Die Predigt im Wortlaut:
„Aus der Kirche austreten?“ – so die Überschrift zu einem Kommentar im Wirtschaftsteil der Frankfurter Allgemeinen am vergangenen Sonntag. „Die Kapitalismuskritik von Papst Franziskus wäre ein Grund dafür.“ Mit dieser Feststellung wird die Kritik an der Enzyklika „Fratelli tutti“ („Über die Geschwisterlichkeit“) eingeleitet. Der Aussage des Papstes, dass die Corona-Pandemie bewiesen habe, dass die „magische Theorie“ des Markt-Kapitalismus gescheitert sei, und die Marktfreiheit im Angesicht der Pandemie versagt habe, widerspricht der Kommentator u.a. mit dem Hinweis, dass es gute Ärzte, Krankenhäuser und hoffentlich bald Impfstoffe brauche, und das seien Früchte des Wohlstands und der Marktwirtschaft. „Gesundheit fällt nicht vom Himmel. Länder ohne Kapitalismus sind bisher schlechter durch die Krise gekommen“, so der Kommentator.
Ein anderer Wirtschaftswissenschaftler zeigt sich von „Fratelli tutti“ erschüttert: „Eine allein auf Nächstenliebe beruhende Gesellschaft funktioniert nicht.“ Zugleich kritisiert er die hochspekulativen Finanzgeschäfte des Vatikans am Londoner Immobilienmarkt.
Trotz dieser Kritik erachte ich es als wichtig, dass der Papst auf den Umgang mit Geld und die Verantwortung für ein sozial gerechtes und menschenwürdiges Miteinander hinweist. Deshalb fand in der vergangenen Woche im Vatikan eine Tagung über ethische Investitionen statt: „Entscheiden, wie das Geld verdient werden soll“ und welche Anregungen der Papst mit seinen Impulsen von „Laudato si“ und „Fratelli tutti“ für die Wirtschaft dazu gibt. Neben sozialer Gerechtigkeit ging es dabei auch um Nachhaltigkeit im Blick auf die Umwelt.
„Wie kann ein neues nachhaltiges Wirtschafts- und Finanzsystem entstehen, das den Menschen anstelle des Geldes ins Zentrum stellt?“, lautete eine Frage, eine andere: „Wie soll das Finanzsystem auf die weltweite Gesundheits-, Wirtschafts-, Gesellschafts- und Umweltkrise reagieren?“
In der Tat fordert Papst Franziskus eine Politik, die sich auf Menschenwürde konzentriert und sich nicht vor dem Finanzsektor beugt, denn „der Markt allein löst nicht alle Probleme“.
Er fordert den Wechsel von einer Politik „gegenüber“ den Armen zu einer Politik „mit“ und „der“ Armen (169). Der Klimaforscher Ottmar Edenhofer bestätigt dem Papst „eine klare Reformoption für eine Wirtschaft, die dem Leben dient“, indem er nach einem „politischen Rahmen für die Weltwirtschaft und die Weltgemeinschaft“ rufe. Im 20. Jahrhundert sei es der Kirche gelungen, in der Arbeiterfrage „im nationalstaatlichen Rahmen einen Beitrag zu leisten“. Das könne sie auch im 21. Jahrhundert in globalen Fragen tun.
Trotz aller Kritik aus Kreisen der Wirtschaft tut das m.E. der Papst mit seinem Verweis auf die notwendige Solidarität. „Es bedeutet, dass man im Sinne der Gemeinschaft denkt und handelt, dass man dem Leben aller Vorrang einräumt – und nicht der Aneignung der Güter durch einige wenige … Es bedeutet auch, dass man gegen die strukturellen Ursachen der Armut kämpft: Ungleichheit, das Fehlen von Arbeit, Boden und Wohnung, die Verweigerung der sozialen Rechte und der Arbeitsrechte. Es bedeutet, dass man gegen die zerstörerischen Auswirkungen der Herrschaft des Geldes kämpft ...“ (116).
Im Großen wie im Kleinen unseres Lebens dreht sich alles ums Geld! Geld ist ein wichtiges Mittel zum Leben. Und als Christen haben wir die Pflicht, sorgsam mit den irdischen Gütern umzugehen und die Erträge vernünftig zu verwalten, sodass sie dem Wohl der Menschen und dem Fortschritt der Völker dienen – und natürlich auch jenen, die uns in der Familie anvertraut sind. Doch die Gier nach Geld hat offenbar immer wieder „jedes Maß des Maßhaltens gesprengt“, wie es in einem Kommentar hieß.
Gerade deshalb wird deutlich, dass der Umgang mit Geld nicht nur ökonomische, politische oder finanztechnische Fragen aufwirft, sondern auch philosophische, z.B.: Woher nehmen wir eigentlich unser Vertrauen gegenüber Materiellem, das durch das Materielle allein offenbar gar nicht gedeckt ist, wie etwa die wertlosen Immobilienfonds deutlich machen?
In einem Artikel habe ich gelesen: „Nicht Geld arbeitet, sondern der Mensch. Er braucht das Geld, um sinnvoll arbeiten zu können. Am Ende jedoch ist es einzig und allein die geistige und körperliche Arbeit der Vielen und jedes Einzelnen, die Frucht der Erde und der menschlichen Arbeit, die reale Werte schafft – nichts sonst.“ Auch das wissen wir freilich bereits aus der Bibel: Gott, der Schöpfer alles Guten, segnet nicht das Geld, sondern den schaffenden, innovativen Menschen, also, um es theologisch zu sagen, Geist von seinem Geist. Der Mensch ist und bleibt der große Reichtum, das einzige und wahre Kapital Gottes.
