Die Predigt im Wortlaut:
Wohin führt dieser Krieg? – Die Menschen, die aus ihrer Heimat fliehen mussten, sind in größter Sorge! Sie sitzen hier in von beherzten Helfern schnell hergerichteten Unterkünften. Sie sind dankbar für die Gastfreundschaft, die Hilfe und Betreuung. Dennoch überwiegen Angst und Sorge. Viele Fragen quälen sie: Werden ihre Angehörigen, die versuchen die Heimat zu verteidigen, überleben? Was wird von ihren Häusern, ihren Städten und Dörfern noch stehen? Wird es noch Kindergärten, Schulen, Krankenhäuser, Altenheime geben? Was wird aus ihren Kirchen, Friedhöfen, aus ihren Museen und Theatern, aus ihrer Landwirtschaft, aus ihren Betrieben und ihrer Arbeit werden?
Wohin führt dieser Krieg? – Wird das Land, werden die Menschen wider Willen in das anscheinend angestrebte Großrussische Reich eingeschlossen?
Wohin führt dieser Krieg? – Oder wird der absolute Machthaber, weil er um seine Stärke fürchtet und mit seinem Plan nicht durchdringt, den vernichtenden roten Knopf drücken?
Wohin führt dieser Krieg? – Die weltpolitische Landkarte wird sich verändern. Völlig unklar ist, was China beabsichtigt. Der Westen greift zwar zu immer stärkeren wirtschaftlichen Sanktionen, agiert bei all dem dennoch sehr vorsichtig. Zu groß ist die Abhängigkeit etwa in der eigenen Energieversorgung. Eine in Russland abgefeuerte Atomrakete könnte in fünf Minuten Berlin treffen. Die Meinungsmacher in den Medien überschlagen sich mit Kommentaren, Hinweisen und Ratschlägen, letztlich aber haben sie keine Verantwortung. Dennoch zensieren sie diejenigen, die um ihre Verantwortung wissen und vielfach ratlos sind, was in einer konkreten politischen Herausforderung die richtige Entscheidung ist, die letztlich zu Frieden und Sicherheit und somit zu Freiheit führt.
Allerdings drängt sich mir mehr und mehr der Gedanke auf, ob die Frage nicht tiefergehender gestellt werden müsste – nicht „Wohin führt dieser Krieg?“, sondern: „Wohin führt eine Lebenshaltung, ein Welt- und Menschenbild und damit eine Politik, die geleitet ist von einer ideologisch fundierten Machtbesessenheit, von einem wirtschaftlichen Vorherrschaftsstreben oder von einem im Grunde falschen Freiheitsbegriff, wo jeder das tun und lassen kann, was er bzw. sie für richtig erachtet?“.
In vielen Teilen der Erde herrscht seit Jahren und Jahrzehnten Krieg, werden Völker unterdrückt, Menschen vertrieben und damit versucht, Land und Macht zu gewinnen. All das ist für uns scheinbar weit weg, sehen wir vielleicht teilnahmslos am Bildschirm und hat uns allenfalls zu einem kleinen Teil eingeholt, als Menschen, die z.B. aus Syrien, Irak, Afghanistan, Somalia und vielen anderen Ländern geflohen sind, bei uns ankamen. Aber spätestens jetzt, wo Krieg vor unserer Haustüre in Europa herrscht, sollten wir nachdenklich werden und uns fragen, ob unsere Werte- und von daher Weltordnung wirklich Zukunft hat!
Ist es nicht eine der großen Nöte und Probleme, dass wir eine zumeist nur einseitige Sicht des Lebens haben? Wir haben vor allem die unbeschwerte, sorgenfreie Seite, Leben ohne Last und Leid, im Blick, versuchen das Glück mit materiellen Dingen zu sichern, meinen nur dann wirklich Mensch zu sein, wenn alles strahlend und erfolgreich ist und sich materiell und finanziell gewinnbringend auszahlt. Dieser Versuchung sind alle sozialen Schichten ausgesetzt vom Arbeiter über den Unternehmer bis zum Konzernmanager, vom Finanzverantwortlichen unterschiedlichster Institutionen bis zum Politiker. In der beruflichen Verantwortung braucht es ebenso einen geistigen und geistlichen Kompass wie im ganz persönlichen Leben.
Damit sind wir bei der biblischen Botschaft des zweiten Fastensonntags.
Der alttestamentliche Bericht bringt es auf den Punkt: Das Festhalten an Gott – auch in einer extrem schwierigen Situation – bringt Segen. An Abraham wird deutlich, dass er im Blick auf seinen Sohn Isaak sich und seine Zukunft in die Hand Gottes zu legen bereit ist. Bis zum Äußersten vertraut er auf Gott. Leben ohne Vertrauen ist nicht möglich. Menschen, die nur in sich gefangen sind, die niemandem vertrauen, die vor allem auf materielle Sicherheit bedacht sind, kommen letztlich nicht weiter. Dagegen macht Abraham deutlich, wenn ich Gott vertraue, gewinne ich Leben immer neu.
