Die Predigt im Wortlaut:
Glockenstreit in einer fränkischen Landgemeinde. Einige Bürger fühlen sich durch das nächtliche Schlagen der Kirchenglocken gestört. An einer von drei Messstellen im Ort ist der erlaubte Lärmpegel um ca. 20 Dezibel überschritten, wie die Zeitung berichtet. Für die einen gehören Glocken, auch der Stundenschlag, zur Kultur des Dorfes und zu seiner Tradition. Für die anderen ist es eine unzumutbare Belastung. Die Vorschläge reichen von „alles belassen, wie es immer war“, über technische Veränderungen, um den Stundenschlag zu dämpfen bzw. die Anzahl der Schläge zu reduzieren bis hin zum kompletten Abschalten während der Nacht.
Insofern wäre ich höchst interessiert zu erfahren, wie die Reaktionen in dem Ort im Landkreis Schweinfurt ausfallen, wenn dort bekannt wird, dass Gemeinfeld, ein Dorf mit rund 160 Einwohnern, alle Hebel in Bewegung gesetzt hat, um weiterhin ein wohlklingendes Geläute in ihrer schönen Marienkirche zu haben. Es ist fürwahr erstaunlich, welch große Spendensumme in dem kleinen Ort zusammenkam, um zum einen die drei Glocken aus der Dominikus-Savio-Kirche in Pfaffendorf, die ich am 25. September im Auftrag unseres Bischofs profaniert habe, zu erwerben und eine vierte Glocke neu gießen zu lassen und damit ein festliches Geläute hören zu können.
Glocken haben eine lange Geschichte und vielfältige Bedeutung. Es geht um mehr als um das liturgische Geläute, mit dem zum Gottesdienst gerufen wird!
In manchen unserer fränkischen Kleinstädte finden wir Kirchtürme mit einem Umgang um die Glockenstube. Von hier aus wurde Jahrhunderte lang bei Tag und Nacht Wacht über die Sicherheit der Menschen gehalten. Bei drohender Gefahr – nicht nur bei Feuer – wurden sie durch das Glockengeläute gewarnt.
Mit dem Stundenschlag wurde der Tag der Menschen, wie auch ihre Nacht strukturiert.
Das Morgen-, Mittag- und Abendläuten rief ihnen zu, dass Gott mit uns Menschen ist.
Doch unsere Welt ist in einem gewaltigen Umbruch! Wer nimmt noch den Ruf wahr, im Vertrauen auf Gott ans Tagwerk zu gehen und wen interessiert noch das Abendläuten, die Einladung zum Feierabend?
Ebenso gibt es längst nicht mehr das Testbild, wenn spätestens um Mitternacht die Fernsehsender ihre Programme abschalteten und „eine gute Nacht“ wünschten. Wir leben schon lange in einer pausenlosen Gesellschaft, die inzwischen unter einer Dauerberieselung an 365 Tagen rund um die Uhr leidet. Die Menschen kommen nicht mehr zur Ruhe, und es wird nicht mehr lange dauern, bis der arbeitsfreie Sonntag dem Kommerz geopfert wird. Von daher wird dann auch das Einläuten des Sonntags am Samstagnachmittag überflüssig, mit dem wir gerufen werden, den Werktag hinter uns zu lassen und uns auf das wöchentliche Osterfest einzustimmen.
Wenn die Glocken nicht mehr läuten, wenn wir sie nicht mehr hören, dann sollten wir nachdenklich werden. Aus den Kirchtürmen vieler Dörfer und Städte wurden die wertvollen Bronzeglocken für den Zweiten Weltkrieg entfernt und eingeschmolzen, um daraus Kriegsgerät zu fertigen. Hier im Gemeinfeld wurden die alten wertvollen Bronzeglocken bereits im Ersten Weltkrieg auf Anordnung des Berliner Kriegsministeriums ab dem Frühjahr 1917 requiriert. In Gemeinfeld hat man nach dem Krieg mit preiswerten Eisenglocken als Ersatz vorliebgenommen, die allerdings nach einhundert Jahren ausgedient haben. „Als die Glocken schwiegen, waren die Kanonen zu hören“, sagte mein Vorvorgänger in Kleinostheim, wo ich 18 Jahre lang Pfarrer sein durfte; und es dauerte damals nicht lange, bis der Ort am 21. Januar 1945 im Bombenhagel zerstört wurde und 61 Menschen für immer im Schutt begrub.
