht nehmen und bestimmte Filme nicht ausgestrahlt werden.
„Deutsche wollen über Ostern ‚einfach entspannen‘“, und dabei scheint mehr die Freizeit im Blick zu sein als das zugrundeliegende Ereignis, nämlich die Kar- und Ostertage, das Leiden, Sterben und die Auferstehung Jesu. Immerhin, so die Emnid-Untersuchung, wollen zwanzig Prozent der Deutschen über die Kar- und Ostertage – ob zuhause oder am Urlaubsort – mal in die Kirche gehen.
„Einfach entspannen“, diese Überschrift geht mir nicht aus dem Sinn, denn in der Tat braucht es im Blick auf die vielen Spannungen in unserer Welt, in unserer Gesellschaft, in unserem Leben „Entspannung“; denn
- unmenschliche politische und soziale Bedingungen herrschen in zahlreichen Ländern der Erde.
- Eine ungerechte Weltwirtschaftsordnung ist häufig Wurzel für Neid, Hass und Terror.
- Maximales Profitstreben verdient teilweise sogar an Kriegen.
- Irrationale Ideologien wollen die Welt mit Gewalt verändern.
- Eine erschreckende Entwicklung unterscheidet mehr und mehr zwischen wertem und unwertem Leben.
- Menschen werden nach ihrer Leistungsfähigkeit beurteilt, wobei Schwache und Behinderte als Ballast gelten.
- Spannungen und Konflikte werden selbst im unmittelbaren Zusammenleben oftmals mit Gewalt ausgetragen.
- Der Umgang mit den Menschen aus anderen Kulturkreisen, die in unserem Land Zuflucht suchen, ist teilweise sehr egoistisch.
- Medien tragen durch ihre Berichterstattung, ebenso wie manche Politiker durch ihre oberflächlichen Behauptungen, wenig dazu bei, bestimmte Herausforderungen sachlich und weiterführend zu lösen: im Gegenteil, durch solche Agitationen werden Spannungen und Gegensätze noch verschärft.
Die Auflistung der Fehlentwicklungen und Fehleinschätzungen, die unsere Welt und unser Leben durchziehen, könnte ich fortsetzen. Die genannten Beispiele sollen genügen, um von daher der Frage nachgehen zu können, ob die Welt besser wird, wenn – wie es in der Überschrift heißt – viele „Deutsche … über Ostern ‚einfach entspannen‘“.
Die Feier von Ostern erinnert zunächst daran, dass Jesus mit der Welt voller Spannungen und Konflikte über Kreuz kam. ER schenkte jedem Würde, führte auch über kulturelle und religiöse Grenzen hinweg Menschen zusammen, hielt den Mächtigen einen Spiegel vor und verwies sie auf die Grenzen ihrer Macht. Das brachte IHN ans Kreuz.
Das ungerechte Urteil aber konnte SEINE Liebe nicht bezwingen. An IHM hat Gott deutlich gemacht, dass SEIN Weg selbst durch den Tod zum Leben führt.
Wenn es also darum geht, die Spannungen im Leben und in der Welt abzubauen, wenn „Deutsche … über Ostern ‚einfach entspannen‘“ wollen, dann wird das weniger mit einem noch so umfangreichen Relax-Programm erreicht, sondern vor allem durch den Blick auf den Gekreuzigten und Auferstandenen. SEINE Lebensbotschaft trägt und hält uns in frohen und in schweren Zeiten.
Das erlebe ich derzeit hautnah: In den vergangenen Wochen und Monaten war ich oft in der Abtei Münsterschwarzach zu Gast. Mein Freund Bruder Eberhard, der fast vier Jahrzehnte dort als Pförtner Dienst tat, oft erster Ansprechpartner für Menschen mit den unterschiedlichsten Anliegen war, der unzähligen Gästen wie Ratsuchenden die Tür öffnete und weiterhalf, ist innerhalb weniger Monate schwer erkrankt. Vielleicht sind es noch wenige Tage, vielleicht auch nur ein paar Stunden, bis er den letzten, entscheidenden Schritt auf das Ziel des Lebens zugeht.
