Die Predigt im Wortlaut:
Die Kirche verliert an Bedeutung – in Österreich wie auch in Deutschland!
Der Münsteraner Religionssoziologe Detlef Pollack hat die statistischen Daten der vergangenen 15 Jahre ausgewertet und zieht daraus die Befürchtung, dass sich der Trend der Kirchenerosion weiter beschleunigt. Das sagte Pollack bei seinem Eröffnungsvortrag der diesjährigen „Salzburger Hochschulwochen“ am vergangenen Montag. Vor wenigen Wochen wurde gemeldet, dass allein im Jahr 2021 in Deutschland rund 360.000 Menschen der katholischen Kirche den Rücken gekehrt haben. Dazu kommen dann noch die vergleichbar hohen Zahlen für die evangelische Kirche. Ähnliches gilt für den gesamten deutschen Sprachraum. Die Entwicklung sei dramatisch, so der Soziologe, und eine Kehrtwende nicht in Sicht.
Als evangelischer Christ blicke er „mit Sorge auf das, was in der katholischen Kirche gerade geschieht“, räumte Pollack ein und sagte weiter: „Es schmerzt, dass die Menschen, die die Kirche lieben und für sie arbeiten, im negativen öffentlichen Diskurs über die Kirche so machtlos sind.“ Was immer man kirchlicherseits sage oder einbringe – es sei stets zu wenig.
Dabei ist aus seiner Sicht eine institutionelle Form von Religiosität, wie sie die etablierten Kirchen bieten, wichtig und nicht einfach in eine individuell und bindungslos gelebte Form von Religiosität hin auflösbar. Schließlich stehe die Kirche in ihrem Selbstverständnis dafür, „dass es etwas Jenseitiges im Diesseits gibt, das zugleich im Diesseits nicht ganz aufgeht“. Die Kirchen müssten sich, so Pollack, der Frage stellen, ob sie diesem Anspruch selbst noch gerecht werden.
Von daher gilt es jetzt nicht zu resignieren, sondern vielmehr zu fragen, wie das Wirken der Kirche den Menschen wieder nahegebracht werden kann. Die in der vergangenen Woche veröffentlichte Umfrage, wonach die katholische Kirche in Österreich weiter an Vertrauen in der Bevölkerung verliert, sollte dazu ermutigen. Wie aus dem Vertrauensindex für Juli 2022 hervorgeht, büßte die Kirche im Vergleich zum Vorjahr 8 Punkte ein und landet mit einem Saldo von minus 27 Punkten auf dem viertletzten Platz.
Am besten schneiden in der aktuellen Befragung, die Polizei (+55), das Bundesheer (+52) und die Arbeiterkammer (+50) ab. Am stärksten wuchs dabei im Vergleich zum Vorjahr das Vertrauen der Bevölkerung in das Bundesheer, das 20 Punkte hinzugewinnen konnte.
Diese negative Sicht auf Kirche hat für mich in Wesentlichen zwei Ursachen. Zum einen genügen sich unsere westlichen Gesellschaften vielfach selbst, stellen immer weniger die Frage nach dem Woher und Wohin des Lebens und begnügen sich mit den materiellen Grundlagen der irdischen Existenz.
Das spiegelt sich auch in dem Gerichtsurteil des österreichischen Verfassungsgerichtshofs, das in der vergangenen Woche veröffentlicht wurden. Geklagt hatten im Namen einer Gruppe von Kulturschaffenden ein Pianist und ein Dirigent gegen die ihres Erachtens „Ungleichbehandlung von Religion und Kunst“.
Die Ausnahmen für Kirchen während des coronabedingten Lockdown im Herbst 2021 seien, so das oberste Gericht, „gleichheitswidrig“. Religiöse Zusammenkünfte von den Beschränkungen des Lockdowns für Kultureinrichtungen auszunehmen, sei sachlich nicht gerechtfertigt gewesen und eine „Ungleichbehandlung von Religion und Kunst“.
Das Gericht macht also keinen Unterschied zwischen Theater, Kabarett, Konzert, also Unterhaltung, und Gottesdiensten, Andachten oder sonstigen religiöse Feiern.
Nicht nur aus der Kirche, auch aus der Politik kamen sofort Reaktionen auf das Urteil, Kultusministerin Susanne Raab sagte: „Religionsfreiheit ist ein sehr hohes Gut.“ Die Ministerin ist zudem überzeugt, dass der Glaube und die gemeinsame Religionsausübung sowie auch entsprechende Möglichkeiten der Seelsorge vielen Menschen im Land gerade in Krisenzeiten Halt geben. Sie haben daher nicht nur für den einzelnen, sondern für die gesamte Gesellschaft einen besonders hohen Stellenwert.