Als die beiden Weltkriege im Grunde schon verloren waren, hat man mit solch unsinnigen Ideen die Kirchen zum Schweigen bringen und die Hoffnung verbreiten wollen, der Erfolg wäre noch zu erringen.
Genau vor diesem Hintergrund wird deutlich, wie wichtig so ein Zeichen ist, wie Sie es hier in Gemeinfeld setzen – ganz entgegen dem Trend einer pausenlosen und ruhelosen Gesellschaft, die sich selbst genügt.
Das Geläute der Glocken ruft uns in Erinnerung, dass Gott unser Leben begleitet und uns zum Leben in Fülle führen will. Dafür danken wir und loben ihn mit unserem Gebet und mit unseren Gottesdiensten. Die Glocken erinnern uns, wie es wichtig ist, dass wir Sonntag für Sonntag hier zusammenkommen, um mehr und mehr zu lernen, mit dem Wort Gottes im Herzen zu leben und zu handeln im privaten, beruflichen und öffentlichen Bereich. Hier können wir Kraft schöpfen aus der Botschaft des Glaubens. Von daher sind die Christen zu allen Zeiten den Weg der Frohen Botschaft gegangen, auch am Werktag, im Alltag.
Das Geläute der Glocken begleitet unser Leben. Wir können uns freuen, wenn die Glocken von einer Taufe künden. Der Caritasdirektor der Diözese Innsbruck hat vor einigen Jahren in Tirol dazu aufgerufen, mit den Glocken zeitnah nicht nur die Nachricht vom Sterben eines Mitmenschen weiterzugeben und zum Gebet für den Verstorbenen zu rufen, sondern ebenso die Freude zu verbreiten, dass einer Familie im Ort und damit unserer Welt ein Kind geschenkt wurde. Die Hochzeitsglocken machen hörbar, dass zwei Menschen trotz all ihrer Unzulänglichkeiten im Vertrauen auf Gott zueinander Ja sagen für gute und schwere Tage. Die hörbare Mitteilung vom Sterben ruft zum Gedenken und zum fürbittenden Gebet.
Die Glocken erinnern daran, wie stark unser Leben mit Gott verbunden ist.
Deshalb ist es interessant, dass in diesem festlichem Gottesdienst mit der Glockenweihe die biblischen Texte des 29. Sonntags im Jahreskreis verkündet werden mit dem Wort von der Steuermünze: „Gebt dem Kaiser, was dem Kaiser gehört, und Gott, was Gott gehört!“
Der Evangelist Matthäus gibt das entsprechende Wort Jesu an seine Gemeinde weiter, weil es für ihr Leben als Christen in der Welt wichtig ist. Zeitgeschichtlich geht es um die Kopfsteuer, die jeder Bewohner des Römischen Reiches zu bezahlen hatte, und um die Münze, die den Kaiser in göttlicher Würde abbildet. Wer die Münze besitzt und benutzt, der anerkennt die betreffende Regierung und die Wirtschaftsordnung.
Jesus, der die Münze nicht besitzt, spricht sich zwar nicht gegen das Steuerzahlen aus, aber er macht klar, dass es viel wichtiger ist, dem Anspruch Gottes zu folgen. Er möchte, dass im Wirken und Handeln der Menschen das Reich Gottes zum Durchbruch kommt.
Ebenso wird in der Bibel deutlich, dass Gott, der Schöpfer alles Guten, nicht das Geld segnet, sondern den schaffenden, innovativen Menschen, der im Geist Gottes Verantwortung für die Welt, die gute Schöpfung Gottes wahrnimmt. – Auch daran erinnern uns die vier Glocken:
- Der Heilige Johannes Bosco hat sich in den Umbrüchen und Wirren des 19. Jahrhunderts in Turin der armen und benachteiligten Jugendlichen angenommen und ihnen einen guten Weg für ihr Leben geebnet.
- Dominikus Savio war einer seiner Schüler, der zwar schon mit 15 Jahren starb, dem aber ein erfülltes Leben voller Gottvertrauen geschenkt war.
