Die Predigt im Wortlaut:

„Gefährliche Weihnachten“, so lautete die Überschrift zu einem Artikel, der sich mit dem angekündigten Verbot der Beschäftigung mit dem Weihnachtsfest, seinem Ursprung und seinem Brauchtum befasste. Es sollte für eine deutsche Schule in der Türkei erlassen werden, wurde aber letztlich zurückgezogen.

„Gefährliche Weihnachten“ – was bei dieser Debatte um die Überlegungen in der Türkei noch keiner ahnen konnte, ereignete sich wenige Tage später mitten in Berlin, wo ein aus Tunesien stammender sogenannter „Gefährder“ mit einem gestohlenen LKW in einen Weihnachtsmarkt raste, zwölf Menschen tötete und 48 teilweise lebensgefährlich verletzte.

„Gefährliche Weihnachten“ – dieser Gedanke drängt sich gerade in diesen Wochen auf:
Hunderte von Personen, die sich mehr und mehr radikalisiert haben, halten sich in unserem Land auf und warten auf eine Gelegenheit, gewaltsam ihrer Ideologie zu folgen und unsere ihnen verhasste Lebensweise zu vernichten.

„Gefährliche Weihnachten“ – das gilt auch im Blick auf die Ermordung des russischen Botschafters in der Türkei vor wenigen Tagen.

„Gefährliche Weihnachten“ – das können wir sagen, wenn wir bei den Nachrichtensendungen Bilder aus Syrien und vielen weiteren Kriegsgebieten der Erde sehen, wenn wir an die Spannungen im Iran, Irak, Saudi Arabien, in zahlreichen Ländern Afrikas, an die unsäglichen Massaker durch IS und Boko-Haram, aber auch an die weltpolitische Entwicklung mit Russland, USA und China denken.

„Gefährliche Weihnachten“ – das ist bittere Realität für Christen an vielen Orten der Welt, so z.B. in Ägypten, wo im Advent während der Messfeier in der Hauptkirche der koptischen Christen in Kairo eine Bombe explodierte und mindestens 23 Menschen starben sowie zahlreiche Gläubige schwer verletzt wurden.

„Gefährliche Weihnachten“ – nicht nur in der weiten Welt, sondern auch in Europa, wo in immer mehr Ländern nationalistische und menschenverachtende Parolen auf den Straßen skandiert werden und Zustimmung erfahren.

„Gefährliche Weihnachten“ – dieser Gedanke drängt sich auf auch in unserem Land angesichts der vielfachen Gewalt auf Straßen, in U-Bahnen, Bussen bis hinein in einzelne Familien.

Wie weit sind wir weg von „gesegnete, friedvolle und frohe Weihachten“?
Aus dieser Sichtweise ist die biblische Botschaft der Heiligen Nacht höchst aktuell. In der Lesung aus dem Buch des Propheten Jesaja haben wir gehört: „Das Volk, das im Dunkel lebt, sieht ein helles Licht; über denen, die im Land der Finsternis wohnen, strahlt ein Licht auf.“
In einer Situation, in der das Volk Israel höchst verunsichert war und nicht wusste, wie es weitergehen und einer friedvollen und lebenswerten Zukunft entgegengehen könnte, da verweist der Prophet auf Gott, der uns Menschen entgegenkommt.

Doch wo entdecken oder sehen wir das wegweisende Licht SEINER Menschenfreundlichkeit und Liebe? Gewiss nicht auf den sogenannten Christkindles- oder Weihnachtsmärkten mit gigantischem Alkoholkonsum und Volksfeststimmung, wo es als Zeichen des unantastbaren Selbstbewusstseins angesehen wird, dass nach wenigen Tagen - wie in Berlin - der Glanz der elektrischen Lichter wieder erstrahlt und die Unterhaltungsmusik laut wie zuvor ertönt.
Was hat eine zum Volksfest verkommene und profanisierte Weihnachtsfeier mit der Feier der Geburt Jesu, mit der Botschaft von der Menschwerdung Gottes zu tun?

