Die Predigt im Wortlaut:
„Ja, ist denn heute 1. April!“, so fragen wir, wenn wir das Gefühl haben, nicht ernstgenommen oder – bildlich gesprochen – an der Nase herumgeführt worden zu sein.
Was wir auf diese Weise im persönlichen, privaten Leben an gegenseitigem Umgang beklagen, wo sich nicht nur Kinder gegenseitig in den April schicken, das kommt ebenso in großen gesellschaftlichen Zusammenhängen vor, wo wir es als noch ärgerlicher empfinden.
So hören wir derzeit viele Vorwürfe – ob berechtigt oder unberechtigt – bei jeder Nachrichtensendung oder Pressemeldung im Zusammenhang mit der Corona-Pandemie, wenn es um die erforderlichen Testungen oder die ersehnten Impfungen geht. Auch wenn die Gründe für manche Verzögerungen oder unvorhersehbare Erschwernisse noch so stichhaltig sind, die Kritik fällt massiv aus, weil zunächst Erwartungen geweckt wurden, die danach vielleicht einfach nicht erfüllt werden konnten.
Oder blicken wir auf die Kirche, von der sich derzeit viele Menschen abwenden. Einige tun dies aus Verärgerung über das Agieren des pastoralen Personals vor Ort, weil der Eindruck entsteht, die tauchen unter. Andere sind verärgert, weil sie nach Konzil, Synode und bei den von daher immer wieder erfolgten Ankündigungen keine wirkliche Veränderung innerhalb der Kirche erkennen, oder weil sie aufgrund der Missbrauchsvorkommnisse kein Vertrauen mehr haben, dass diese schlimmen Ereignisse wirklich aufgearbeitet werden sollen. Da spielt es dann auch keine Rolle, dass in anderen gesellschaftlichen Kreisen bislang kaum bis nichts gegen den sexuellen Missbrauch unternommen wurde. Das Phänomen des 1. Aprils ist im Kontext des kirchlichen Auftrags immer wieder zu entdecken.
Deshalb ist es nicht verwunderlich, dass Kreise, die im Grunde nie eine Sympathie für die Kirche und ihre Botschaft hatten, jetzt die Gunst der Stunde nutzen, um ihren häufig gestellten Forderungen aktuell Nachdruck zu verleihen: „Kirchensteuer, Sonntagsruhe, Religionsunterricht – alles soll weg“, so die Überschrift zu der gestern in den Medien zu lesenden Verlautbarung der Jungen Liberalen.
Der Prager Theologe und Soziologe Tomáš Halík, der 1978 heimlich zum Priester geweiht wurde und in der Untergrundkirche in der damaligen Tschechoslowakei wirkte, hat sein neues Buch betitelt: „Die Zeit der leeren Kirchen“. Er sieht darin eine Herausforderung für die Kirche, neue Wege zu suchen und zu finden. Halik ist überzeugt, dass es einen zunehmend größeren Hunger nach Gott, nach Spiritualität gibt, auch wenn auf die Schnelle betrachtet der Eindruck vorherrscht, dass es den Menschen ohne Gott ganz gut geht. Um die Menschen zu erreichen, braucht es eine wirkliche Erneuerung der Kirche durch eine spirituelle Vertiefung und einen echten Dialog mit der Welt. Dazu sagt Halik: „Die Predigt muss intelligent sein, im Dialog stehen und versuchen, auf die wirklichen, echten Fragen der Menschen überzeugende Antworten zu geben. Es muss eine Sprache aus dem Herzen zu den Herzen der Menschen sein.“
