Die Predigt im Wortlaut:
Nach den Jahren des Theologiestudiums an der Universität kam ich zum 1. September 1985 nach St. Vinzenz. Was ich mir an Wissen über Gott und unseren Glauben angeeignet hatte, sollte ich nun lernen umzusetzen in der pastoralen Praxis.
Im Blick zurück kann ich sagen, es hätte mir für meinen Dienst nichts Besseres passieren können. Wann immer ich nach meiner „Laufbahn“ gefragt werde, antworte ich, dass mein Weg zur Caritas in Kitzingen begonnen hat, der einzigen Pfarrei in unserer Diözese, die nach dem großen Vorbild und Vorarbeiter der modernen Caritas, dem heiligen Vinzenz von Paul, benannt ist. Diese Zeit hat mich und meinen Dienst stark geprägt!
Unvergesslich bleibt mir die Erinnerung an einen Ausflug der Senioren in den Steigerwald. Erst wenige Tage vorher war ich in St. Vinzenz - und dazu zählt auch St. Georg in Hoheim - angekommen, da lud mich Pfarrer Leutbecher ein, am Nachmittag am Ausflug teilzunehmen, um so einige Menschen kennenzulernen und Bekanntschaften zu machen.
Wir kamen am Ausflugsziel an, ich sprang in jugendlichem Elan aus dem Bus und wartete, bis die Menschen nach und nach ausgestiegen waren. Pfarrer Leutbecher blieb an der Türe stehen und half beim Aussteigen. Plötzlich sah ich, wie der große Mann sich vor einer kleinen und schmächtigen älteren Dame niederkniete und ihr den offenen Schnürsenkel am Schuh band. Bei seiner Hilfestellung an der Türe war ihm dieser aufgefallen, und bevor die Dame hängen blieb und stolperte, hat er – im wahrsten Sinne des Wortes – vorbeugend das Problem aus der Welt geschafft.
In aller Unterschiedlichkeit unserer Wesensart – er, der ruhige Mann, ich, der quirligere – habe ich bei Pfarrer Leutbecher entscheidende Haltungen erlebt und gelernt, die mich und meinen Dienst beeinflusst haben. Über eine Fülle von Beispielen könnte ich berichten, an denen mir deutlich wurde, wie er einfühlsam, glaubwürdig und überzeugend pastoral gewirkt hat.
Ein Lieblingsbild von ihm war und ist das Gemälde von Pablo Picasso „Das Mädchen mit der Taube“. Ganz behutsam und konzentriert hält das Mädchen die kleine verletzte Taube in ihren Händen geborgen und vergisst darüber seinen bunten Ball, das Spielzeug also.
Wenn ich Menschen in dieser Haltung begegne, kann Leben heil werden.
Wenn ich fast dreißig Jahre nach diesen für mich grundlegenden Erfahrungen die Situation der Kirche in unserem Land bedenke und mir die Erkenntnisse aktueller Umfragen vor Augen halte, dann muss ich feststellen, dass die Menschen in unserer Gesellschaft Kirche leider immer weniger über die pastoralen, liturgischen, d.h. gottesdienstlichen und sakramentalen Angebote wahrnehmen, aber sehr stark über unseren unmittelbaren sozialen Dienst, dann sehe ich Pfarrer Leutbecher bestätigt, der mir damals nahebrachte: „Der Dienst am Menschen ist Verkündigung“, also Zeugnis für den Auferstandenen und seine Frohe Botschaft!
Genau darauf hat Papst Benedikt mit seinem ersten großen Lehrschreiben, der Enzyklika „Deus caritas est“, „Gott ist die Liebe“, hingewiesen. Er betont darin die Gleichwertigkeit der drei Grundvollzüge christlichen Glaubens und Kirche-Seins. Der soziale, caritative Dienst ist ebenso wichtig wie Verkündigung und Katechese als auch die Feier des Gottesdienstes. Mit allen drei Grundvollzügen wird der Glaube auch vor der Welt bezeugt.
