Die Predigt im Wortlaut:

„Stark!“, dachte ich mir, als ich vor kurzem die Einladung eines Caritas-Kreisverbandes in unserer Diözese erhielt. „Stark!“, denn die Jubiläumsfeier stand unter dem Leitwort: „Ich bin von Kopf bis Fuß auf Liebe eingestellt …“

Unvergessen ist der Schlager von Marlene Dietrich aus dem Jahre 1930. In einer Zeit,

• in der sich große Sorge unter den Menschen angesichts der Weltwirtschaftskrise breitmachte,
• in der sich die Arbeitslosenzahl verfünffachte,
• in der die öffentlichen Gehälter um 25 Prozent vermindert und die Arbeitslosenhilfe und Sozialhilfe stark gekürzt wurden,
• in der die hohe Zahl der schlecht bezahlten Kurzarbeiter und Angestellten immer größer wurde und viele Kleinunternehmer kurz vor dem Ruin standen,

da sang Marlene Dietrich:

„Ich bin von Kopf bis Fuß auf Liebe eingestellt, denn das ist meine Welt. Und sonst gar nichts. Das ist, was soll ich machen, meine Natur, ich kann halt lieben nur und sonst gar nichts.“

Kurzum, in einer Zeit, in der die Menschen zutiefst verunsichert waren und die Gesellschaft aus den Angeln zu geraten schien, erklang die Schlagerbotschaft geradezu wie ein Traum:
„Ich bin von Kopf bis Fuß auf Liebe eingestellt …“

Wenn wir die aktuellen Debatten in unserem Volk bedenken, in dem Fragen gestellt und zum Teil sehr kontrovers diskutiert werden wie z. B.:

• Wie werden wir der großen Zahl von Flüchtlingen und Asylbewerbern gerecht? Was ist menschenwürdig im Umgang mit ihnen, was ist notwendig, was kann von unserem Volk an Solidarität erwartet werden, was ist an Eigenverantwortung von den Menschen, die unser Land kommen, zu erwarten, was muss im Blick auf die familiäre wie auch die politische Situation in deren Heimatländern mitbedacht werden?

Oder bedenken wir einige andere aktuelle Stichworte:

• Wie können Integration von Menschen mit einem anderen kulturellen oder religiösen Hintergrund in unsere Gesellschaft oder auch Inklusion von Menschen mit Behinderungen gelingen?
• Welche Form der Betreuung entspricht am ehesten den Bedürfnissen von Kleinkindern – eher die durch die eigenen Eltern oder die institutionelle?
• Wie kann Alten, Betagten und Gebrechlichen, die auf Unterstützung und Pflege angewiesen sind, mit Wertschätzung und Würde begegnet werden, so dass sie sich nicht als Last und überflüssig vorkommen, sondern am Lebensabend auch Dankbarkeit für ihre Lebensleistung erfahren?

Ich könnte noch weitere Stichworte nennen, die derzeit die Menschen bewegen, weil sie zutiefst das Leben und das Zusammenleben betreffen. Und genau dann, wenn sich Unsicherheit, Zweifel und Angst breitmachen, tut es gut, einer Haltung zu begegnen, wie sie Marlene Dietrich 1930 zumindest in ihrem Schlager zum Ausdruck brachte: „Ich bin von Kopf bis Fuß auf Liebe eingestellt …“

Nun gilt es zu bedenken, dass das eine Wort „Liebe“, das wir in unserer deutschen Sprache haben, all das meinen kann, wofür z. B. die griechische Sprache, in der das Neue Testament abgefasst ist, allein drei differenzierte Begriffe verwendet:

• „Philia“ meint die freundschaftliche Liebe, die Zuneigung und Sympathie, mit der Menschen einander begegnen.
• „Agape“ meint die tiefe, sich selbst aufopfernde, also echte Liebe, den Einsatz füreinander, z.B. die Liebe der Eltern zu ihren Kindern oder umgekehrt der Kinder zu ihren Eltern.
• „Eros“ meint die körperliche Liebe, die Lust, die Leidenschaft füreinander, die in der aufrichtigen Liebe zueinander verwurzelt ist und von daher glücklich macht.

Wenn ein Mensch unsicher, hilflos ist, braucht er das Gespür notwendig, er sei weder Last noch lästig, und schon gar nicht einfach nur Kunde, der in Abrechnungsziffern und Geldleistungen taxiert und betrachtet wird. Die Sorge um den Menschen verkommt, wenn sie nur nach den Gesetzen des sozialen Marktes geregelt wird: Wer „erledigt“ – im schlimmsten Sinne des Wortes – die Dienstleistung zum niedrigsten Preis? Dieser Denkweise entsprechend handeln und entscheiden leider nicht nur einzelne Menschen, sondern auch der Staat und manche Kommunen.
Die Sorge um den Menschen braucht eine höhere, eigentlich unbezahlbare, im wahrsten Sinn menschliche Qualität. Diese Qualität ist mehr als nur ein professionelles, betreuerisches oder pflegerisches Handwerk. Es geht um eine Berührung von Herz zu Herz; deshalb machen z.B. Kinder schnell deutlich, bei wem sie sich angenommen, sicher, geborgen und wirklich geliebt fühlen. Und wenn alte Menschen das Gespür der herzlichen Zuneigung empfinden, kommt ihnen plötzlich über die Lippen: „Schön, dass du da bist!“„Du tust mir gut!“

All das kann der sogenannte soziale Markt nicht garantieren; es braucht dazu ein liebevolles Herz im Sinne von „Agape“.

