Würzburg (POW) „Mein“ – rechte Hand aufs Herz. „Name ist“ – zweimal mit der rechten Hand auf den linken Handrücken klopfen. „Und jetzt gebärdet Ihr den Anfangsbuchstaben Eures Namens.“ 17 Köpfe beugen sich über das große Plakat mit dem Fingeralphabet, das vor ihnen auf dem Boden liegt. „Erst einmal kräftig die Hände ausschütteln“, empfiehlt Claudia Walter, Hörgeschädigtenseelsorgerin der Diözese Würzburg. Mit Jasmin Endres, Referentin in der Diözesanen Fachstelle Inklusion der Kirchlichen Jugendarbeit (kja), sowie dem gehörlosen Ehepaar Margit und Oswald Friedrich aus Wasserlosen (Landkreis Schweinfurt) leitet sie den „Schnuppertag für Gebärdensprache“. Einen Nachmittag lang gibt es Einblicke in die Gebärdensprache sowie in die Kultur gehörloser Menschen. Die Idee sei aufgrund des Interesses der Katholischen jungen Gemeinde (KjG) und der Katholischen Landjugendbewegung (KLJB) entstanden und von der Fachstelle Inklusion umgesetzt worden, erklärt Endres. „Es ist ein Riesenfeld, und wir werden ein paar Mosaiksteinchen an Erfahrungen und Wissen sammeln“, sagt Walter. Sie habe vor 13 Jahren die Seelsorge für Gehörlose übernommen und damals auch die Gebärdensprache gelernt. „Die Gehörlosenkultur ist eine eigene Kultur. Die Begegnung mit gehörlosen Menschen bereichert mich und macht mich glücklich.“
Die erste Erfahrung: Wenn Walter gebärdet, sieht es schwebend leicht aus. Wenn man zum ersten Mal selbst gebärdet, ist es schmerzhafte Fingerakrobatik. Für das „K“ etwa werden kleiner und Ringfinger gebeugt, Mittel- und Zeigefinger wie ein V nach oben gestreckt und der Daumen an den Mittelfinger gelegt. Alles gleichzeitig. Für das „R“ legt Robert den Daumen über den Ringfinger und schiebt den Zeige- unter den Mittelfinger. „Es lohnt sich, das Fingeralphabet zu lernen“, ermutigt Walter. Es sei international einheitlich und man könne damit beispielsweise Namen und Orte buchstabieren. Die Gruppe ist bunt gemischt: Die Frauen und Männer kommen aus der Jugendarbeit oder vom Roten Kreuz, arbeiten in Seniorenheimen oder Behinderteneinrichtungen. Eine Hörgeräteakustikerin ist auch darunter. „Die Sprache fasziniert mich schon lange“, sagt eine junge Frau. Einige haben sich schon mit dem Fingeralphabet befasst. „Ich fand die Erfahrung cool und nützlich für mich“, sagt jemand.
Während Walter gebärdet, ist ihr Gesicht ständig in Bewegung. „Körpersprache und Mimik sind die halbe Miete“, sagt sie. Gefühle wie Freude, Erstaunen oder Abneigung würden vor allem auch über das Gesicht ausgedrückt. Walter fordert dazu auf, aus sich herauszugehen: „Ohne Mimik sind wir für Gehörlose als Gesprächspartner langweilig. Versucht, Eure Gefühle auch mit dem Gesicht auszudrücken.“ Von der Theorie in die Praxis geht es mit Margit und Oswald Friedrich. Margit Friedrich war insgesamt 21 Jahre Vorsitzende des Gehörlosenvereins Schweinfurt und ist ehrenamtliche Hospizbegleiterin. Ihr Mann Oswald gibt Kurse in Deutscher Gebärdensprache (DGS) in Schweinfurt, Hammelburg und Bad Kissingen. Ich kann noch keine Gebärdensprache? Für die beiden kein Problem. Wie könnte man zum Beispiel sagen, dass man fährt? Sofort werden imaginäre Lenkräder gedreht, mit den Händen Fahrräder imitiert.
