Die Predigt im Wortlaut:
Die Kirche verliert zunehmend an Bedeutung – auf jeden Fall in Deutschland und, ich vermute, ähnlich in Österreich. Die Deutsche Bischofskonferenz hat in der vergangenen Woche die aktuelle Kirchenstatistik für 2024/25 veröffentlicht. Auch wenn derzeit noch 19,2 Millionen Menschen in Deutschland der katholischen Kirche angehören und 18,6 Millionen der evangelischen, so sind es insgesamt nur 48,5 Prozent der Gesamtbevölkerung, also nicht einmal mehr die Hälfte. Das hat konkrete Auswirkungen!
Exemplarisch nenne ich einige Beispiele:
- Die Anzahl der Taufen sinkt in Deutschland seit Jahren kontinuierlich. 2024 waren es 116.222 Taufen. 1990 waren es noch 299.504 katholische Taufen.
- Im Schuljahr 2023/2024 besuchten etwa 53,7 Prozent aller Schulkinder der Klassen 1 bis 10 den Religionsunterricht in Deutschland. Dies ist ein Rückgang im Vergleich zu früheren Jahren, beispielsweise besuchten im Schuljahr 2015/2016 noch rund 69 Prozent den christlichen Religionsunterricht. 1990 waren es noch 80 Prozent.
- Die Zahl der kirchlichen Trauungen geht kontinuierlich zurück. Ende der 80er Jahre waren es noch mehr als 110 000 Paare, die sich in einer katholischen Kirche das Ja-Wort gaben. 2024 waren es nur noch 22 500 Paare.
- Auch die Zahl der katholischen Bestattungen sinkt. Im Jahr 2024 gab es laut Statistik rund 213.000 Bestattungen. Das entspricht etwa einem Viertel aller Sterbefälle in Deutschland. 1990 waren es noch etwa 300.000 Bestattungen.
- Der Gottesdienstbesuch am Sonntag wird von durchschnittlich 6,6 Prozent der Katholiken wahrgenommen. Für 2024 wurde die durchschnittliche Teilnehmerzahl von 1.306.000 ermittelt. 1990 waren es 6,19 Millionen Menschen.
Gleichzeitig ist eine zunehmende Respektlosigkeit gegenüber der Kirche und eine immer geringere Wertschätzung gegenüber Glaubenshaltungen zu beobachten. Sie kennen Überschriften wie diese:
- „Kirchen-Vandalismus – Kreuz beschädigt und Sakristei verunreinigt“.
- „Tabernakel aufgebrochen und Hostien ausgestreut“.
- „Gefäß mit Reliquien gestohlen“.
- „Mann randaliert in Wallfahrtskirche in Altötting und beißt Polizistin“.
- „Brandanschläge auf zwei Kirchen in Sachsen“.
- „Flurkreuz zerstört“.
usw.
Die Zahl der Übergriffe auf Kirchen nimmt zu. Immer häufiger scheinen die Taten zudem einen antireligiösen Hintergrund zu haben. Das muss uns Sorgen machen.
Die Bilder gleichen sich dabei oft: entweihte Altäre, gestohlene sakrale Gegenstände, zertrümmerte Heiligenfiguren, verunreinigte Seitenkapellen. Was in Polizeiberichten oft „schwerer Diebstahl“ oder „Sachbeschädigung“ genannt wird, ist für viele Gläubige weit mehr: ein Angriff auf das Heilige, auf ihre religiöse Heimat. Und nicht nur gefühlt hat die Zahl der Übergriffe auf Gotteshäuser in der jüngsten Vergangenheit zugenommen.
Immer wieder sind es psychisch kranke Menschen oder Drogenabhängige, die sich an Opferstöcken zu schaffen machen oder ihre Notdurft in einer Kirche verrichten. Das ist schlimm genug. Jedoch haben Übergriffe auf Kirchen immer häufiger einen dezidiert antireligiösen Hintergrund. Gerade solche Taten müssen uns Sorgen machen. Werden die gesellschaftlichen und religiösen Konflikte, die wir zunehmend auf unseren Straßen beobachten müssen, nun auch in unsere Kirchen getragen?
Das wäre dramatisch, denn Kirchen sind weit mehr als nur Gotteshäuser, in denen Menschen ihren Glauben leben – sie sind Orte des Dialogs und der Hoffnung, gerade in einer zunehmend polarisierten Gesellschaft. Übergriffe auf solche Orte wirken wie ein Fanal. Wenn sakrale Räume geschändet werden, ist nicht nur kirchliches Eigentum betroffen, sondern es sind auch die Menschen berührt und betroffen, die dort beten, feiern und trauern. Wer religiöse Orte angreift, zielt auf die Seele von Gläubigen und auch auf das Fundament des gesellschaftlichen Zusammenhalts.
Deshalb komme ich nochmals zurück auf die Erläuterungen des Vorsitzenden der Deutschen Bischofskonferenz zu den Zahlen der Kirchenstatistik. Er betont das hohe kirchliche Engagement neben der Seelsorge insbesondere im Bereich der Caritas und ihrer vielfältigen sozialen Dienste für alle Lebensbereiche und Altersschichten wie z.B. auch das Engagement für soziale Randgruppen; und nicht zu vergessen: es ist das Engagement im Bereich der Bildung und der Kultur. Zudem engagieren sich viele kirchenverbundene Christen – Frauen, Männer, Jugendliche und Kinder – in hohem Maß ehrenamtlich, freiwillig und unentgeltlich.
