Die Ansprache im Wortlaut:
„Meisterfeiern in der Kirche? Über die Beziehung von Religion und Handwerk“, so lautete die Überschrift zu einem Artikel von Axel Noack in „publik forum“ vom 11. August 2017, einer Zeitschrift für kritische Christen. Nowak war evangelischer Bischof von Magdeburg und ist jetzt Vorsitzender der „Bundesarbeitsgemeinschaft Kirche und Handwerk“.
Er verweist auf die immer häufigeren Anfragen von Berufsschulen, Handwerksinnungen und Ausbildungsbetrieben, „ob es möglich sei, die Abschlusszeugnisse im Rahmen einer feierlichen Zeremonie in einer Kirche zu überreichen“.
Der gelernte Kirchenhistoriker schreibt: „Es geht um das Bedürfnis nach einem feierlichen Rahmen in Verbindung mit einem ziemlich ‚nüchternen‘ Vorgang: Zeugnisübergabe, Freisprechung oder eben: Meisterfeier. Hinzu kommt das Bedürfnis nach einem Gemeinschaftserlebnis für die Gruppe.“ Kritisch merkt er an: „Wird die Kirche nicht gewissermaßen als ‚Blumenkübel‘ zur Garnierung des Festes benutzt?“
Nun sind wir heute nicht in einer Kirche, sondern in einer „Kathedrale des unterfränkischen Handwerks“, und ich habe die Möglichkeit, ein Grußwort zu sprechen. Für die Einladung dazu möchte ich herzlich danken! Ja, es ist mir sogar ein Anliegen als Christ und als ein im Auftrag der Kirche Verantwortlicher, heute einige Gedanken zu äußern vor Menschen, die bereit sind mitzuwirken, unser Land und damit auch das Zusammenleben in unserer Gesellschaft mitzugestalten.
In den fast 25 Jahren meines Dienstes als Pfarrer in der Gemeinde durfte ich mit einigen Handwerksinnungen am bayerischen Untermain aus Anlass von Jahrtagen, Innungstagen und Jubiläen Gottesdienste feiern. Für die „Innung Metallbau- und Feinwerktechnik bayerischer Untermain“ tue ich das nach wie vor alljährlich, und ich tue es sehr gerne.
Was mir dabei auffällt, ist, dass der Gottesdienst den Auftakt bildet zu einem Zusammensein mit einem immer regen Austausch über fachliche Themen, aber auch über die politische, gesellschaftliche und damit immer auch wirtschaftliche Lage in unserem Land und in Europa.
Der menschliche und fachliche Austausch und die darin erkennbare Mitverantwortung für unsere Gesellschaft zu betonen, das scheint mir gerade nach dem Ergebnis der Bundestagswahl am vergangenen Sonntag von großer Bedeutung:
Das Ergebnis der Wahl muss jeden verantwortungsbewussten Bürger nachdenklich machen:
- Es geht uns in unserem Land wirtschaftlich so gut wie wohl nie zuvor.
- Die heute veröffentlichte Zahl der Arbeitslosen ist so niedrig wie noch nie.
- Unsere Leistungen und Produkte sind beneidenswert, was sich an den Diskussionen um den deutschen Exportüberschuss ablesen lässt.
- Deutschland wird in Europa und für die Völkergemeinschaft als Stabilitätsfaktor erachtet.
- Trotz einzelner schrecklicher Vorkommnisse können wir sagen, dass wir im Vergleich zu anderen Ländern und den dort verübten extremistischen und terroristischen Handlungen bei uns in weitgehender Sicherheit leben, wohl wissend, dass weitere Maßnahmen ergriffen werden müssen, um die Sicherheit – soweit dies menschenmöglich ist – zu gewährleisten.
- Die soziale Gerechtigkeit ist zwar in manchen Punkten weiter entwicklungsbedürftig, ebenso wie die Verfestigung der Solidarität und das soziale Netz zwischen den einzelnen Schichten; auch das Bewusstsein dafür muss immer wieder eingefordert und gefördert werden, dennoch werden Menschen in sozialen Notlagen bei uns in den meisten Fällen aufgefangen.