Angesichts der oft friedlosen und gefährlichen Situationen bei uns wie in aller Welt braucht es gerade jetzt die Aufmerksamkeit für den Anspruch Gottes, den Menschen einen guten und wertvollen Weg für ihr Leben aufzuzeigen und sie zu begleiten. „Menschwerden gegen Selbstzerstörung“ überschrieb der Journalist Andreas Püttmann seine Gedanken zum Weihnachtsfest. Er fürchtet „die totalitäre Versuchung der Selbstüberhöhung, Selbstermächtigung und Selbsterlösung des Menschen“ und verweist dabei nicht nur auf die Terror-Orgien in aller Welt, sondern auch auf „die radikalisierenden ‚Echoräume‘ des Internets‘“ und der sozialen Medien, die „niedrigste menschliche Impulse entfesselt“ haben. Deshalb erinnert er die Christen an das Wort von Bischof Kamphaus: „Mach‘s wie Gott, werde Mensch!“ Und er ermutigt dazu, sich in diesem Sinn in der Welt zu engagieren.

Der Bamberger Erzbischof Ludwig Schick verwies vor wenigen Tagen darauf, dass es auf die „wahre Weihnacht“ und nicht die „Ware Weihnacht“ ankommt. Und wenn wir an diesem Abend, ob in der Familie zuhause oder bei einer gemeinsamen Feier für Alleinstehende erleben, dass Menschen in ihrem Herzen zutiefst berührt sind und sogar Tränen fließen, dann nicht deshalb, weil die gekauften Geschenke so toll waren, sondern weil sie Gottes Nähe spüren durften, die in all den perfekt scheinenden, von Menschen gemachten Äußerlichkeiten nicht zu finden ist. Die „wahre Weihnacht“ bringt uns Gott näher und zeigt unserem Leben einen neuen, verheißungsvollen Weg. Auf diesen Gott hoffte Jesaja, als er in seiner Zeit ankündigte: „Seine Herrschaft ist groß, und der Friede hat kein Ende.“
Das war es, was den Hirten auf den Feldern von Betlehem in der Begegnung mit den Boten Gottes, den Engeln, aufging als sie sprachen: „Fürchtet euch nicht, denn ich verkünde euch eine große Freude, die dem ganzen Volk zuteilwerden soll: …Verherrlicht ist Gott in der Höhe, und auf Erden ist Friede bei den Menschen seiner Gnade.“

Es ist nicht die Stunde, um die politischen Maßnahmen einer besseren Einreisekontrolle und einer optimierten Überwachung von Gefährdern zu diskutieren, aber es wäre jetzt dringend notwendig, über die Botschaft von Weihnachten zu reden. Mancher mag sie – wie in der deutschen Schule in Istanbul – für gefährlich halten, weil sie die eigene Denk- und Lebensweise hinterfragt. Dennoch ist es wichtig, zu erkennen, welches Zeichen Gott in der Heiligen Nacht gesetzt hat, um der Welt einen guten Weg aus der Dunkelheit zu zeigen.

Wir tragen gewiss nicht zu einer Kultur des gegenseitigen Respekts und des Friedens in der Welt bei, wenn wir nur auf unserer teils fragwürdigen Lebensweise trotzig beharren und dies als Freiheit bezeichnen, auch dann nicht, wenn wir jegliche Haltung als gleichberechtigt ansehen.

Die Nacht von Betlehem ist zur Heiligen Nacht geworden, weil denen, die im Dunkeln lebten, an der Krippe das Herz weit wurde und ihnen die entscheidende Einsicht für ihr Leben aufging:
In Jesus kam Gott selbst in die Welt mit all ihren Spannungen und Konflikten, mit all ihren Sorgen und Problemen, mit all ihren Schreien nach Erlösung, um allen Menschen zu einem erfüllten und zufriedenen Leben zu verhelfen,

• indem ER den Mächtigen wie auch den Wohlhabenden den Blick weitet für eine tiefere Einsicht, was Leben bedeutet,
• indem ER Niedergedrückte, Mutlose und Enttäuschte aufrichtet,
• indem ER Schwachen, Gebrechlichen und Kranken heilsame Nähe schenkt,
• indem ER Schuldigen verzeiht und zu einem neuen Anfang verhilft,
• indem ER Menschen über kulturelle und soziale Grenzen hinweg zusammenführt,
• indem ER Hoffnungslosen das Herz weitet und ihre Zuversicht bestärkt.

