Die Predigt im Wortlaut:
Unvorstellbar groß ist die Anteilnahme am Sterben von Barbara Stamm und die Vielzahl an wertschätzenden Äußerungen über ihr Leben und insbesondere ihr Wirken. Es fällt auf, dass die Äußerungen aus allen sozialen Schichten kommen. Das ist eigentlich nicht verwunderlich, denn sie war für die Menschen, ganz besonders für die Schwachen und Hilfsbedürftigen da. Wohl nur Gott kann ermessen, für wie viele Menschen sie sich eingesetzt und ihnen geholfen hat. Dieser Einsatz war für sie selbstverständlich, auch wenn sie dafür nicht immer Dank erhalten hat. „Darauf kommt es mir nicht an, Hauptsache, mein Einsatz hat geholfen!“, so ihre Grundhaltung.
Damit sind wir beim heutigen Evangelium. „Alle zehn sind mit heiler Haut davongekommen, einem aber ist die Heilung unter die Haut gegangen“, so sagte Bischof Franz Kamphaus einmal bei einer Predigt. Der Evangelist Lukas macht seiner Gemeinde deutlich: Gottes Zuwendung, sein Heil gilt allen Menschen. Er riskiert dabei sogar, dass neunzig Prozent das für selbstverständlich hinnehmen und nur zehn Prozent wahrnehmen, dass Gott ihnen geholfen hat. Alle wurden äußerlich geheilt, einer innerlich. Neun gehen nach Hause und sagen „Glück gehabt!“ Einer kommt zu Jesus zurück und sagt: „Gott sei Dank!“ und das war ausgerechnet ein Samariter, also kein frommer Zeitgenosse.
Um die Botschaft zu verstehen und für uns heute deuten zu können, ist es wichtig, uns die Situation konkret vorzustellen: Menschen mit einer schlimmen Hautkrankheit, mit vielleicht sogar eitrigen Wunden wurden gemieden, sie wurden geächtet, sie wurden aus dem Sozialraum der Menschen ausgeschlossen. Der Aussatz an ihrem Körper machte sie zu Aussätzigen außerhalb der Stadtmauer. Wenn sie Jemanden in der Ferne sahen, muss sie diese sogar auf sich aufmerksam machen, mussten die Leute warnen und sich selbst schnellstens entfernen.
Wenn wir an Nöte unserer Zeit denken wie z.B. alte, gebrechliche, ebenso wie behinderte Menschen, aber auch psychisch Belastete, oder denken wir an HIV-Infizierte – wie oft müssen sie erleben, dass sie ausgegrenzt oder umgangen werden. Sozial Schwache, Gescheiterte, Überforderte, Hilflose – wie oft sind ihnen die Aufmerksamkeit und der Platz in der Gesellschaft verwehrt.
Das erinnert mich an die Puncta, also den geistlichen Impuls, den Bischof Paul-Werner am Abend vor unserer Diakonenweihe vor bald vierzig Jahren im Priesterseminar gehalten hat. Es ging dabei um den sozial-caritativen Dienst der Kirche, um den Dienst am Menschen. Er erzählte von einem Obdachlosen, dem er auf dem Kardinal-Döpfner-Platz vor dem Bischofshaus begegnete. Der Bischof war auf dem Nachhauseweg, da sprach ihn der Mann an: „Herr Pfarrer, hast Du mal ‘ne Mark für mich!“ Bischof Paul-Werner öffnete den Geldbeutel und gab ihm zwei Mark. Darauf sagte der Obdachlose und deutete auf das Bischofhaus: „Wissen Sie, der würde mir nichts geben!“
In diesem Augenblick – fürs erste vielleicht etwas schockiert – hat Bischof Paul-Werner von daher für sich festgehalten und uns bei der Puncta ans Herz gelegt: „Du musst riskieren neunmal ausgenutzt zu werden, um nicht im zehnten Fall nicht zu helfen, wo es dringend notwendig wäre!“
Das Wunder das Jesus damals gewirkt hat, hat nicht nur den körperlichen Aussatz geheilt. Er hat den Aussätzigen damit vielmehr wieder den Zugang zur Gesellschaft, zum Miteinander der Menschen eröffnet.
Um das Beispiel von Barbara Stamm nochmals zu erwähnen: Wie vielen Menschen hat sie durch ihren Einsatz den angemessenen Platz in der Gesellschaft verschafft. Und im Blick auf das Wort von Bischof Paul-Werner heißt das: Selbst wenn wir dabei nicht vor Enttäuschungen bewahrt bleiben, es ist unverzichtbar und notwendig, zu helfen! Helfen, aber auch Hilfe anzunehmen, ist zutiefst Ausdruck von Menschlichkeit!
Kürzlich hörte ich jemanden sagen: „Ich will alles, was ich besitze, mir selbst verdanken … Ich will niemandem Danke sagen müssen!“ Ich frage mich: Ist das der ersehnte Fortschritt an Menschlichkeit? Wem nichts geschenkt wird, wer nur auf sich selbst setzt oder für wen alles selbstverständlich ist, der hat auch für nichts zu danken. Und undankbare Menschen neigen schnell zu Kälte und Härte im Umgang miteinander. „Du musst dir deine Existenz teuer erkaufen. Das Leben ist hart. Es wird einem nichts geschenkt.“ Genau diese Sicht des Lebens bezweifle ich.