Am Karfreitag saß ich wieder an seinem Bett. Körperlich völlig schwach, ist er dennoch ganz klar. Erstaunlich ist – nicht nur für mich – seine Gelassenheit und Ruhe seit Monaten, als er von seiner Krankheit erfuhr. Er ist sich seines Zieles sicher; er ist seinen Weg seit Jahrzehnten in der Gewissheit gegangen, dass Gott ihm immer nahe ist. Deswegen hat er auch die Texte für das Requiem ausgesucht und das Erinnerungsbild gestaltet – alles mit österlichen Gedanken.
Bruder Eberhard ist – wenn ich seinen körperlichen Zustand sehe – sicher nicht relaxt, aber er ist zutiefst entspannt und gelassen. Sein Leben ist, wie ich beschrieben habe, in einer Extremsituation, dennoch ist er im Innersten zufrieden.
Damit komme ich zu der für mich entscheidenden Passage im Osterevangelium. Sie kamen zum Grab. Es war leer. Sie konnten das Geschehene noch nicht verstehen. Selbst die Apostel hielten das alles für Geschwätz und glaubten zunächst nicht. Aber von dem Jünger, der eine starke herzliche Bindung an Jesus hatte, heißt es am Ostertag im Johannesevangelium: „Er sah und glaubte!“
Er brauchte keine handfesten Beweise. Sein Herz sagte ihm, dass der Herr lebt.
Wer sein Leben aus einer tiefen Bindung an Jesus und SEINE Frohe Botschaft heraus gestaltet, der kann gelassen bleiben – sogar im Sterben, und wird auch im Laufe seines Lebens anderen mit Wertschätzung und Würde begegnen, ja, er wird immer wieder helfen und mitwirken, damit große Sorgen gemindert und Spannungen abgebaut werden. Im Blick auf die Haltung von Bruder Eberhard fiel mir das Wort von Dietrich Bonheffer ein, der vom KZ aus, im Wissen um seine bevorstehende Hinrichtung, seine Angehörigen daheim tröstete: „Wer Ostern kennt, kann nie verzweifeln!“
Die Feier des Leidens und Sterbens Jesu, die Erinnerung an SEIN liebevolles, den Menschen und ihrem Heil zugewandten Wirken, und die Feier SEINER Auferstehung zum Leben bieten den besten Weg, um Spannungen abzubauen, Frieden und Zufriedenheit zu gewinnen und gelassen zu sein und zu bleiben – mag kommen was will.
Aber weil „Deutsche … über Ostern ‚einfach entspannen‘“ wollen, schauen jetzt zur gleichen Zeit, während wir die Berichte über das Wirken Gottes hören und bedenken und die Frohe Botschaft von der Auferstehung Jesu feiern, Millionen Deutsche lieber das Fußballspiel der Nationalmannschaft an. Und weil seit dieser Osternacht die Uhren anders gehen, schlafen viele morgen früh lieber aus, anstatt ganz bewusst als Christen aufzustehen und das Leben zu feiern, das Gott schenkt.
Ihnen aber, die Sie jetzt hier versammelt sind, um Gott zu loben und IHM danken für die Auferstehung Jesu, die wir auch für uns erwarten dürfen, wünsche ich ein gesegnetes und frohmachendes Fest des Lebens!
Im Blick auf die vielen Spannungen in der Welt, in der Gesellschaft, in unserem Leben kommt es darauf an, dass wir als Christen aufstehen und unseren Weg gehen.
Wir stehen auf
Sucht den Lebendigen nicht bei den Toten,
denn er will in uns allen erstehn.
Ja es geschehen noch Zeichen und Wunder,
und wer glaubt, kann sie heute schon sehn.
Vor Freude selig und von Tränen blind,
mit Augen, die das Licht noch nicht ertragen,
wie Menschen, die noch nicht geboren sind,
so stehn wir auf am Morgen nach drei Tagen.
Von finstern Mächten waren wir bewacht,
gefesselt und dem Tode übergeben.
Nun ist vorbei die lange dunkle Nacht,
in Ängsten waren wir und sieh wir leben.
Nun ist der Bann gebrochen, wir sind frei,
nicht länger wird die Folter uns noch quälen,
es singt ein Volk die große Litanei
und niemand kann die vielen Stimmen zählen.
Sucht den Lebendigen nicht bei den Toten,
denn er will in uns allen erstehn.
Ja es geschehen noch Zeichen und Wunder,
und wer glaubt, kann sie heute schon sehn.
Lothar Zenetti