Im Evangelium wird uns das Ereignis auf dem Berg Tabor berichtet, das auch bekannt ist als „Verklärung Christi“ oder einfacher gesagt und gedeutet: „Petrus, Jakobus und Johannes wird klar, worauf es mit Jesus hinausläuft. Selbst durch den Tod hindurch führt der Weg mit IHM zum Leben. Deshalb ist die Stimme vom Himmel wie eine Bestätigung des Vertrauens auf IHN“: „Das ist mein geliebter Sohn … auf ihn sollt ihr hören!“ Gott selbst hat also geboten, auf Jesus und SEINE Lebensbotschaft zu hören – in allen Um- und Aufbrüchen unserer Zeit und bei allen Neuanfängen. Mit dem Vertrauen eines Abraham und im Blick auf Jesus sollen wir der Welt helfen, den Weg zu einem menschenwürdigen Leben und schließlich zum Leben in Fülle zu finden. Deswegen müssen wir Christen uns in den aktuellen Problemen unserer Zeit zu Wort melden und deutlich machen, dass es um weit mehr geht als um möglichst viele Milliarden, um vielleicht einen Krieg zu gewinnen.
In einem Kommentar habe ich dieser Tage die Frage gelesen: „Wo sind die Kirchen? Wo ist ihr Protest gegen die Gewaltherrschaft? Wo ist ihr Einsatz für den Frieden?“ Ich erspare es mir, die unsäglichen Äußerungen des Moskauer Patriarchen Kyrill I. im Zusammenhang mit dem Krieg in der Ukraine zu kommentieren. Aber eine andere Beobachtung möchte ich erwähnen: Ich habe dieser Tage im Internet das Stichwort „Friedensgebet Ukraine“ eingegeben und zahlreiche Einträge gefunden: Gebete, Andachten, Lieder, Texte usw., darunter viele sehr berührende Anregungen zum Innehalten sowie für die Bitte an Gott. Unter vielen dieser Einträge finden sind sich vier-, fünf- und z.T. sechsstellige sogenannte „Likes“, also Zustimmungen.
Dabei drängt sich der Gedanke auf: Zahlreiche Menschen treten derzeit aus der Kirche aus. Zugleich suchen in diesen Tagen hunderttausende – darunter viele junge Menschen – im Internet nach Liedern und Gebeten um Frieden, und singen bzw. sprechen sie mit.
Nun gibt es auch Einladungen zu Friedensgebeten in einigen unserer Kirchen. Doch der Eindruck in der Öffentlichkeit ist eher der, dass die Kirche bzw. nicht wenige in ihr – beruflich wie ehrenamtlich Engagierte – mit sich selbst, mit den Strukturen, mit ihren eigenen Anliegen und Vorstellungen beschäftigt sind. Sie diskutieren leidenschaftlich über Ämter, Macht, Positionen, Gremien, Evaluation, Definitionen bis hin zum gegenderten Gottesbegriff. Ohne die Bedeutung einzelner der diskutierten Themen zu schmälern, darf gefragt werden, ob es den Protagonisten der gerade jetzt in dieser Zeit befeuerten Kirchendebatte auffällt, dass die Menschen immer weniger in der Kirche Antworten auf ihre Fragen, Orientierung in ihren Unsicherheiten und Halt in ihren Sorgen suchen?
Unser christlicher Glaube verschont uns nicht – nicht vor dem Tod, nicht vor dem Kreuz, nicht einmal vor dem Zweifel. Es wäre deshalb falsch an Gott zu glauben, nur damit es uns besser geht, damit wir im Leben vor Problemen verschont werden, damit im Grunde alles glatt läuft. Glaube ist immer ein Suchen, um auf dem Weg zu bleiben, der uns in eine von Gott gesegnete und deshalb gute Zukunft führt.
Unser Glaube braucht immer wieder die Begegnung, die Berührung mit Gott, aber unser Glaube führt uns nicht auf einen Berg, um dort zu verweilen, sondern in den Alltag, in die Beziehungen, die wir dort haben, in die Aufgaben, die sich stellen, in die Last und das Leid, das uns bedrückt. Es ist nicht möglich, auf dem Berg der Verklärung zu bleiben, um so die Realität des Lebens zu umgehen. Aber mit Gott kann man getrost hinabsteigen und sich den Niederungen des Alltags stellen mit all den eigenen Kreuzen, die man zu tragen hat, und schlussendlich dem eigenen Tod.
Deshalb ist es unser Auftrag als Christen, die Menschen in Berührung mit Gott zu bringen z.B. durch die Art und Weise, wie wir ihnen begegnen, wie wir ihre Not, ihre Last mittragen, wie wir für sie aber auch mit ihnen beten – so wie das z.B. unser Bischof am vergangenen Freitag in Bad Königshofen tat, wo er die dort angekommenen Menschen aus der Ukraine, wie auch die dort einquartierten afghanischen Ortskräfte besuchte.
