Zigmal haben sie das Märchen in ihrer Kindheit gehört, es selbst gelesen und später sicherlich auch den Enkeln und Urenkeln vorgelesen. 'Märchen und Demenz' - unter diesem Titel wirkt des Pflegeheim Camillus-Haus am Heimathof Simonshof mit der von der Pflegekasse finanzierten Präventionsmaßnahme seit einigen Wochen der Demenz entgegen. Und den Bewohnern macht die allwöchentliche Märchenstunde viel Freude.
Seit Ende März werden einmal wöchentlich eine Stunde lang zwei bis drei Märchen von der Märchenerzählerin vorgetragen. Nach den ersten Märchenstunden warten die Bewohner nun schon immer sehnsüchtig auf den nächsten Termin. „Selbst schwer demente Bewohner lauschen fasziniert den Erzählungen“, schildert Heike Stumpf, Pflegedienstleiterin im Camillus-Haus, ihre Erfahrungen und Beobachtungen nach den ersten Märchenstunden. Dass in Pflegeeinrichtungen gerne Märchen vorgelesen werden ist keine Seltenheit. Neu ist allerdings, dass die Märchen „gezielt als psychosoziale Intervention nach einem wissenschaftlich erarbeiteten Qualitätsstandard in der Pflege“ eingesetzt werden, so Mariella Vorwerk vom ‚Märchenland – Deutsches Zentrum für Märchenkultur‘. Die Präventionsmaßnahme ‚es war einmal … Märchen und Demenz‘ des Zentrums wurde auf der Grundlage einer vierjährigen Studie entwickelt. Aktuell wird sie in 50 stationären Pflegeeinrichtungen in Bayern eingesetzt und gefördert. Acht Wochen lang weckt Märchenland-Demenzerzählerin Claudia König, die selbst in Sprechtraining und Auftrittscoaching ausgebildet ist, mit ihren einfühlsamen Erzählungen bei den Bewohnern längst vergessene Kindheitserinnerungen und öffnet damit ‚die Tür ins Langzeitgedächtnis‘.
Außerdem gehört zu der Präventionsmaßnahme auch eine ausführliche Multiplikator-Schulung für das Pflege- und Betreuungspersonal zum Märchenvorleser, die sie mit dem Thema Märchen vertraut macht und so die Nachhaltigkeit des Programmes im Camillus-Haus sichert. Mit dem Märchenerzählen gelingt es, die psychische Gesundheit zu fördern und allgemein die Lebensqualität zu verbessern. Wohlbefinden, soziale Interaktion und die Gemeinschaftsbildung sowie die Teilhabe werden gefördert, die kognitiven Fähigkeiten und auch motorische Kompetenzen werden gestärkt und einer Depression wird dadurch vorgebeugt. Besonders durch das Einbeziehen des an Demenz erkrankten Publikums mit dem Dialog über den Inhalt der Märchen gelingt es, diese Ziele zu erreichen. Märchen sind nicht nur eines der ältesten Kulturgüter unserer Zivilisation, sie sind im Bewusstsein unserer Gesellschaft verankert. Für Kinder bedeuten Märchen die erste Berührung mit Literatur und Erwachsene erinnern sich zeitlebens an sie, auch noch in fortgeschrittenen Phasen der Demenz.
Daher gehören Märchen zu den tiefsten Eindrücken, die ein Mensch im Leben erfährt. Denn Märchen, so heisst es, sind Nahrung für die Seele, so das ‚Märchenland-Manifest 2010‘. Und daher hören auch die alten Menschen so gerne die Geschichte von Schneewittchen und den sieben Zwergen.
Klaus-D. Hahn