Die Bedeutung der Kirche unterstreichen immer wieder führende Politiker und sie erwarten deren Beitrag zum gesellschaftlichen Diskurs. Armin Laschet z.B. bedauert, dass die Kirche zu sehr mit sich und ihren Strukturen beschäftigt sei, und sich zu wenig in grundsätzlichen Fragen des Lebens, des Zusammenlebens, der Gerechtigkeit und des Friedens äußere. Bei den Salzburger Hochschulwochen hat er gestern, am Samstag, die Bedeutung wichtiger Prinzipien der Kirchen als Grundlage für das Gemeinwohl herausgestellt. Christen sollten bei gesellschaftlichen Debatten ihr Licht nicht unter dem Scheffel stellen.
Die Politikwissenschaftlerin Tina Stein hat – ebenfalls in Salzburg – aufgerufen: „In den Polykrisen der Gegenwart braucht es … Christen, die der apokalyptischen Stimmung ‚mit Gelassenheit‘ entgegentreten und für eine neue ‚Vertrauenskultur‘ werben.“ Der Hinweis auf die „Zeitenwende“ breche nicht schicksalhaft herein, sondern verlange nach Gestaltung. Leitend solle hier ein Beharren auf Gleichheit und Würde aller Menschen sein. „Das können Christinnen und Christen vermitteln und vorleben, in dem sie sich politisch einmischen.“
Damit sind wir bei der Botschaft des heutigen Evangeliums: „Fürchte dich nicht, du kleine Herde!“ Mit den Worten Jesu ermutigt der Evangelist Lukas die junge Gemeinde, aus der Verbundenheit und aus dem Glauben an den Auferstandenen heraus Zeugnis für die Frohe Botschaft zu geben und das Leben zu gestalten.
Während in der Kirche derzeit neue Strukturen geschaffen, Strategien entwickelt und Pastoral organisiert wird, mahnt Jesus: „Seid wie Menschen, die auf ihren Herrn warten …“
Deshalb die selbstkritische Frage, ob die Menschen uns anmerken, dass wir aus dem Vertrauen in Gott leben und Hoffnung und Zuversicht unter und in den Menschen vertiefen.
„Denn wo euer Schatz ist, da ist auch euer Herz.“ Wenn wir an Christen denken, wie z.B. an den Pallottinerpater Franz Reinisch oder den Jesuiten Alfred Delp, die in viel schwierigeren gesellschaftlichen Zeiten lebten, dann wird ihre innere Haltung für uns deutlich.
So sagte Franz Reinisch z.B.: „Ich denke, rede und handle nicht, was und weil es andere denken, reden, handeln, sondern weil das meine innere Überzeugung ist!“ und „Ich kann als Christ und Österreicher einem Mann wie Hitler niemals den Eid der Treue leisten.“
Alfred Delp, der am Lichtmesstag 1945 in Berlin im KZ umgebracht wurde, schrieb mit gefesselten Händen aus seiner Zelle und mahnte im Blick auf die Zukunft der Kirche:
„Es wird kein Mensch an die Botschaft vom Heil und vom Heiland glauben, solange wir uns nicht blutig geschunden haben im Dienste des physisch, psychisch, sozial, wirtschaftlich, sittlich oder sonstwie kranken Menschen. Der Mensch heute ist krank. …“
Auch wenn – oberflächlich betrachtet – in unseren Breiten die Menschen in einigermaßen Wohlstand leben, so sagt das nichts über ihre innere Zufriedenheit aus und verdrängt eher, dass es dem Großteil der Menschen in der Welt materiell nicht gut geht. Umso mehr kommt es darauf an, dass wir unseren Auftrag als Christen und unsere Sendung wahrnehmen, vor der Welt die Frohe Botschaft zu bezeugen und mit unseren Möglichkeiten zu helfen, dass das Leben gelingt.
Eine Kirche, die im sogenannten „Mainstream“ mitschwimmt, also nur wiederholt, was ohnehin alle schon sagen, ist überflüssig. Eine Kirche aber, die für ihre Botschaft einsteht und im Geist Jesu sich um die Menschen annimmt und das Zusammenleben gerecht und friedvoll gestaltet, wird zu einem Programm, das die Menschen neugierig macht für den, der uns sendet. Dann wird auch schnell klar, dass es nicht um ein religiöses Unterhaltungsprogramm geht, sondern um eine lebenswichtige Botschaft – die Kraft gerade in schwierigen Zeiten schenkt und mehr ist als kurzweilige Abwechselung.
Wann immer das deutlich wird, dass Kirche unter den Menschen und für die Menschen da ist und sich um sie und ihre Nöte annimmt, dann wird das Vertrauen in ihre Botschaft und ihr Wirken wieder zunehmen.
Deshalb sollten wir uns – egal wie die Umfragewerte tagesaktuell sind – das Wort Jesu aus dem heutigen Evangelium zu Herzen nehmen: „Fürchte dich nicht, du kleine Herde!“
Domkapitular Clemens Bieber
www.caritas-wuerzburg.de
Text zur Besinnung
Was keiner wagt
Was keiner wagt, das sollt ihr wagen
Was keiner sagt, das sagt heraus
Was keiner denkt, das wagt zu denken
Was keiner anfängt, das führt aus.
Wenn keiner ja sagt, sollt ihr’s sagen
wenn keiner nein sagt, sagt doch nein
Wenn alle zweifeln, wagt zu glauben
wenn alle mittun, steht allein.
Wo alle loben, habt Bedenken
Wo alle spotten, spottet nicht
Wo alle geizen, wagt zu schenken
Wo alles dunkel ist, macht Licht.
(Lothar Zenetti)