Zugleich aber betont Halik, wie wichtig es ist, am bürgerlichen Leben teilzunehmen und uns für die Fragen des Lebens zu engagieren. „Ich möchte nicht, dass die Christen nur in einer Art geschlossenen, spirituellen Welt leben. Nein, sie müssen gegenwärtig in dieser Welt sein. … Wir sind keine Sekte. … Wir sind in die Gesellschaft von heute gesandt.“ Eigens betont er: „Wir sollen da nicht unkritisch, nicht oberflächlich sein und wir dürfen uns nicht unkritisch anpassen. Aber wir sollen in einen Dialog eintreten, wir sollen die Zeichen der Zeit lesen.“
Tomáš Halík ist zutiefst davon überzeugt: „Der Menschen inspirierende Gott, der in der Welt in Liebe, Hoffnung und Glaube gegenwärtig ist – ja, dieser Gott ist lebendig. Für viele Leute ist er vielleicht anonym, aber doch: Er ist da!“
Im Blick auf die aktuelle Situation sagt Halik: „Unser Gott ist ein Gott der Überraschung.“ Während manche nach der Pandemie nicht mehr zurückkommen, weil sie erlebt haben, es geht auch ohne Sonntagsmesse, werden andere kommen. „Jetzt in der Krise werden viele Menschen mit sehr wichtigen Fragen konfrontiert; mit Leiden, mit Schmerz, mit Tod. Und das weckt metaphysische, spirituelle, geistliche Fragen. Und wir sollen nicht oberflächlich mit alten Phrasen darauf antworten. Sondern wir sollen diese Leute begleiten, uns einfühlen und zusammen mit ihnen die persönlichen Antworten suchen. Wenn die Kirche das anbieten kann, dann habe ich keine Angst, dass die Kirche leer bleibt.“
Deshalb komme ich nun zurück zum 1. April. Machen wir als Kirche, als Christen den Menschen um uns herum etwas vor, was wir nicht erfüllen und somit letztlich nur für Enttäuschung sorgen?
Eines seiner unzähligen Gedichte hat der inzwischen verstorbene Frankfurter Pfarrer Lothar Zenetti überschrieben „Fragen“. Darin fragt er:
Wenn ich euch so zuhöre und betrachte mir
die Programme eurer Gemeinden, ihr Christen,
dann kommen mir Fragen, verzeiht:
Sind die Hungernden nicht mehr hungrig,
die Dürstenden nicht mehr durstig,
die Bedürftigen nicht mehr bedürftig?
Können die Blinden nun sehen,
die Stummen nun reden,
die Lahmen nun gehn?
Haben die Fragenden Antworten,
die Zweifelnden Gewissheit,
die Suchenden ihr Ziel gefunden?
Sind die Armen im Geist schon selig,
die Trauernden schon getröstet,
besitzen die Sanften schon das Land?
Wenn ich euch so zuhöre und betrachte mir
die Programme eurer Gemeinden, ihr Christen,
dann kommen mir Fragen, verzeiht!
Dürfen wir uns wundern, wenn die Menschen beim Gedanken an Kirche eher denken „1.April“ als „die tun, was sie sagen“?
Deshalb möchte ich Ihre Aufmerksamkeit auf das Bild lenken, das Sie in Händen haben. Über einem der Portale der ehemaligen Abteikirche der Benediktiner Saint-Gilles am nördlichen Rand der Camargue in Frankreich, die aus dem 12. Jahrhundert stammt, ist die beeindruckende Darstellung der Fußwaschung zu sehen. In der typischen April-Geste greift sich Petrus mit dem Finger an den Kopf: Das kann doch nicht sein!
Doch Jesus macht unmissverständlich klar, dass es ihm ernst ist: Jesus „stand vom Mahl auf, legte sein Gewand ab und umgürtete sich mit einem Leinentuch. Dann goss er Wasser in eine Schüssel und begann, den Jüngern die Füße zu waschen und mit dem Leinentuch abzutrocknen, mit dem er umgürtet war.“
Die Mahlgemeinschaft, die Communio mit Jesus, führte zum Dienst der Fußwaschung, wohlgemerkt zu einem Dienst, der als der allerletzte erachtet wurde, der nicht einmal von einem jüdischen Sklaven verlangt werden durfte. Deshalb greift sich Petrus an den Kopf.