In ihrem wegweisenden Wort „Berufen zur caritas“ – wohlgemerkt „caritas“ mit kleinem „c“ geschrieben, also berufen, die Liebe, Barmherzigkeit und Zuneigung unseres Gottes weiterzugeben – schreiben unsere Bischöfe: „Die caritativ Engagierten lernen, ihre Mitmenschen und besonders auch die Leidenden mit den Augen Jesu anzuschauen.“

Im Blick auf die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in unseren sozial-caritativen Einrichtungen und die Qualität, die sie garantieren, heißt es in „Berufen zur caritas“: „Von Nichtchristen unterscheiden sie sich …, ob und wie echt sie ihren Glauben leben“ und „dass sich dies in ihrer Haltung, ihrer Begegnung und ihrem Verhalten in Bezug auf ihre Mitmenschen – besonders die Armen und Bedrängten aller Art – erweist.“

Deshalb sind wir sehr dankbar für die vielen Frauen und Männer, die in unseren kirchlichen Einrichtungen mit Herzblut und Leidenschaft für die Menschen Dienst tun – sei es in einer Kindertagesstätte, wo z.B. auch das friedvolle Miteinander von Kindern mit unterschiedlichem kulturellen und religiösen Hintergrund erfahren und eingeübt wird, oder eine Einrichtung für Menschen mit Behinderungen oder ein Haus, in dem alte und auf Unterstützung angewiesene Menschen leben. Es geht uns nicht um Profit, es geht uns immer um den Menschen!

Deshalb erachte ich es als Wink des Himmels, dass heute an dem Sonntag, an dem wir den Schwestern aus der Heilig-Geist-Gemeinschaft ein frohes Willkommen in Miltenberg und insbesondere im Haus Maria Regina sagen, im Evangelium die Antwort Jesu auf das Ansinnen der Jünger, möglichst groß rauszukommen, hören: „Ihr wisst, dass die, die als Herrscher gelten, ihre Völker unterdrücken und die Mächtigen ihre Macht über die Menschen missbrauchen. Bei euch aber soll es nicht so sein, sondern wer bei euch groß sein will, der soll euer Diener sein … Denn auch der Menschensohn ist nicht gekommen, um sich dienen zu lassen, sondern um zu dienen und sein Leben hinzugeben als Lösegeld für viele.“

Was die Menschen, besonders diejenigen, die auf Hilfe und Unterstützung angewiesen sind, brauchen, ist das Gespür von Wertschätzung und Liebe. Deshalb sind wir sehr dankbar, dass Sie, liebe Schwestern, gemeinsam mit den beruflichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern in Maria Regina und den vielen Ehrenamtlichen aus Miltenberg und der Pfarreiengemeinschaft gemeinsam um dieses Zeugnis der Zuneigung unseres Gottes bemüht sind.

Als Verantwortliche sind wir sehr dankbar, dass Sie auch das Miteinander der beruflich und ehrenamtlich Engagierten fördern und inspirieren wollen. In „Berufen zur caritas“ schreiben unsere Bischöfe: „Wir können nicht immer nur geben, wir müssen auch empfangen und auftanken …“. Genau diese Sorge machen Sie sich zu eigen. Im Wort der Wort der Bischöfe heißt es: „Ein geistlich waches Klima und eine Kultur der Anerkennung, Achtsamkeit und Zuwendung fördern die Dienstgemeinschaft …“

Alle, die sich uns und unseren Diensten und Einrichtungen anvertrauen, sollen dabei Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern begegnen, bei denen sie die Haltung spüren, die Marlene Dietrich mit Worten besungen hat: „Ich bin von Kopf bis Fuß auf Liebe eingestellt, denn das ist meine Welt. Und sonst gar nichts. Das ist, was soll ich machen, meine Natur, ich kann halt lieben nur und sonst gar nichts.“

Als Kirche dürfen wir uns nicht abschotten und nicht zurückziehen in fromme Nischen. Es kommt darauf an, dass wir unter den Menschen erfahrbar sind als besorgte, solidarische Kirche und nicht nur mit Worten, sondern mit unserem Tun Zeugnis geben von der Menschenfreundlichkeit und dem Erbarmen Gottes. Deshalb hat der große Vorarbeiter der modernen Caritas, der hl. Vinzenz von Paul vor 400 Jahren der von ihm gegründeten Schwesterngemeinschaft abgeraten, sich in ein abgeschlossenes Kloster zurückzuziehen. Er sagte: „Euer Kloster ist die Pfarrei, euer Kreuzgang, das sind die Straßen der Gemeinde, eure Kapelle ist die Pfarrkirche.“

Liebe Schwestern, Sie kommen nach Deutschland in einer Zeit, in der unser Volk – trotz allen materiellen Wohlstands – zutiefst verunsichert ist, was die Zukunft betrifft. Wir sind keine Propheten und können die Zukunft nicht vorhersagen, aber wir können das Zusammenleben der Menschen und damit die Zukunft mitgestalten, wenn wir aus dem Geist Jesu heraus handeln. Dann klingt durch unser Tun sicher etwas von der Haltung durch, was sich in den 30er Jahren des vergangenen Jahrhunderts in Worten so anhörte: „Ich bin von Kopf bis Fuß auf Liebe eingestellt, denn das ist meine Welt. Und sonst gar nichts. Das ist, was soll ich machen, meine Natur, ich kann halt lieben nur und sonst gar nichts.“
Wenn das konkrete Erfahrung im Umgang miteinander wird, das ist „echt stark“!

Text zur Besinnung nach der Kommunion

Mutter Teresa hat einmal gesagt:

Wir sind uns bewusst,

dass das,

was wir tun,

nur ein Tropfen im Ozean ist.

Aber gäbe es diesen Tropfen nicht,

würde er im Ozean fehlen.