Die Predigt im Wortlaut:
Vor einem Monat, am „Weißen Sonntag“, war ich eingeladen hierher nach „Maria Schutz“ in Grafenrheinfeld zu kommen. Leo, den ich vor neun Jahren taufen durfte, hatte Erstkommunion und hat mich deshalb zu seinem Kommunionfest eingeladen. Ich war fasziniert: Als ich – Gott sei Dank – pünktlich ankam, stand nicht nur Leo am Parkplatz bereit, um mich zu begrüßen, auch eine seiner Betreuerinnen begrüßte mich herzlich. „Schön, dass Sie da sind.“
Im Haus war alles bestens vorbereitet für das Kommunionfest. An der großen, festlich eingedeckten Tafel hatten alle Angehörigen und Freunde von Leo Platz. Und die Betreuerinnen haben nicht nur organisiert, sondern mitgefeiert. Von daher war ich fasziniert, als ich beim Abschied einen glücklich strahlenden und offensichtlich höchst zufriedenen Leo sah, der die Glückwunschkarten und -briefe las, sich an den Geschenken erfreute und anmerkte, dass er sich schon auf die Firmung freut.
„Maria Schutz“ schenkt Kindern und Jugendlichen Geborgenheit und Halt, so dass sie Mut und Energie entwickeln, um ihre Aufgaben in Schule und Ausbildung anzugehen. Stolz erzählte mir Leo von der Schule. Und weil ich weiß, wie er diesbezüglich in seiner früheren Schule beurteilt wurde, möchte ich von einer wundervollen Entwicklung sprechen.
Das ist auch ein Grund, warum die Eltern von Leo zufrieden und dankbar sind für die Unterstützung, die sie durch das pädagogische Angebot von „Maria Schutz“ erfahren. Ihnen liegt sehr an der bestmöglichen Entwicklung ihres Kindes. Und genau deshalb ist es gut, dass es Einrichtungen wie „Maria Schutz“ gibt. Und egal aus welchem Grund Kinder und Jugendliche hier her kommen, mit all ihren unterschiedlichen Biografien, sie sollen spüren, dass sie willkommen und angenommen sind.
Die uralte klösterliche Haltung der Zisterzienser „Porta patet, magis cor“ – „Das Tor steht offen, mehr noch das Herz“ spüren junge, heranwachsende Menschen seit 55 Jahren. Bei den Zisterziensern steht diese Haltung für die Gastfreundschaft, die einem Menschen auf seinem Weg Rast, Erholung, Stärkung bietet, damit er mit frischen Kräften seinen Weg weitergehen kann. Ebenso haben die pädagogischen Fachkräfte wie alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in „Maria Schutz“ das herzliche Anliegen, die Heranwachsenden in ihren Selbstvertrauen und in ihrem Gottvertrauen zu bestärken, damit sie einer guten Zukunft entgegengehen können.
Beim Besuch einer anderen Jugendhilfeeinrichtung unter dem Dach der Caritas in unserer Diözese erzählte mir ein Mann von seinem Lebens- und Berufsweg und ganz stolz sagte er, dass er jetzt Opa geworden ist. Wörtlich: „Ohne dieses Haus hätte ich das nie erreicht!“
Als Kirche geht es nicht um ein Unternehmen, um einen Betrieb mit der Absicht optimalen Gewinns, uns geht es um den Menschen, um den Blick für ihn und seine Situation und um eine Haltung, die nach Möglichkeiten sucht zu helfen: „Not sehen und handeln!“ Denn das ist Auftrag und Sendung, also Berufung aller Christen.
Immer wieder wird – auch innerhalb der Kirche – gefragt, was den Mehrwert von Caritas gegenüber anderen Akteuren auf dem z.T. umkämpften sozialen Markt ausmacht. Rein wirtschaftlich betrachtet, würde die Antwort lauten, dass es uns nicht um Gewinn, Profit und steigende Aktienkurse geht. Auch wenn klar ist, dass es uns bei unserem Bemühen auch um eine auskömmliche wirtschaftliche Basis geht. Nur somit können gute Rahmenbedingungen für den sozialen Dienst geschaffen werden und die beruflich Mitarbeitenden faire Vergütungen erhalten.