- Die dritte Glocke erinnert uns an Maria als unsere Helferin.
- Schließlich die jetzt am 8. Oktober gegossene Glocke, die dem hl. Sebastian geweiht ist. Seit Jahrhunderten wird er hier im Ort verehrt. Er stand den verfolgten Christen bei und hielt den tödlichen Pfeilen von Kaiser Diokletian stand. Seine Verehrung bewahrte im 7. Jahrhundert die Menschen in Pavia vor den tödlichen Auswirkungen einer Pestepidemie.
Das Geläute der vier Glocken ist also eine höchst aktuelle Botschaft im Blick darauf, unserer Jugend einen lebenswerten Weg zu ebnen und so durch sie unsere Welt in eine gute Zukunft zu führen. Dazu erinnern uns die Glocken, in der Frohen Botschaft Jesu für uns selbst Orientierung und Halt zu finden, in allem auf Gott zu vertrauen und deshalb seine Lebensbotschaft mutig zu bezeugen.
Die Zahl der Zeitgenossen, die kein Interesse mehr an SEINER Botschaft haben und deshalb unsere Glaubensfeiern als unnötig empfinden, nimmt immer mehr zu. Deshalb ist es kaum verwunderlich, dass es dann nicht mehr lange dauert, bis auch die Glocken und ihre Botschaft als lästig empfunden werden. Im Gegensatz dazu werden geschützte stille Tage bestritten.
Umso bedeutsamer ist das Zeichen, das Sie hier in Gemeinfeld gerade in dieser Zeit setzen. Damit fallen Sie nicht hinter unsere Zeit zurück, sondern Sie sind der Zeit voraus, denn die Menschen brauchen Orientierung und Halt!
Für uns und für alle Menschen, die sich um ein Dasein voller Hoffnung und Zuversicht und um gerechte Lebensbedingungen für alle bemühen, bedeutet das, aus der Frohen Botschaft Jesu die Anleitung zu einem guten, gerechten und menschenwürdigen Leben zu ziehen. Das ist unsere Sendung und unser Auftrag, damit wir „Kirche für die Menschen sind“. Wer nur Spaß und Fun, Geld und Profit im Kopf hat, der verliert den Blick für das Leben und den Menschen.
Hans-Jochen Vogel, der vor einigen Wochen verstorben ist, wurde einmal in einem Interview gefragt: „Was ist in Ihren Augen ein praktizierender Katholik?“ Seine Antwort lautete: „Einer, der seinen Glauben ernst nimmt, der für sein Leben im Glauben Orientierungshilfe sucht und der mit Regelmäßigkeit am Sonntagsgottesdienst teilnimmt.“
Wer das mit innerster Überzeugung tut, der denkt über den Augenblick hinaus und wirkt aus der Kraft Gottes heraus mit, gerechtes und gutes Leben für alle zu gestalten. Die Glocken mögen über die Jahrhunderte hinweg daran erinnern!
Domkapitular Clemens Bieber
www.caritas-wuerzburg.de
Zwei Texte zur Besinnung
KUNDENDIENST
Drei Zeitgenossen,
selten im Gottesdienst,
haben ihre Gründe:
Ich mag das Gebimmel nicht,
sagt der erste.
Ich mag das Gesinge nicht,
sagt der zweite.
Ich mag das Getue nicht,
sagt der dritte.
Die Kirche
wird gut daran tun,
sich was einfallen zu lassen.
Vielleicht so etwas wie
Minigolf?
(Nach Lothar Zenetti)
Selbst wenn wir keine Kirche mehr haben
keinen Turm keine Glocke keine Orgel
keine Kirchensteuer keine Paramente
keine Kerzen keinen Kelch keine Kanzel
kein Buch kein Bild keinen Altar
wir hätten noch immer das Wort und das Brot
Und hätten wir dieses nicht mehr
so wüssten wir doch den einen und einzigen Namen
und könnten bekennen: Jesus ist Herr
und hätten die eine und einzige Hoffnung
die alles aufwiegt
die alles ändert
die alles möglich macht
Vorläufig aber vertrauen wir lieber noch
auf Bild und Buch und Steuer und Turm
und es ändert sich nichts
und wir sagen: unmöglich
Lothar Zenetti