Die Predigt im Wortlaut:
Jeder von uns, jede Bürgerin und jeder Bürger des Staates, besitzt einen Ausweis bzw. eine Karte der staatlichen Behörde, die über ihn oder sie Auskunft gibt. Auf dem Personalausweis sind neben dem Foto, dem Gesicht, dann Vor- und Zuname, Geburtstort und Geburtsdatum sowie Identitätsnummer zu lesen. Auf der Rückseite sind Augenfarbe, Körpergröße und eventuell besondere Merkmale, sowie die Wohnadresse eingetragen. Auf einem eingearbeiteten Mikrochip sind aktuell biometrische Daten gespeichert. Irgendwann werden daneben noch genetische Merkmale hinzukommen. Das Ganze ist maschinell, d.h. per Computer, lesbar.
Auf jeden Fall kann der einzelne Mensch gegenüber anderen Personen seine Identität bezeugen. Die Daten und Hinweise auf dem Dokument sagen Wichtiges und Unverwechselbares über die Person aus. In der englischen Sprache heißt der Personalausweis auch Identity Card. Der Ausweis verbürgt die Identität des Menschen.
Der Personalausweis gibt aber keinen Hinweis darüber, was der Mensch glaubt, wie er lebt, worauf er hofft, ob er liebt oder nur an sich denkt. Der Ausweis sagt auch nichts darüber aus, ob er einen inneren Halt, eine Rückbindung, eine Religion hat. Der staatliche Ausweis sagt also nichts aus, ob der Mensch getauft und wirklich Christ ist. Wobei doch der Glaube an Jesus Christus ganz zentral zu meiner Person und zu meinem Leben als Christ gehört.
Für uns Christen ist die Taufe – um es im theologischen Fachbegriff zu sagen – ein „identitätsstiftendes“ Ereignis im Leben und – wie die Kirche sagt – ein unauslöschliches, also unverwechselbares Merkmal.
Wir feiern an diesem Sonntag das Fest der Taufe Jesu. Es erinnert an die Erwählung Jesu, und dass er für sein Leben und sein Wirken mit Heiligem Geist erfüllt wurde. Dieses Ereignis steht am Beginn des öffentlichen Auftretens. Bei der Taufe wird deutlich, wes‘ Geistes Kind Jesus ist, aus welchem Geist heraus er lebt, redet und handelt. Hier wird deutlich, was ihn erfüllt, und wer ihn beauftragt und gesendet hat.
Durch Jesus wirkt letztlich Gott in der Welt. Somit handelt Jesus auch nicht aus sich heraus, sondern aus der Kraft Gottes. Das gab ihm Standfestigkeit im Leben, Entschlossenheit und Mut. So konnte er barmherzig sein wie der Vater im Himmel. Die Menschen spürten die Nähe Gottes, den Himmel über sich, wo immer er war, wo er sich um Kranke annahm, wo er Sündern einen Neuanfang ermöglicht hat.
Deshalb hatte er die Kraft zu vermitteln, Brücken zu bauen zwischen den Menschen und von den Menschen zu Gott. Dafür setzte er sogar sein Leben aufs Spiel. Deshalb wurde letztlich das Kreuz zum Identitätsmerkmal für Jesus.
Am Fest der Taufe Jesu erinnern wir uns aber auch an unsere eigene Taufe, daran dass das Wasser über uns ausgegossen, das Kreuz auf unsere Stirn gezeichnet und unser Kopf mit Chrisam gesalbt wurde.
Damit wird angedeutet, dass wir zu Jesus gehören, Christen sind und aus der Kraft Gottes heraus leben und handeln und unseren Weg zuversichtlich und auch mit vollem Einsatz gehen sollen.
Der Personalausweis gibt keine Auskunft über meine Taufe und mein Christsein. Zum Glück! Denn der Personalausweis verliert nach zehn Jahren seine Gültigkeit. Das Dokument wird hinfällig. Meine Taufe jedoch bleibt gültig für immer. Sie unterliegt keiner zeitlichen Begrenzung. Für mein Leben als Christ brauche ich auch gar kein Dokument.
Viel wichtiger und eindeutiger ist es, wenn die Menschen es uns anmerken, dass wir Christen sind, d.h. einerseits mit Haut und Haaren Mensch, mit all dem, was einen Menschen ausmacht, also auch mit Unzulänglichkeiten und Defiziten, andererseits aber immer wieder bemüht, dem Auftrag der Frohen Botschaft und dem Beispiel Jesu zu entsprechen. Und genau darauf kommt es jetzt an!
Unsere Gesellschaft befindet sich in einem gewaltigen Umbruch. Neben den ökologischen und ökonomischen Veränderungen, die es zu gestalten gilt, will ich heute auf die Bewertung des Menschen und das Menschsein an sich und damit auf die sozialen Folgen hinweisen:
Aktuell wird das Miteinander der Menschen in Partnerschaft und Ehe neu definiert. Die normale Familie von Mann und Frau wird kaum mehr erwähnt. Man spricht von „Verantwortungsgemeinschaften“. Doch die Gemeinschaft mit Mann und Frau ist von der Natur her notwendig, um Kinder in die Welt zu setzen. Es gibt deshalb beste Gründe, genau diese Verbindung zu privilegieren.
