Die Predigt im Wortlaut:
„Für 40 Prozent der Katholiken ist Austritt denkbar“, lautete die Meldung vor zwei Wochen. Vier von zehn Katholiken in unserem Land können sich vorstellen, dass sie aus der Kirche austreten. Das hat eine Studie des Sinus-Instituts ergeben. Die Hälfte von diesen 40 Prozent denkt ernsthaft an einen Austritt. Befragt man nur die unter 65-jährigen Kirchenmitglieder, kann sich die Hälfte vorstellen auszutreten, egal ob 30, 40 oder 50 Jahre alt. 10 Prozent der 18- bis 29-Jährigen ist sogar fest entschlossen, demnächst die Kirche zu verlassen.
Wer bei der Kirche bleiben will, nennt neben dem Glauben u.a. folgende Motive: Familientradition und den Service mit Taufe, Hochzeit oder Beerdigung. Insbesondere aber überzeugt viele das soziale Engagement der Kirche. Sehr bedenklich erscheint die Aussage, dass die katholische Kirche für die wenigsten Gläubigen noch Anlaufstelle bei privaten Problemen ist.
Doch richten wir unsere Aufmerksamkeit zunächst auf die erfreulich positiven Erkenntnisse aus der Studie, nämlich 70 Prozent aller Befragten gaben an, in der Kirche zu sein bzw. trotz aller Verärgerung zu bleiben, weil ihnen der Glaube wichtig ist, und für 68 Prozent war und ist das soziale, caritative Engagement der Kirche für die Menschen wertvoll. Das sind die beiden am häufigsten genannten Gründe.
Daneben möchte ich noch erwähnen, dass 58 Prozent der Befragten angaben, dass ihnen die Kirche – in ihrem Lebensraum – wichtig ist und ihnen ein Gefühl von Gemeinschaft und Zusammengehörigkeit gibt, also Kirche als Heimat. Diesen Befund bestätigt auch der Religionssoziologe Professor Ebertz. Er sagt, ein starker Glaube und eine Verbundenheit mit der örtlichen Kirchengemeinde seien mit entscheidend für die Kirchenbindung. Diese Erkenntnis erachte ich als wichtigen Hinweis im Blick auf die derzeitigen Strukturdiskussionen.
Doch zurück zu den beiden am stärksten genannten Beweggründe, in der Kirche zu sein bzw. bleiben zu wollen, nämlich den Glauben und das caritative Engagement.
Die Forscher erläutern die Erkenntnisse und mahnen, dass die Kirche „qualitativ hochwertige Angebote“ machen müsse, um den Glauben der Christen zu bestärken und diesen mit ihnen zu feiern. „Sie müssen die Beziehung zu Jesus Christus fördern“ – sagte ein Marketingexperte und ergänzte: „Sie müssen den Markenkern stärken.“ Denn das Bedürfnis, über den Glauben frei und offen zu reden, sei da, es fehlten allerdings vielfach die Möglichkeiten und Angebote dafür. Das Gespräch über den Glauben sowie die Weitergabe des Glaubens etwa durch substanzielle katechetische Angebote und die Feier von ansprechenden Gottesdiensten sind damit sicher auch gemeint.
Im Blick auf den zweiten Beweggrund, in der Kirche zu bleiben, nämlich die Wertschätzung für das soziale, caritative Engagement, sehe ich die Herausforderung, als Kirche den konkreten Dienst am Menschen zu stärken und deshalb auch die Aufgabe, die beruflichen wie die ehrenamtlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zu begleiten. Auf jedem Briefbogen und in jeder Veröffentlichung unserer Diözese ist die Klammer zu sehen und der Zusatz: „Diözese Würzburg – Kirche für die Menschen“. Darauf kommt es in der Tat an!
Von daher erachte ich den Kommentar auf einer – für mich reaktionären – Internetplattform als befremdlich, der unmittelbar nach der Veröffentlichung der Studie forderte: „Kirchensteuer, Kindergärten, Caritas – weg damit“.
Der Glaube spiele im Leben der Menschen keine Rolle mehr, so die Behauptung. Die Kirche betreibe zahlreiche Einrichtungen, denen man allerdings bescheinigen müsse: „Das Attribut katholisch gebührt ihnen nicht mehr. Katholische Pfarrer dürfen froh sein, wenn in ihrem Kindergarten eine wirklich katholische Erzieherin arbeitet …“ Dann stellt der Kommentator die Frage: „Wäre ein katholischer Kindergarten mit Erziehung zum Glauben, täglichem Gebet und katechetischer Unterweisung der Kinder überhaupt noch in der Breite der Bevölkerung akzeptiert? Gleiches lässt sich äquivalent über Krankenhäuser, Altenheime, Sozialstationen, Schulen und vieles andere mehr sagen.“
Die Zielrichtung einer solchen Haltung ist offensichtlich der Rückzug der Kirche in den binnenkirchlichen Raum und keineswegs in die Gesellschaft zu den Menschen.