Und weil Papst Benedikt darauf hinweist, dass z.B. schon das Ausharren bei einem Menschen in einer sehr schweren Situation, das Halten einer Hand, das Vermitteln der Nähe ein Zeugnis – sogar ohne Worte – für die Zuneigung und das Erbarmen Gottes sind, und wenn dahinter die Haltung und die Herzlichkeit eines glaubenden Menschen stehen, dann wird klar, was er mit „Entweltlichung“ meint. Es geht nicht darum, uns aus der konkreten Verantwortung für den organisierten Dienst am Menschen zurückziehen, uns in frommen Nischen zu verstecken und uns mit frommen Übungen zu begnügen. Ganz im Gegenteil, „Entweltlichung“ bedeutet, dass wir unsere Sorge um den Menschen nicht aus wirtschaftlichen oder rein humanitären Gründen wahrnehmen, sondern dass unser Dienst eine besondere Qualität hat, weil durch ihn für die Menschen die Nähe Gottes erfahrbar wird.
Das gilt für unsere Sorge um Kinder, Jugendliche, Menschen mit Sorgen und Problemen, Menschen mit Behinderungen, Alte, Kranke, Sterbende usw.
Der „Mehr-Wert“ des Glaubens muss in unserem Tun zum Tragen kommen – wie es z.B. angedeutet ist im Lieblingsmotiv von Pfarrer Leutbecher, dem „Mädchen mit der Taube“.
Und deshalb ist es für unsere Kirchengemeinden, unsere Pfarreien entscheidend wichtig, dass wir nicht nur Gotteshäuser und pastorale Einrichtungen, sondern auch soziale Einrichtungen unterhalten, um hier wie dort die Menschenfreundlichkeit Gottes zu bezeugen.
An diesem Sonntag haben wir aus dem Lukasevangelium den Bericht über das Festmahl gehört, bei dem die Teilnehmer wie üblich auf die besten Plätze schielten. Und Jesus mahnt nicht nur zur Bescheidenheit was die Sitzordnung anbelangt, sondern er weitet den Blick der Menschen um ihn herum, damit sie die Schwachen, Kranken und Hilflosen nicht übersehen.
Genau diese Zeichen setzt Papst Franziskus, der Strafgefangenen die Füße wäscht, der Drogenabhängige besucht, der einem Kind einen Brief persönlich beantwortet, einen Jugendlichen anruft oder auf einer Fahrt durch Rom plötzlich aus dem Auto springt und auf ein Brautpaar zugeht, das nach seiner Trauung aus einer Kirche am Wegrand kommt, und ihm Gottes Segen wünscht. Er kommt in einfache Pfarreien, feiert mit Gemeinden Gottesdienst und trifft sich mit Familien.
Am vergangenen Sonntag sagte er auf dem Petersplatz: „Christsein darf sich nicht nur auf Äußerlichkeiten beschränken. Die Nachfolge Christi kommt nicht durch ein ‚Etikett‘ zum Ausdruck, sondern durch das Zeugnis des Glaubens im Gebet, in Wohltätigkeit sowie im Einsatz für Gerechtigkeit und dem Streben nach dem Guten.“
Der Papst scheut sich auch nicht, unmissverständlich Lebenshaltungen zu hinterfragen und auf Entwicklungen im Leben des Einzelnen wie im Zusammenleben der Menschen hinzuweisen, die in seinen Augen falsch oder gar gefährlich sind. „Heute steht der Mensch vor vielen Türen, die ein nur flüchtiges Glück ohne Zukunft verheißen“, äußerte er am vergangenen Sonntag.
Es geht um weit mehr als nur um Gutmenschentum. Es geht um eine überzeugte und überzeugende Haltung, die in Gott verwurzelt ist, also auf dem Fundament des Glaubens steht und Leben in Fülle erahnen lässt.
Das war und ist für die Christen kennzeichnend, dass sie sich, einerlei welcher sozialen Schicht sie sich zugehörig fühlen, zum Gottesdienst versammeln und damit deutlich machen, dass sie bei Gott alle an einem Tisch sitzen. Jesus geht es um die geschwisterliche Gemeinschaft der Menschen, in der nicht neidvoll danach geschielt wird, was der andere hat oder nicht hat, sondern darauf geachtet wird, dass möglichst alle gut leben können.
Das Glück und die Erfüllung des Lebens bestehen nicht in möglichst großem Konsum, sondern in der Erfahrung, geliebt zu werden, und in dem Gespür, anderen gut zu tun und ihnen zu ein wenig mehr Freude und Zufriedenheit zu verhelfen.