Die Frage nach dem Mehrwert geht auch über die professionelle und qualifizierte Dienstleistung hinaus. Der Mehrwert wird vor allem deutlich im Interesse an den Menschen und der uneigennützigen Hilfsbereitschaft, mit der wir ihrer Not begegnen. Von Vinzenz von Paul, dem großen Vordenker und Vorarbeiter der modernen „caritas“,ist ein Wort überliefert, das er an seine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter damals in Paris, also im 17. Jahrhundert, richtete: „Das Brot, das du einem Dürftigen reichst, vermag sein Leben nur einen Tag zu fristen. Die Art aber, wie du es reichst, schenkt ihm bleibendes Glück.“ Es geht also zutiefst um die innere Haltung, mit der ich einem Menschen begegne, ob er für mich Kunde ist, an dem ich verdienen will, oder ob ich ihn als meinen Nächsten erachte und ihm deshalb helfen will. Und Vinzenz von Paul hat damals in Paris viele Kinder und Jugendliche von der Straße weg gesammelt und für sie Einrichtungen geschaffen, die ihnen zur Heimat wurden.
Während in der Gesellschaft und in den medial inszenierten Interessenslagen das Augenmerk vor allem auf die wirtschaftliche Entwicklung und die Rahmenbedingungen für die Erwerbsarbeit gerichtet ist, gerät die soziale Kultur oft ins Hintertreffen. Eine Folge davon ist, dass Leistungsstarke und eher Geschwächte, Gesunde und Kranke in unserer Gesellschaft eher getrennt werden. Um zu mehr materiellem und finanziellem Erfolg zu kommen, wird nicht selten mehr auf Konkurrenz und Gegeneinander als auf Zusammenarbeit gesetzt. Die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit zieht eher dynamische, hochqualifizierte, erfolgreiche Einzelkämpfer auf sich. Schwache und Geschwächte und ihre Nöte werden dagegen leicht übersehen und überhört, und eher als unnötige Belastung für die Gesellschaft erachtet. Im Blick auf die zur Verfügung stehenden Möglichkeiten, und das sind nicht nur finanzielle, gibt es eine soziale Verantwortung. Diese wird allerdings vielfach verdrängt.
Allmählich begreifen es die Menschen in unserer Gesellschaft wieder, wenn auch nur langsam, dass letztlich alle weiterkommen, wenn wir nicht nur auf Einzeltalente und – im übertragenen Sinne – auf „Ich-AG’s“ setzen, sondern Team- und Gemeinschaftsgeist fördern und pflegen und uns so miteinander um das Leben annehmen.
Deshalb beinhaltet die Zusage Jesu im heutigen Evangelium eine besondere Botschaft. „Frieden hinterlasse ich euch, meinen Frieden gebe ich euch; nicht, wie die Welt ihn gibt, gebe ich ihn euch.“ Das Wort Frieden – in der Sprache Jesu „schalom“ – meint weit mehr als nur keinen Streit, keinen Krieg, also das Schweigen von Waffen. „Schalom“ heißt wörtlich in unsere Sprache übersetzt: Ich weiß mich getragen, gehalten, umgeben von den guten Händen Gottes. Und Menschen, die von diesem Vertrauen beseelt sind, die sind im Frieden, die sind zufrieden und die strahlen Frieden aus. Dadurch ändert sich das Leben eines Menschen, wenn er Zuneigung und Sympathie spürt. Dadurch ändert sich von daher auch die Welt, wenn mehr und mehr Menschen im „Schalom“ Gottes leben.
Zurück zu meinem Erlebnis am „Weißen Sonntag“ vor vier Wochen hier in „Maria Schutz“: Die Zufriedenheit, die Leo ausstrahlte, war für mich ein Ausdruck dafür, dass er Geborgenheit spürt, Zuneigung erfährt und so gestärkt zuversichtlich sein kann.
Deshalb möchte ich bei der Feier des Jubiläums heute von Herzen den Verantwortlichen des Orts- und Kreiscaritasverbandes Schweinfurt danken. Als Träger haben Sie nicht nachgelassen, optimale Rahmenbedingungen zu schaffen. Ich danke den Frauen und Männern, die mit ihrer pädagogischen Kompetenz in allen 55 Jahren das Bestmögliche getan haben, damit die uns anvertrauten jungen Menschen hoffnungsvoll ihren Weg ins Leben weitergehen konnten und können. Ich danke aber auch den Kooperationspartnern, dem Landkreis wie auch der Kommune für das vertrauensvolle Zusammenwirken und ich danke den Eltern und Angehörigen, die uns immer wieder bestätigen, dass sie sehr zufrieden sind, weil sie ihre Kinder in guten Händen wissen.
Ich habe eingangs vom Kommunionfest erzählt. „Communio“ heißt „Gemeinschaft“. Deshalb möchte ich meine Gedanken beschließen mit der Feststellung: „Maria Schutz“ leistet einen wertvollen Beitrag für eine menschliche und lebenswerte Gemeinschaft unseres Volkes.
Domkapitular Clemens Bieber
www.caritas-wuerzburg.de