Es ist nicht alles unsere Leistung! Die Zuneigung unserer Eltern, die Geduld der Lehrerin, des Lehrers, die Liebe des Partners, der Partnerin, der Menschen, mit denen ich das Leben teile, das Können des Arztes, die Unterstützungsbereitschaft der Kollegin, des Kollegen, die Solidarität von Freunden in einer schwierigen Phasen, die mich nicht im Stich gelassen haben, als für mich alles aussichtslos erschien usw. – all das ist nicht unsere Leistung, das ist Geschenk, in manchen Situationen vielleicht sogar unverdient.
Wenn schon Menschen umeinander bemüht sind und einander helfen, wie viel mehr tut es Gott: SEIN Heil gilt allen Menschen. Genau das wird im heutigen Evangelium deutlich. Er wirkt sein Heil, auch wenn die Erfolgsquote, also die Zahl der Menschen, die IHM dafür danken, nur bei zehn Prozent liegt. „Einer von ihnen aber kehrte um, als er sah, dass er geheilt war; und er lobte Gott mit lauter Stimme. Er warf sich vor den Füßen Jesu auf das Angesicht und dankte ihm. Dieser Mann war ein Samaríter.“
Auch wenn wir in einer Epoche leben, in der viele Menschen vor allem von ihrer eigenen Haltung überzeugt sind und sich und ihr Leben niemandem verdanken wollen, gerade jetzt heißt es für uns als Kirche, da unser Dienst – im pastoralen und sozial-caritativen Bereich – neu gedacht wird: Wir dürfen uns nicht auf die Kerngemeinden beschränken! Unsere Sendung und unsere Aufgabe sind, auch die Fernen und die Ausgegrenzten im Blick zu behalten und allen zu helfen, auch wenn dadurch – zumindest kurzfristig – unsere Kirchen nicht voller werden und die Zahl der Kirchenmitglieder vorerst sogar noch abnimmt.
Bewusst hat sich die Caritas in unserem Bistums die Haltung zu eigen gemacht: „Wir helfen anderen, nicht weil diese Christen sind, sondern, weil wir selbst christlich sind!“
Wenn es heißt: Was andere tun, müssen wir nicht tun! Dann möchte ich sagen: Wenn andere eine Not erkannt haben und helfen, dann sind sie Vorbild und machen uns aufmerksam, was Not tut, woran es fehlt, was not-wendig ist. Jesus hat sicher keine Strategie entwickelt, er hat Menschen geheilt, geholfen und ihnen so zum Leben verholfen. Der Fremde, der Samariter hat es verstanden.
Der jüdische Philosoph Martin Buber sagte: „Erfolg ist keiner der Namen Gottes!“ Jesus scheint mit der „Erfolgsquote“, wenn wir es so bezeichnen wollen, von nur zehn Prozent zufrieden gewesen zu sein. Jedenfalls genügte sie, um dem Reich Gottes zum Wachsen zu verhelfen. Von daher ist es meine Sorge: Was nutzt es, wenn wir irgendwann sagen können, dass wir zwar die Finanzen der Kirche saniert haben, aber zugleich feststellen müssen, dass uns der Auftrag und die Sendung zu den Menschen, insbesondere zu den Armen, verloren gegangen ist. Bei aller Sorge um die materielle und finanzielle Grundlage für unseren Dienst, darf der Dienst am Menschen, der Dienst am Leben nicht vernachlässigt werden.
Menschen wie Barbara Stamm und Bischof Paul-Werner machen uns Mut, durch unseren Einsatz zu bezeugen, dass Gottes Heil allen Menschen gilt. Ganz aktuell hat unser Bischof Franz bei seiner Predigt zum Vinzenztag die Kirche mit einem Lazarett verglichen. „Es ist der Ort, an dem im Namen Jesu allen Armen und Pflegebedürftigen dieser Welt geholfen wird.“ Und er verwies auf Papst Franziskus, der sagte, die vornehmste Aufgabe der Kirche sei es, Wunden zu heilen. Wo das geschieht, wo Menschen das erleben, da werden sie dankbar sein, wie der Samariter.
Domkapitular Clemens Bieber
www.caritas-wuerzburg.de
Ein Geschenk des Himmels
Manche Menschen wissen nicht,
wie wichtig es ist, dass sie einfach da sind.
Manche Menschen wissen nicht,
wie gut es tut, sie nur zu sehen.
Manche Menschen wissen nicht,
wie tröstlich ihr gütiges Lächeln wirkt.
Manche Menschen wissen nicht,
wie wohltuend ihre Nähe ist.
Manche Menschen wissen nicht,
wie viel ärmer wir ohne sie wären.
Manche Menschen wissen nicht,
dass sie ein Geschenk des Himmels sind.
Sie wüssten es,
würden wir es ihnen sagen.
Petrus Ceelen (geb. 1943)