Dagegen haben wir in der ersten Lesung den Auftrag Gottes an dem Propheten Jeremia gehört: „… ich habe dich … zum Propheten für die Völker … bestimmt … tritt vor sie hin, und verkünde ihnen alles, was ich dir auftrage. …“
Es geht also um die Sendung zu den Menschen und um das Zeugnis für den Glauben an Gott.
Darauf kommt es Jesus an, als er auf das Wirken Gottes verweist, das gerade den Menschen zugutekam, die die Frommen – in allen Zeiten – nicht im Blick hatten, wie die Witwe in Sarepta bei Sidon oder den Syrer Naaman, der von seinem Aussatz befreit wurde. Die Erinnerung Jesu, dass das Heil Gottes auch den Fremden und den am Rande Stehenden gilt, bringt die Frommen seiner Zeit in Rage. „Als die Leute in der Synagoge das hörten, gerieten sie alle in Wut. Sie sprangen auf und trieben Jesus zur Stadt hinaus; sie brachten ihn an den Abhang des Berges, auf dem ihre Stadt erbaut war, und wollten ihn hinabstürzen.“
Jesus aber ist souverän und zeigt Haltung nicht nur mit seiner Feststellung, dass „kein Prophet in seiner Heimat anerkannt wird“, sondern wie er dem Unmut begegnet: „Er aber schritt mitten durch die Menge hindurch und ging weg.“
„In dieser Stunde der Kirche“, wie der frühere Würzburger und spätere Münchner Bischof Kardinal Döpfner wichtige Aussagen einzuleiten pflegte, kommt es darauf an, sich nicht zurückzuziehen, sondern als Kirche bewusst unter den Menschen zu wirken. Es kommt auf das Zeugnis für die Frohe Botschaft in Wort und Tat an.
Roger Schutz, der frühere Prior von Taizé, predigte einmal: „Lebe das, was du vom Evangelium begriffen hast, und wenn es noch so wenig ist, aber lebe es!“ Damit machte Roger Schutz in Taizé unzähligen jungen Leuten Mut, zu zeigen, woraus und wofür sie leben. Er machte ihnen Mut, sich zu ihren Überzeugungen zu bekennen und als überzeugte Christen in der Welt zu wirken.
Der Prophet Jeremia eckt an mit seinen offenen Worten. Auch Jesus stößt mit seiner Botschaft auf Widerstand und muss schmerzlich erfahren, dass ein Prophet häufig Unverständnis und Ablehnung erfährt. In einem Vortrag hörte ich den Satz: „Propheten sind keine Wahrsager, aber sie sagen die Wahrheit! Sie sprechen nicht über die Zukunft, sondern in die Gegenwart hinein. Und das macht sie unbeliebt.“
Es wäre schon viel gewonnen, wenn wir den Rat von Roger Schutz beherzigen würden: „Lebe das, was du vom Evangelium begriffen hast, und wenn es noch so wenig ist, aber lebe es!“
Wer das wagt, der prägt als Christ das Leben, das Miteinander und die Kultur unserer Gesellschaft entscheidend mit. Das geht allerdings nicht, wenn wir uns zurückziehen, sondern nur, wenn wir uns mutig unter die Menschen mischen. Wir haben große Chancen! 70 Prozent warten auf die Glaubensbotschaft und 68 Prozent wertschätzen unseren sozialen Dienst. 70 bzw. 68 Prozent in der repräsentativen Umfrage auf 23,3 Millionen Menschen, die in Deutschland der Katholischen Kirche angehören – wenn das keine Chance ist!
Text zur Besinnung
Die neue Hoffnung
Es ist nicht zu leugnen:
was viele Jahrhunderte galt,
schwindet dahin. Der Glaube,
höre ich sagen, verdunstet.
Gewiss, die wohlverschlossene
Flasche könnte das Wasser
bewahren. Anders die offene
Schale: sie bietet es an.
Zugegeben, nach einiger Zeit
findest du trocken die Schale,
das Wasser schwand. Aber merke,
die Luft ist jetzt feucht.
Wenn der Glaube verdunstet,
sprechen alle bekümmert von
einem Verlust. Und wer von
uns wollte dem widersprechen!
Und doch: einige wagen trotz
allem zu hoffen. Sie sagen:
Spürt ihr‘s noch nicht?
Glaube liegt in der Luft!
Lothar Zenetti