Es geht immer um den Menschen und das Wie seines Verhaltens. Wie verlockend klingt es, wenn ein Finanzmakler eine möglichst hohe Rendite verspricht! Wie schnell kommt Jubel auf! Wie selbstverständlich werden Gewinne von Einzelnen für sich selbst beansprucht, während Verluste sozialisiert werden. Darum braucht es Stimmen, wie jetzt von Papst Franziskus, deshalb braucht es die Kirche, die – um der Menschen willen – Klartext redet. Denn auch Jesus redet, wie wir im heutigen Evangelium gehört haben, Klartext.
Der Evangelist Matthäus gibt das entsprechende Wort Jesu an seine Gemeinde weiter, weil es für ihr Leben als Christen in der Welt wichtig ist. Zeitgeschichtlich geht es um die Kopfsteuer, die jeder Bewohner des Römischen Reiches zu bezahlen hatte, und um die Münze, die den Kaiser in göttlicher Würde abbildet. Wer die Münze besitzt und benutzt, der anerkennt die betreffende Regierung und die Wirtschaftsordnung.
Jesus, der die Münze nicht besitzt, spricht sich zwar nicht gegen das Steuerzahlen aus, aber er macht klar, dass es viel wichtiger ist, dem Anspruch Gottes zu folgen. Er möchte, dass im Wirken und Handeln der Menschen das Reich Gottes zum Durchbruch kommt.
Für uns und für alle Menschen, die sich um gerechte Lebensbedingungen für alle bemühen, bedeutet das, aus der Frohen Botschaft Jesu die Anleitung zu einem guten, gerechten und menschenwürdigen Leben zu ziehen. Wer nur Geld und Profit im Kopf hat, der verliert den Blick für das Leben und den Menschen.
Der Papst hat die große Vision von einer geschwisterlichen Welt, in der die Menschen Verantwortung füreinander wahrnehmen und daran mitwirken, ein solidarisches und hoffnungsvolles Miteinander zu gestalten.
Ebenso muss sich die Kirche in unseren Tagen – gerade in unserem Land, wo ihr aktuell das Geld massiv wegbricht – darüber klar werden, was ihre Sendung und ihr Auftrag sind. Von daher gilt es dann, Prioritäten zu setzen, wie sie am wirkungsvollsten die Botschaft Jesu in Wort UND Tat bezeugen kann. Noch aber drängt sich eher der Eindruck auf, dass die weniger werdenden finanziellen Ressourcen dazu führen, überall etwas einzusparen und somit die bestehenden Strukturen etwas verkleinert zu erhalten. Meines Erachtens ist es jetzt die Stunde der Kirche, klare Akzente zu setzen, wie wir glaubwürdig „Kirche für die Menschen“ sein können.
Auch deshalb ist es wichtig, dass wir Sonntag für Sonntag hier zusammenkommen, um mehr und mehr zu lernen, mit dem Wort Gottes im Herzen zu leben und zu handeln im privaten, beruflichen und öffentlichen Bereich. Hier können wir Kraft schöpfen aus der Botschaft des Glaubens. Von daher sind die Christen zu allen Zeiten den Weg der Frohen Botschaft auch am Werktag, im Alltag gegangen. Wir können nicht am Sonntag versuchen Christen zu sein und am Werktag als Heiden leben.
Gott ist Schöpfer und Herr der Welt, und alles Leben auf dieser Erde soll nach seinen Geboten gestaltet werden. Gott wird sich um der Menschen willen nie aus den Zuständigkeiten der Welt heraushalten, auch nicht aus der Politik, der Gesetzgebung, der Wirtschaft. Deshalb können und dürfen wir nicht im staatlichen Zusammenleben nach anderen Prinzipien handeln als im kirchlichen Bereich.
Hans-Jochen Vogel, der vor einigen Wochen verstorben ist, wurde einmal in einem Interview gefragt: „Was ist in Ihren Augen ein praktizierender Katholik?“ Seine Antwort lautete: „Einer, der seinen Glauben ernst nimmt, der für sein Leben im Glauben Orientierungshilfe sucht und der mit Regelmäßigkeit am Sonntagsgottesdienst teilnimmt.“
Wer das mit innerster Überzeugung tut, für den dreht sich im Leben nicht alles nur um Geld. Der sucht nach Wegen für ein gerechtes und gutes Leben für alle.
„Aus der Kirche austreten?“ – so das Zitat, das ich eingangs erwähnt habe. Meine Antwort ist: Nein, sondern als Kirche für das Leben der Menschen in aller Welt eintreten!
Domkapitular Clemens Bieber
Text zur Besinnung
Gib dem Kaiser,
was des Kaisers ist.
Gib dem Kaiser nicht,
was Gottes ist:
dein Herz.
Der Kaiser
deine Sicherheit
dein Erfolg
dein Geld
deine Geltung
dein Aussehen
dein Ansehen
Dein Herz
dein Vertrauen
deine Kraft
deine Aufmerksamkeit
deine Sehnsucht
deine Liebe
dein Leben
all das gib Gott