Wir könnten eigentlich zufrieden und zuversichtlich sein, dass wir die Herausforderungen meistern und eine lebenswerte Zukunft gestalten werden.
Dass 60 Prozent der Wähler einer Partei diese nicht aus Überzeugung, sondern aus Protest gewählt haben, macht erschrocken. Durch dieses Verhalten wird die Stabilität eines Landes aufs Spiel gesetzt. Dabei werden – so die Demoskopen – vor allem zwei Gründe genannt, die Angst vor Überfremdung in Verbindung mit möglichen Kosten und die innere Sicherheit.
Gerade weil in diesem Zusammenhang immer wieder das „christliche Abendland“ auf den Schild gehoben wird, ist leider oftmals festzustellen, dass die wenigsten überhaupt beschreiben können, was das Positive an der christlich geprägten Lebenskultur ist, geschweige denn, dass sie diese Kultur und Tradition leben bzw. praktizieren würden.
Mit Sorge erfüllt mich, dass sich über die Hälfte der Wähler einer erschreckend schnell gewachsenen Partei einem verantwortungsbewussten Umgang mit den aktuellen globalen Problemen verweigern und eher in sehr kurzsichtigen Parolen ihr Heil suchen.
Zum anderen ist das hohe Ergebnis einer extremistischen und egoistischen Parolen zuneigenden Partei für mich eine Bestätigung meiner Beobachtung, dass es sich auf lange Sicht rächt, wenn über Jahrzehnte hinweg eine wertegebundene Bildung – z.B. auch durch Glaubenserziehung und Religionsunterricht – als unzeitgemäß und altmodisch abgetan und geringgeschätzt wird.
Damit bin ich wieder bei den Handwerkern und ihren Innungen. Es geht für mich zum einen darum, das Handwerk und seine Organisationsform – etwa die duale Ausbildung in Schule und Betrieb oder die Meisterprüfung – entgegen dem „Akademisierungswahn“ unserer Gesellschaft zu schützen und damit auch zu wertschätzen. Eine handwerkliche Ausbildung darf nicht nur als die zweitbeste Lösung im Vergleich zu einem Hochschulstudium angesehen werden. Sie ist anspruchsvoll, was das hohe Ansehen des deutschen Handwerks im Ausland belegt.
Zum anderen hat die handwerkliche Produktionsweise für mich unschätzbare Vorteile. Der Handwerker hat ein persönliches Verhältnis zu seinem Produkt und zu seinem Kunden.
Schließlich sind viele Handwerksbetriebe Familienbetriebe, pflegen oft ein familiäres Klima und versuchen auch auf die Belange der Mitarbeitenden individuell einzugehen.
In vielen Situationen habe ich erleben können, dass sich Handwerkerfrauen gleichsam als „Seelsorgerinnen“ der Mitarbeiter erweisen, weil in eigentümergeführten Unternehmen oftmals gilt: Geht es dem Betrieb gut, geht es auch den Mitarbeitenden gut. In manchen aktienfinanzierten Konzernen scheint heute das Gegenteil zu gelten. Kammern und Innungen hatten in ihrer großen Tradition unter anderem die Aufgabe, den Wettbewerb zwischen den Betrieben zu fördern, aber eine sich gegenseitig vernichtende Konkurrenz zu disziplinieren.
Meine große Hoffnung ist, dass in unseren Handwerksbetrieben nicht nur ausgezeichnete Fachleute heranwachsen, sondern auch das Gespräch über Gott und die Welt in den Betrieben wie in den Innungen und in der Handwerkskammer gepflegt wird, damit das Bewusstsein der Mitverantwortung für eine leistungsbereite, solidarische und lebenswerte Gesellschaft geprägt wird, in der nicht nur Wirtschaftlichkeit und Profit im Vordergrund stehen.
Was früher eine feststehende Formulierung, aber auch ein echter Wunsch und eine Hoffnung war, das erbitte ich für die Handwerksbetriebe, die Verantwortlichen und Mitarbeitenden, aber auch für die in Innungen und der Kammer Engagierten: „Gott segne das ehrbare Handwerk!“