Denn dort, wo Gott in das Leben eines Menschen eintritt, ist nichts mehr, wie es vorher war. Jede Gotteserfahrung, ob sie mit Leiden und Kreuz oder mit Freude und Jubel geschieht, hat Auswirkungen auf die künftige Lebensgestaltung.
Darum hat Petrus – wie das Evangelium berichtet – die Gunst der Stunde erkannt und es für seine beiden Freunde mit ausgesprochen: „Es ist gut, dass wir hier sind.“ In einem Moment wurden sie zu Zuschauern dessen, was Ostern sein wird; das ganz andere und neue Leben in Gottes bleibender Nähe.
Der Blick zurück in die Geschichte zeigt, dass es – gerade in unserem Land – immer wieder Menschen waren, die in Zeiten des Umbruchs, des Neuanfangs getragen vom Vertrauen auf Gott Verantwortung übernommen und angepackt haben: Z.B. ist im 19. Jahrhundert in den gewaltigen wirtschaftlichen Veränderungen mit all ihren sozialen Folgen in der Kirche eine Bewegung mit vielen sozialen Initiativen und caritativen Ordensgemeinschaften entstanden. Dann waren es viele überzeugte Christen, die beim Aufbau der Gesellschaft und des Landes nach dem verheerenden Zweiten Weltkrieg angepackt und Verantwortung übernommen haben. Die Politiker, die die Grundlagen für die Europäische Union gelegt haben und damit die eine friedliche Entwicklung der Länder innerhalb der Union ist, waren überzeugte Christen und ihr Bemühen um Versöhnung und Frieden auch aus ihrem Glauben heraus motiviert. Die Anforderungen für ein soziales, gerechtes, menschenwürdiges Miteinander haben unsere Vorfahren also aus dem Geist der Lebensbotschaft Gottes gewonnen.
Wohin führt dieser Krieg? Wohin führt ein Leben, das sich nur an materiellen Kategorien ausrichtet? Wer bietet heute Orientierung? Wer stärkt ihre Zuversicht? Wer ermutigt sie, nicht einfach im Strom der gängigen Meinungen und Haltungen mit zu schwimmen?
Von Dietrich Bonhoeffer ist ein Wort überliefert, das er im Augenblick größter Bedrängnis formuliert hat: „Wer Ostern kennt, kann nicht verzweifeln!“ Darum ging es auf dem Berg Tabor! Diese Botschaft heute vor den Menschen in all ihren Sorgen, Unsicherheiten und Ängsten zu bezeugen, darum sollte es uns als Kirche jetzt vordringlich gehen!
Domkapitular Clemens Bieber
www.caritas-wuerzburg.de
Fürbitte
Der Krieg in der Ukraine geht mir unsagbar nahe.
Die schrecklichen Bilder von den verzweifelten und verletzten Menschen,
die uns aus den Kriegsgebieten erreichen,
stimmen mich traurig und machen mich wütend.
Warum lässt Gott das zu?
Und doch möchte ich beten für die, die keine Worte finden.
Herr, du mein Gott,
du Gott des Friedens,
wir haben Krieg.
Es ist Krieg in der Ukraine,
Krieg auf der Welt.
Ich leide mit.
Ich weine mit den Menschen
im Kriegsgebiet.
Hilf Herr, du mein Gott,
ich bitte dich, hilf.
Hilf den Menschen in der Ukraine,
hilf denen, die flüchten müssen,
bleib bei denen, die verzweifelt
und in Angst zurückbleiben,
stärke die, die jetzt sinnlos
um ihr Leben kämpfen müssen
und sich fürchten vor dem Tod.
Tröste die Mütter,
tröste die Väter,
tröste die Kinder.
Wische ihre Tränen aus den Augen.
Tröste auch uns mit deiner Liebe.
Ich bin so hilflos.
Ich habe Angst, um die Menschen im Kriegsgebiet,
ich habe Angst, vor einem noch größeren Krieg,
ich habe Angst, um die, die ich liebe.
Herr, wie kann ich helfen?
Wie kann ich trösten?
Herr, ich bitte dich um Frieden,
ich bete für den Frieden in der Ukraine,
um Frieden in den Kriegsgebieten der Welt.
Lass mich nicht verzweifeln.
Lass mich an die Hoffnung glauben, dass alles gut wird.
Bleibe bei uns, bleibe bei mir, du mein Gott, des Friedens.
(Madeleine Spendier)
Text zur Besinnung
Menschen
die aus der Hoffnung leben
sehen weiter
Menschen
die aus der Liebe leben
sehen tiefer
Menschen
die aus dem Glauben leben
sehen alles
in einem anderen Licht
(Lothar Zenetti)