Genau daran erinnert uns die Feier des Gründonnerstags, nämlich an den selbstlosen und uneigennützigen Dienst am Nächsten, an das Miteinander im Auf und Ab unseres Lebensweges, an die Solidarität gerade auch in Not und Leid, an den Friedensdienst in der Welt, an die Ermutigung zum Leben durch die Zuversicht unserer Glaubensbotschaft, an das Ziel unseres Weges in der grenzenlosen Liebe unseres Gottes. Darum geht es!
Würden wir nur Gottesdienst feiern, dann wären wir zwar fromm, aber zu einer Sekte verkommen. Nur wenn wir den Auftrag des Gottesdienstes im konkreten Dienst am Menschen umsetzen, sind wir Kirche Jesu, christliche Gemeinde.
Weil all diejenigen, die in allen Zeiten Jesus und dem Weg seiner Frohen Botschaft gefolgt sind, sich nie haben abbringen lassen, durch ihren Glauben und ihr Tun Zeugnis für IHN zu geben, sind immer wieder Menschen neugierig geworden auf die Frohe Botschaft.
Es waren nicht die schönen und ergreifenden Gottesdienste, durch die Menschen aufmerksam wurden auf den Gott, der in Jesus ihr Bruder wurde, sondern weil sie glaubwürdige Christen erlebten, die sich für die Menschen einsetzten und gerade auch für diejenigen, denen niemand Beachtung und Aufmerksamkeit schenkte.
Bemerkenswert ist, dass die erwähnte Darstellung der Fußwaschung nicht an einer Wand angebracht ist, sondern über einem Portal. Das dürfen wir so deuten: Wer zu diesem Dienst bereit ist, der findet den Zugang zur Gemeinschaft mit Jesus und öffnet selbst für andere den Raum der Communio mit IHM.
Auf den ersten Blick scheint Petrus in der beeindruckenden Szene der Fußwaschung, wie sie ein Bildhauer im 12. Jahrhundert darstellte, die typische April-Geste zu machen: „Verrückt!“
Es könnte aber auch sein, dass Petrus in diesem Augenblick aufgegangen ist, also kapiert hat, worauf es ankommt!
Hoffentlich begreifen, kapieren wir heute Abend, ebenso wie alle, die zur Kirche gehören, – besonders wenn sie in ihr eine wichtige Aufgabe haben und Verantwortung tragen, – worauf es ankommt, wenn sie IHM folgen, mit IHM Gemeinschaft und durch IHN Gemeinschaft mit anderen haben wollen. „In dieser Stunde der Kirche“, wie Kardinal Döpfner zu sagen pflegte, kommt es nicht auf die Fragen von Amt und Macht in der Kirche an, noch weniger die Fragen von Struktur, Organisation und Verwaltung, sondern auf das Zeugnis für die Menschenfreundlichkeit, die Liebe und die Barmherzigkeit unseres Gottes.
Ob die Menschen unserer Tage dieses Bemühen in unserem Einsatz wahrnehmen oder sich mit dem Finger an den Kopf greifen und sagen: „1. April!“: Das hängt von jeder und jedem von uns ab!
Domkapitular Clemens Bieber
www.caritas-wuerzburg.de
Text zur Besinnung
Gründonnerstag
... und Jesus wurde
wie ein Sklave
und den Menschen gleich.
Er erniedrigte sich
und bückte sich
hinab in den Staub.
tief nach unten
und machte sich
die Finger schmutzig
und wusch
einen Jüngern die Füße
- die Füße, nicht den Kopf -
und fasste so
sein Leben zusammen
und gab ein Beispiel.
Indem er sich
so tief bückte,
stand er gerade
für etwas,
für jemand,
für den Vater,
der uns Menschen
nachgeht
und sucht
auch
ganz unten
und gerade da!
(Lothar Zenetti)