70 Jahre ist Hanna Schlotterbeck alt. In dem Alter haben sich viele Menschen schon zur Ruhe gesetzt, lösen nur noch Kreuzworträtsel, gießen ihre Geranien und schauen Fern. Doch Hanna Schlotterbeck wäre damit nicht ausgelastet. Die rüstige Grombühlerin suchte noch sinnvolle Beschäftigungen. Schon vor Jahren kümmerte sie sich um blinde Patienten im nahe gelegenen Juliusspital. Vor fünf Jahren sah sie bei ihrem Hausarzt einen interessanten Prospekt. Um "Eine Stunde Zeit" wurde dort gebeten für die Betreuung alter, alleinstehender Menschen in ihrer Pfarrei. Hanna Schlotterbeck rief an, landete bei Ulrike Shanel im Pfarrbüro von St. Josef und ließ sich alles erklären. Seitdem ist sie dabei. "Die eine Stunde steht da nur so. Tatsächlich bin ich oft den ganzen Tag bei meinen Schützlingen", schmunzelt sie. Viele sind einsam, ohne Familie und Verwandtschaft, einige liegen im Bett, sind vielleicht sogar pflegebedürftig. "Meist können sie ja nichts dafür, dass es ihnen so schlecht geht", meint Hanna Schlotterbeck. Doch nur aus Mitleid geht sie nicht dorthin - die Gespräche mit den Menschen machen ihr einfach Spaß. "Was ich gebe, bekomme ich auch zurück".
So wie sie sehen es alle in der Gruppe. Auch Josefa Kark und Anna Linz, die mit ihren 85 Jahren zu den ältesten gehören und doch regelmäßig ihren ehrenamtlichen Dienst verrichten. Der gebürtige Bad Kissinger Oliver Pyka fällt ein wenig aus dem Rahmen. Zum einen als Mann - die meisten Mitglieder in solchen Gruppen sind Frauen - zum anderen wegen seines Alters. Er ist "erst" 37 Jahre alt und arbeitet als Selbständiger in der IT-Branche. Für Pyka, Vater einer kleinen Tochter, ist sein Engagement nicht unbedingt eine Frage der Kirchenzugehörigkeit. Ihm gefällt es, dass die Konfession keine Vorbedingung für eine Teilnahme ist. Ihm ist es wichtiger, Menschen glücklich machen zu können. Und er möchte kein Gefälle zwischen sich und den betroffenen Menschen enstehen lassen. "Wir treffen uns auf gleicher Augenhöhe".
Diese Motive scheinen die meisten zu haben. Die Idee von "Eine Stunde Zeit füreinander" ist schnell erklärt. Wer mitmacht, erklärt sich bereit, mindestens eine Stunde pro Woche mit einsamen Menschen seiner Umgebung zu verbringen. In erster Linie soll man zuhören, einfach da sein als Gesprächspartner. Wer mag, kann auch kleinere Dienste übernehmen, doch an einen Einsatz als billige Handwerkskraft oder Dienstleistung ist nicht gedacht. Die Vermittlung der Einsätze läuft über Ulrike Shanel im Pfarrbüro St. Josef.
Sozialstation gab Anstoß
Die Initiative geht zurück auf die Pflegedienstleitung der Grombühler Caritas-Sozialstation St. Franziskus, Sr. Matthia Menzinger und Burkard Halbig. Pfarrer Josef Treutlein von St. Josef und auch Klaus Korbmann, damals neuer Gemeinde-caritas-Referent im Würzburger Orts-und Kreis-Caritasverband, machten sofort mit. Zum ersten Informationsabend hatten sich über achtzig Interessierte eingefunden. "Zu unser großen Erleichterung", gibt Klaus Korbmann zu. "Denn ob wir überhaupt eine Resonanz erfahren würden, war völlig ungewiss". Fast dreißig Interessenten sind geblieben. Doch bald kam das nächste Problem. "Wir hatten nun zwar Ehrenamtliche, doch keinen, der sich helfen lassen wollte", so Korbmann. Erst nach mehreren Aufrufen meldeten sich hilfebedürftige Personen. Inzwischen stehen bei Ulrike Shanel 25 Namen betreuter Personen in der Kartei, über 150 waren es in den fünf Jahren. Viele werden über die Grombühler Caritas-Sozialstation St. Franziskus vermittelt. Für Korbmann ist es wichtig, dass die Helfer bei allem Idealismus ihre Möglichkeiten nicht überreizen. "Manchmal tut es auch gut, zu sagen: ich kann nicht. Manchmal auch: ich will nicht. Hören Sie dann auf Ihre innere Stimme“, empfielt Korbmann.
"Eine Stunde Zeit füreinander" bekam 2003 den Förderpreis "Zeichen setzen!" des Bildungshauses Klaus von der Flüe und der Zeitungsgruppe Main-Post. Inzwischen gibt es 15 Nachfolgegruppen in Unterfranken, weitere sind in Planung. Aus der Grombühler Stammgruppe ist sogar ein eigener Tafelladen entstanden. Für Klaus Korbmann haben die fünf Jahre einen Traum erfüllt. "Manchmal glaubte ich zu träumen, aber ich hatte keine Angst, aufzuwachen und zu merken, dass es nur ein Traum sei. Denn ich wusste, dann sind Sie da und mein Traum ist Realität geworden".