Gerade der aktuelle Wahlkampf macht deutlich, dass zahlreiche Redner sich in rhetorischen Floskeln ergehen, um zu beweisen, dass sie alles gut bzw. besser machen werden, und viele Zuhörer begnügen sich mit oberflächlichen Versprechungen und glauben ihnen.
Was Jesus im Evangelium verheißt, was derzeit Papst Franziskus an Zeichen setzt, was ein Pfarrer Leutbecher in all seiner Bescheidenheit bewirkt hat und weiterhin bewirkt, das hat mit dem Glauben an Gott zu tun. In diesem Glauben unseren Weg durchs Leben zu gehen und als Christen zu wirken trotz all unserer Begrenztheit und Unzulänglichkeit, davon hängt es ab, ob sich die Menschen der Gemeinschaft der Glaubenden, der Kirche, wieder zuwenden und Orientierung für ihr Leben in der Frohen Botschaft suchen.
Ich bin zutiefst dankbar, dass ich nach der wissenschaftlichen, theoretischen Auseinandersetzung mit all dem, was wir Menschen über Gott wissen, hier in St. Vinzenz und St. Georg vieles erfahren habe, was mir hilft, als Christ in der Welt zu leben und zu wirken – fast 25 Jahre lang im Gemeindedienst und jetzt seit vier Jahren bei und mit der Caritas.
Text zur Besinnung nach der Kommunion
Wo man andere liebt
Wo man andere liebt,
ist der Ort der Gemeinde,
die sich nach Christus nennt.
Wie er soll sie teilen
ihr Leben und heilen
die Kranken und Krummen
die Blinden und Stummen
sie soll sich erbarmen
der Schwachen und Armen
Wo die Liebe geschieht,
hat das Elend ein Ende,
da wird die Erde neu.
Wo man Unrecht bekämpft,
ist der Ort der Gemeinde,
die sich nach Christus nennt.
Wie er soll sie sprechen
für Recht und zerbrechen
die Herrschaft der Klassen
die Allmacht der Kassen
den Dünkel der Rassen
den Stumpfsinn der Massen
Wo Gerechtigkeit wird,
hat das Elend ein Ende,
da wird die Erde neu.
Wo Versöhnung geschieht,
ist der Ort der Gemeinde,
die sich nach Christus nennt.
Wie er soll sie künden
Vergebung der Sünden
inmitten von Waffen
soll Frieden sie schaffen
versöhnen die Feinde
als seine Gemeinde
Wo der Friede entsteht,
hat das Elend ein Ende,
da wird die Erde neu.
Evangelium des 22. Sonntags im Jahreskreis, Lesejahr C
Lk 14,1.7-14
Wer sich selbst erhöht, wird erniedrigt, und wer sich selbst erniedrigt, wird erhöht werden
+ Aus dem heiligen Evangelium nach Lukas
Als Jesus an einem Sabbat in das Haus eines führenden Pharisäers zum Essen kam, beobachtete man ihn genau.
Als er bemerkte, wie sich die Gäste die Ehrenplätze aussuchten, nahm er das zum Anlass, ihnen eine Lehre zu erteilen. Er sagte zu ihnen:
Wenn du zu einer Hochzeit eingeladen bist, such dir nicht den Ehrenplatz aus. Denn es könnte ein anderer eingeladen sein, der vornehmer ist als du, und dann würde der Gastgeber, der dich und ihn eingeladen hat, kommen und zu dir sagen: Mach diesem hier Platz! Du aber wärst beschämt und müsstest den untersten Platz einnehmen.
Wenn du also eingeladen bist, setz dich lieber, wenn du hinkommst, auf den untersten Platz; dann wird der Gastgeber zu dir kommen und sagen: Mein Freund, rück weiter hinauf! Das wird für dich eine Ehre sein vor allen anderen Gästen.
Denn wer sich selbst erhöht, wird erniedrigt, und wer sich selbst erniedrigt, wird erhöht werden.
Dann sagte er zu dem Gastgeber: Wenn du mittags oder abends ein Essen gibst, so lade nicht deine Freunde oder deine Brüder, deine Verwandten oder reiche Nachbarn ein; sonst laden auch sie dich ein, und damit ist dir wieder alles vergolten.
Nein, wenn du ein Essen gibst, dann lade Arme, Krüppel, Lahme und Blinde ein.
Du wirst selig sein, denn sie können es dir nicht vergelten; es wird dir vergolten werden bei der Auferstehung der Gerechten.