Dann zeigen sie die Gebärdennamen verschiedener Politiker und lassen die Gruppe raten, wer gemeint ist. Die Hand wie eine Tolle vor der Stirn, mürrischer Ausdruck, verkniffene Augen? „Trump!“, kommt es sofort. Ex-Bundeskanzlerin Angela Merkel hat gleich mehrere Namen: eine waagrecht am Kinn liegende Hand für die anfangs noch kinnlange Frisur, die Merkel-Raute sowie traurig herabgezogene Mundwinkel. „Es muss zur Person passen“, sagt Margit Friedrich. Im Alltag würden oft die Gebärdennamen verwendet. Um zu verstehen, wer mit „Doris mit den Lachgrübchen“ gemeint sei, müsse man aber viel über die jeweilige Person wissen, sagt Walter.
Was die Gruppe noch lernt: Deutsche Gebärdensprache ist erst seit 2002 offiziell als eigene Sprache anerkannt. Es gibt weltweit mehr als 200 Sprachen und auch Dialekte. Die Satzstellung weicht vom Deutschen ab: Subjekt – Objekt – Verb. DGS ist dreidimensional – um Begriffe wie „gestern“ oder „morgen“ zu gebärden, verwendet man eine imaginäre Zeitschiene rechts vom Körper. Man kann nur rund 30 Prozent eines Gesprächs vom Mund absehen – „Mutter“ und „Butter“ etwa sehen genau gleich aus. Es braucht enorme Konzentration, um Handbewegungen und Gesicht gleichzeitig im Auge zu behalten, vor allem, wenn alle gleichzeitig gebärden. „Der Alltag ist sehr anstrengend“, sagt Walter. Oswald Friedrich zeigt, wie man den Redefluss stoppen kann: Er legt beide Zeigefinger waagrecht aneinander und lässt den rechten abrupt herunterfallen. „Das bedeutet: Ich habe den Faden verloren.“
Noch bis in die 1990er Jahre sei es üblich gewesen, dass in der Schule die gehörlosen Kinder auf den Händen sitzen mussten. „Sie durften nicht gebärden. Man wollte sie irgendwie in die Stimme bringen“, erzählt Walter. Es sei mit „den besten Absichten“ passiert, doch viele der älteren Gehörlosen seien dadurch traumatisiert. Die jungen gehörlosen Menschen dagegen seien sehr selbstbewusst. Sie stünden auf dem Standpunkt: „Wenn Hörende gebärden könnten, wären wir nicht behindert.“
In der Fragerunde erzählen Margit und Oswald Friedrich bereitwillig aus ihrem Alltag. Sie nutzen zum Beispiel Lichtklingeln und Lichtwecker, für Notfälle gebe es spezielle Apps, und für die Kommunikation mit Hörenden böten verschiedene Dienste Simultandolmetschen an. Und sie geben Tipps für die Begegnung mit Gehörlosen. Man sollte zum Beispiel einen halben Meter Abstand halten, damit das Gegenüber Mimik und Gestik gut sehen kann. Das Thema des Gesprächs klar benennen. Möglichst keinen Dialekt sprechen. Zum Abschluss singen alle gemeinsam: „Meine Hoffnung, meine Freude, meine Stärke, mein Licht…“ Bei „Licht“ heben alle die geschlossene rechte Hand neben dem Kopf in die Höhe und öffnen dann die Finger – es sieht aus wie Sonnenstrahlen. Margit und Oswald Friedrich heben die Hände und drehen sie schnell vor und zurück. In Gebärdensprache heißt das: Applaus.
Mehr Informationen zur Seelsorge für Menschen mit Behinderung gibt es im Internet unter https://behindertenseelsorge.bistum-wuerzburg.de/ oder https://www.kja-wuerzburg.de/ueber-uns/dioezesane-fachstellen/inklusion/.
sti (POW)
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