Aber Kinder werden weniger als Ausdruck gelebter Liebe zwischen Mann und Frau erachtet, sondern sind immer häufiger Produkt entsprechend dem Willen von Paaren in unterschiedlichster Konstellation oder auch alleinlebender Menschen. Darin stecken der Machbarkeitswahn sowie eine Veränderung von Elternschaft und natürlichen Lebensgrundlagen, die ja ansonsten sehr gern bemüht werden.
Einerseits sollen Kindergrundrechte ausdrücklich in die Verfassung geschrieben werden, andererseits wird eine Blankoerlaubnis dafür ausstellt, werdendes Leben zu vernichten. Schwangerschaftsabbrüche sollen zu einer üblichen „Heilbehandlung“ werden.
Ebenso wird darüber diskutiert, dass Jugendliche ab 14 Jahren – ohne Mitwirkung ihrer Eltern – beim Standesamt ihren Geschlechtseintrag selbst bestimmen können.
Das Recht auf selbstbestimmtes Leben und von daher die gesetzliche Regelung zum assistierten Suizid führt nun auch zu der Frage, ob Jugendliche – vielleicht nur aus Liebeskummer – das Recht haben, aus eigenem Wunsch aus dem Leben zu scheiden.
Anfang und Ende des Lebens sind also immer mehr in der Verfügung des Menschen.
Das alles ist nicht modern. Jeder kann heute leben, wie er will. Der Staat macht keine Vorschriften. Auf jeden Fall aber soll er das Leben schützen, die Art, wie es entsteht und sich am besten entfaltet. Genau das gerät immer mehr aus dem Blick.
Genau jetzt braucht es uns Christen, braucht es unser Zeugnis. Die Menschen um uns herum sollten es uns anmerken, dass wir aus dem Geist Gottes heraus leben, lieben, hoffen und handeln. Dazu braucht es keinen Ausweis. Wir selbst sind dann ein Ausweis für das Wirken von Gottes Geist. Man sollte es uns anmerken, dass wir Christen sind. So können wir in einer Gesellschaft, die auf der Suche nach einer lebenswerten Zukunft ist, Zeichen setzen für das Leben. Doch als Kirche sind wir derzeit stark mit uns selbst beschäftigt – mit Struktur-, Organisations-, Macht- und Ämterfragen, neben der Aufarbeitung des Missbrauchsskandal, den es leider auch in der Kirche gab. Mit Leidenschaft wird über die Verfassung der Kirche diskutiert, ob hierarchisch oder demokratisch oder synodal. Dabei wäre gerade jetzt unser Zeugnis in der Gesellschaft, unter den Menschen so wichtig!
Deswegen werde ich nicht müde Pater Alfred Delp zu zitieren, der im Alter von 37 Jahren am Lichtmesstag 1945 im KZ umgebracht wurde, weil er unerschrocken in gefährlicher Zeit auf die Lebensbotschaft Gottes und ihre Konsequenzen für das Leben und das Zusammenleben hingewiesen hat. Aus dem KZ schreibt er an seine Freunde: Es wird ankommen auf die „Rückkehr der Kirche in die ‚Diakonie‘: in den Dienst der Menschheit. Und zwar in einen Dienst, den die Not der Menschheit bestimmt, nicht unser Geschmack oder unsere Gewohnheiten ... Es wird kein Mensch an die Botschaft vom Heil und vom Heiland glauben, solange wir uns nicht blutig geschunden haben im Dienst der physisch, psychisch, sozial, wirtschaftlich, sittlich oder sonstwie kranken Menschen ... Rückkehr in die ‚Diakonie‘ habe ich gesagt. Damit meine ich das Sich-Gesellen zum Menschen in allen seinen Situationen mit der Absicht, sie ihm meistern zu helfen ... damit meine ich das Nachgehen ... auch in die äußersten Verlorenheiten und Verstiegenheiten des Menschen ... ‚Geht hinaus‘, hat der Meister gesagt, und nicht: ‚Setzt euch hin und wartet, ob einer kommt ...‘“
Ich wünsche es den vielen suchenden, fragenden und orientierungslosen Menschen in unserer Gesellschaft, dass sie Menschen begegnen, denen sie anmerken, dass sie Christen sind, weil sie aus der Zusage des heutigen Evangeliums leben: „Du bist mein geliebter Sohn, geliebte Tochter, an dir habe ich Wohlgefallen gefunden.“ Würden die Menschen es uns anmerken, dass wir Christen sind?
Domkapitular Clemens Bieber
www.caritas-wuerburg.de
Text zur Besinnung
Herr, du hast uns gerufen.
Die Unruhe, die uns ergreift,
wenn wir dein Wort hören, beweist es.
Du kennst unsere Schwäche.
Du weißt, wie leicht wir den Mut verlieren.
Du weißt, wie ängstlich wir unsere Schritte setzen.
Aber du hast uns gerufen.
Darauf verlassen wir uns.
Wirke in uns, wenn es dein Wille ist.
Brauche uns, und mache uns brauchbar.
(Jörg Zink)