Die „wahre Weihnacht“ bedeutet: Menschen fühlen sich angenommen, wertgeschätzt und geborgen trotz all ihrer Fehler und Schwächen, auch mit all ihrer Gebrechlichkeit, Hinfälligkeit, Unvollkommenheit und mit ihrer Not. Das Wunder dieser Nacht liegt nicht in der Perfektion oder einer Inszenierung, sondern in der Schwäche, die zutiefst menschlich ist.

Die Rahmenbedingungen für die Geburt Jesu waren alles andere als perfekt: Da gab es den beschwerlichen Weg nach Betlehem, die Obdachlosigkeit. Bei Maria und Josef schwingt unvorstellbar viel Unsicherheit mit. Sie erfahren Ablehnung und landen am Rande, draußen vor der Stadt. Die Kontakte dort sind Menschen, die nicht zur vornehmen Gesellschaft gehören. Aber gerade ihnen geht das Herz auf, und sie ahnen, dass mit dem Kind in der Krippe Licht in das Dunkel der Welt kommt, dass sich die große Erwartung der Menschheit erfüllt, wie sie der Prophet Jesaja schildert. Im Blick auf die Menschwerdung Gottes schreibt der Apostel Paulus an Titus: „Die Gnade Gottes ist erschienen, um alle Menschen zu retten.“

Weihnachten, die Menschwerdung Gottes in Jesus, ist – wie ich dieser Tage las – der „Inbegriff des Neuanfangs“. Wenn die Botschaft des Festes, wenn das Berührtsein im Herzen dazu bewegen, mit neuer Zuversicht das Leben anzunehmen, dann wird die Welt menschlicher und hoffnungsvoller.

Es ist nicht ungefährlich über Weihnachten, die Menschwerdung Gottes, zu reden

• an vielen Orten der Erde, weil die christliche Botschaft bzw. die Christen verhasst sind,
• aber auch bei uns, weil der menschgewordene Gott und seine Frohe Botschaft unsere stark materialistische Lebensweise hinterfragen.

Aber weil es gefährlich ist als Christ zu leben und zu handeln, ist es umso wichtiger über die Botschaft des menschgewordenen Gottes zu reden und von ihr geleitet im Umgang mit den Menschen zu handeln. Dazu gehört dann auch, „die wahre Weihnacht“ zu feiern und uns nicht mit dem Konsum der „Ware Weihnacht“ zu begnügen.

Wer auf das Entgegenkommen Gottes vertraut, der braucht eine „gefährliche Weihnachten“ nicht zu fürchten, im Gegenteil: Wir können uns gegenseitig zurufen „gesegnete, gnadenreiche, friedvolle und frohe Weihnachten“!

Text zur Besinnung

Wenn du dich satt gesehen hast
an dem Kind in der Krippe,
geh nicht fort.

Schau auch auf die,
die er um sich versammelt hat.

Bevor du gehst,
mach erst wieder
seine Augen zu deinen Augen,
seine Ohren zu deinen Ohren
und seinen Mund zu deinem Mund.

Mach seine Hände zu deinen Händen,
sein Lächeln zu deinem Lächeln
und seinen Gruß zu deinem Gruß.

Dann erkennst du in jedem Menschen
deinen Bruder, deine Schwester.

Wenn du ihre Tränen trocknest
und ihre Freude teilst,
dann ist Gottes Sohn wahrhaftig geboren.

Du darfst dich freuen,
alle Menschen können sich freuen,
können leben –
in dieser Nacht
und für immer.