Schweinebraten, Kartoffeln und Salat - das Mittagessen war zwar gut, aber es war für die Mädchen im Antonia-Werr-Zentrum nicht das Besondere. Ungewöhnlich war eher die Bedienung. Denn statt den Küchenmädchen servierte ihnen mit Dietrich Seidel ein leibhaftiger Domkapitular das Essen. Anlässlich des Josefstages - dem kirchlichen Hochfest für den hl. Josef als Patron der Arbeiter und Handwerker am 19. März - hatte die Hausleitung Sr. Agnella Kestler den Vorsitzenden des Diözesan-Caritasverbandes eingeladen, einige Stunden zusammen mit den Mädchen in Küche und Gärtnerei zu arbeiten.
"Wie halte ich das denn jetzt", entfuhr es dem neuen Ober spontan beim Abräumen des Hauptgangs. Die Teller wackelten bedenklich auf seinem Arm. Auch der Vorlegelöffel landete in der Soße, doch die Mädchen fanden den Service klasse. "Könnte immer so sein. Sonst bekommen wir nicht angesagt, was es gibt". Nach dem Nachtisch räumte Seidel schon routiniert ab. "Hat's geschmeckt? Schönen Tag noch", wünschte er an jedem Tisch. Beim Abräumen der letzten Teile gab es doch noch Glasbruch. Es war aber nicht der Domkapitular, dem etwas weggefallen war, sondern eine Küchenhilfe.
Ca. einhundert Mädchen im Alter von elf bis zwanzig Jahren leben im Antonia Werr-Zentrum in St. Ludwig. Sie kommen aus problematischen Familienverhältnissen, sind teilweise zu Hause einfach abgehauen. Einige sind nur für wenige Tage hier, die anderen für viele Jahre. In der für ganz Nordbayern zuständigen Einrichtung der Oberzeller Schwestern bekommen sie neben erzieherischen Hilfen, eine Hauptschul- und Berufsausbildung. Das Konzept kann nachhaltige Erfolge vorweisen. "Wir arbeiten mit über vierzig Praktikumsstellen in der weiteren Umgebung zusammen", so Geschäftsführer Alfred Hußlein. Die Praktika im Hotel-, Gaststätten - oder Textilgewerbe hätten sich später schon mehrfach als Türöffner für die Mädchen erwiesen. "Viele unserer Mädchen finden nach der Ausbildung bei uns Arbeitsplätze im ersten oder zweiten Arbeitsmarkt". Berufsfelder wie Hauswirtschaft, Schneiderei, Töpferei oder Küche stehen zur Wahl. Auch eine große Gärtnerei, in der neun der insgesamt 33 Auszubildenden arbeiten, gehört zum Haus. Das hier gezogene Gemüse verkauft sich gut im nahen Lebensmittelhandel.
Das Einsetzen von Salatpflänzchen war daher auch Seidels zweite Station. Die neunzehnjährige Ramona zeigte ihm, wie richtige Furchen gezogen werden. In wenigen Wochen macht sie ihre Gesellenprüfung. "Die schaffe ich auch gut", war sie sich sicher. Dietrich Seidel, der sich anschließend selbst gut beschürzt an den Furchen versuchte, zeigte sich beeindruckt von der Sicherheit und dem Können der Mädchen. Und Salat wird er in Zukunft wohl mit anderen Augen betrachten.