Der Wiener Klaus Prömpers sieht in dem Kirchen-Lockdown-Urteil in Österreich einen „weiteren Schritt der Säkularisierung“. Für ihn ist es ein wesentlicher Unterschied, ob jemand Gottesdienst feiert und betet, um sich innerlich zu stärken und Zuversicht zu schöpfen, oder ob jemand zu seiner Unterhaltung eine Veranstaltung besucht, um sich „kulturell zu erfrischen“.
Dass wir – ob wir es wahrhaben wollen oder nicht – in Europa in einem Kulturkampf stehen, bestätigt für mich die Vermutung des Journalisten, dass die Klage führenden Künstler sogar überlegen, eine grundsätzliche Klärung für Europa insgesamt vor dem Menschenrechtsgerichtshof in Straßburg herbeizuführen.
Neben dieser negativen Sicht auf die Kirche aus den Blickwinkel der Gesellschaft gilt es aber auch in aller Aufrichtigkeit zu sehen, was die Kirche selbst dazu beiträgt, dass das Vertrauen in die Institution, aber auch in ihren Auftrag mehr und mehr verloren geht.
Die Worte des heutigen Evangeliums sind geradezu wie eine Gewissenserforschung dazu:
Während in der Kirche neue Strukturen geschaffen, Strategien entwickelt und Pastoral organisiert wird, mahnt Jesus: „Seid wie Menschen, die auf ihren Herrn warten …“
Deshalb die selbstkritische Frage, ob die Menschen uns anmerken, dass wir aus dem Vertrauen in Gott leben und Hoffnung und Zuversicht unter und in den Menschen vertiefen.
„Denn wo euer Schatz ist, da ist auch euer Herz.“ Wenn wir an Christen denken wie z.B. den Pallottinerpater Franz Reinisch oder den Jesuiten Alfred Delp, die in viel schwierigeren gesellschaftlichen Zeiten lebten, dann wird ihre innere Haltung für uns deutlich.
So sagte Franz Reinisch z.B.: „Ich denke, rede und handle nicht, was und weil es andere denken, reden, handeln, sondern weil das meine innere Überzeugung ist!“ und „Ich kann als Christ und Österreicher einem Mann wie Hitler niemals den Eid der Treue leisten.“
Alfred Delp, der am Lichtmesstag 1945 in Berlin im KZ umgebracht wurde, schrieb mit gefesselten Händen aus seiner Zelle und mahnte im Blick auf die Zukunft der Kirche:
„Es wird kein Mensch an die Botschaft vom Heil und vom Heiland glauben, solange wir uns nicht blutig geschunden haben im Dienste des physisch, psychisch, sozial, wirtschaftlich, sittlich oder sonstwie kranken Menschen. Der Mensch heute ist krank. …“
Auch wenn – oberflächlich betrachtet – in unseren Breiten die Menschen in einigermaßen Wohlstand leben, so sagt das nichts über ihre innere Zufriedenheit aus und verdrängt eher, dass es dem Großteil der Menschen in der Welt materiell nicht gut geht. Umso mehr kommt es darauf an, dass wir unseren Auftrag als Christen und unsere Sendung wahrnehmen, vor der Welt die Frohe Botschaft zu bezeugen und mit unseren Möglichkeiten zu helfen, dass das Leben gelingt.
Eine Kirche, die im sogenannten „Mainstream“ mitschwimmt, also nur wiederholt, was ohnehin alle schon sagen, ist überflüssig. Eine Kirche aber, die für ihre Botschaft einsteht und im Geist Jesu sich um die Menschen annimmt und das Zusammenleben gerecht und friedvoll gestaltet, wird zu einem Programm, das die Menschen neugierig macht für den, der uns sendet. Dann wird auch schnell klar, dass es nicht um ein religiöses Unterhaltungsprogramm geht, sondern um eine lebenswichtige Botschaft – die Kraft gerade in schwierigen Zeiten schenkt und mehr ist als kurzweilige Abwechselung.
Wann immer das deutlich wird, dass Kirche unter den Menschen und für die Menschen da ist und sich um sie und ihre Nöte annimmt, dann wird das Vertrauen in ihre Botschaft und ihr Wirken wieder zunehmen.
Deshalb sollten wir uns – egal wie die Umfragewerte tagesaktuell sind – das Wort Jesu aus dem heutigen Evangelium zu Herzen nehmen: „Fürchte dich nicht, du kleine Herde!“
Domkapitular Clemens Bieber
www.caritas-wuerzburg.de