Die Predigt im Wortlaut:
An die Weihe des ersten durch den hl. Burkhard erbauten Domes erinnern wir uns in der Diözese Würzburg alljährlich am 24. Oktober. An diesem für uns bedeutsamen Gedenktag gestern hat Bischof Franz beim Diözesanforum einen wichtigen Punkt im Prozess „Gemeinsam Kirche sein. Pastoral der Zukunft“ gesetzt. Dabei mahnte Bischof Franz – wie so oft – die möglichst enge Vernetzung von Pastoral und Caritas an, um deutlich zu machen, wie unsere Diözese ganz konkret „Kirche für die Menschen“ ist bzw. sein will.
Ob es nun die Überlegungen für die Diözese insgesamt oder die Bemühungen vor Ort in den Pfarreien betrifft, bei allen Ideen, die entwickelt werden, um eine glaubwürdige Kirche zu gestalten, kommt es darauf an, ob diese über den binnenkirchlichen Raum hinauswirken und von den Menschen in unserer Gesellschaft als Hilfe und Unterstützung zum Leben wahrgenommen werden. Deshalb ist es entscheidend wichtig, auch zu hören, wie die Menschen um uns herum über Kirche, über uns Christen, über unsere Botschaft denken und nicht nur innerhalb der Kirche bzw. im Kreis der Engagierten Erhebungen zu machen.
In der vergangenen Woche wurde eine Umfrage veröffentlicht, wonach die Mehrheit der Deutschen äußert, es sei ihnen egal, ob es zu Weihnachten Gottesdienste gibt oder nicht. Ebenso tun immer häufiger Menschen öffentlich kund, dass sie aus der Kirche austreten, oder dass sie kein Vertrauen mehr in die Kirche haben, wie das z.B. gestern wieder in drei Leserbriefen in unserer lokalen Zeitung zu geäußert wurde.
Deshalb muss es auch zu denken geben, dass beim Livestream der Veranstaltung gestern im Burkardushaus nicht einmal 200 Zuschauer waren, d.h., nur ein kleiner Teil der beruflichen, und vermutlich nur ganz wenige ehrenamtliche Mitarbeiter/innen der Kirche interessieren sich dafür, und im Rest der Gesellschaft wohl nur Vereinzelte ... Auch wenn Zahl der Klicks bei etwas über 2.000 liegt.
Daher sind für mich die biblischen Texte dieses Sonntags, den wir auch als Missionssonntag begehen, wie ein Wink des Himmels. Jesus bringt es auf den Punkt, worum es im Leben geht: um die Gottesliebe, die Selbstliebe und die Nächstenliebe. Er bringt es auf den Punkt und zwar nicht nur mit Worten, die wir gerade im Evangelium gehört haben, sondern auch mit seinem Tun.
Gott hat seine Liebe zu allen Menschen in Jesus Christus auf den Punkt gebracht. In der Art, wie Jesus anderen Menschen ganz konkret begegnete, wurde deutlich, dass Gott alle Menschen liebt. Diese Liebe erwartet unsere Antwort. Dadurch wird unsere Liebe zu Gott konkret auf den Punkt gebracht, wo auch wir anderen Menschen so begegnen, wie Jesus ihnen begegnet ist.
Was das Wirken Jesu auszeichnete, war sein Gespür für die Nöte der Menschen. Jesus ließ sich im wahrsten Sinne des Wortes berühren von der Not der Menschen. Und Jesus antwortete mit heilender Zuwendung. Ebenso sind wir heute Gott nahe, wo wir mit offenen Augen und offenem Herzen den Bedürftigen und Ausgeschlossenen begegnen.
Einen anderen Menschen kann ich aber tatsächlich nur lieben und absichtslos annehmen, wenn ich mich selber annehmen kann, wenn ich mir selber gut bin, wenn ich um meine Stärken und Fähigkeiten weiß und dafür dankbar bin, und wenn ich ebenso um meine Grenzen und Schwächen weiß, und mir deshalb bewusst bin, dass ich zu meinem Glück auch andere brauche, die mir barmherzig und freundlich begegnen und mir so immer neu zum Glück des Lebens verhelfen.
Dort aber, wo ich mich nicht annehmen kann, wie ich bin, wo ich anders, vielleicht besser oder mehr sein und gelten möchte, kann ich andere auch nicht so annehmen, wie sie sind, kann ich nicht mit ihnen im Frieden leben.
In diesem Sinne sagte Papst Franziskus in einer Messfeier für das Pflegepersonal in den vielen Einrichtungen, dass der Friede, den Jesus schenke, etwas anderes sei, als das, was man gemeinhin unter Frieden versteht. Es sei ein Frieden, „der einen in Bewegung setzt und nicht isoliert“. Der Friede des Herrn bringe einen dazu, „zu den anderen zu gehen, Gemeinschaft zu schaffen, Kommunikation aufzubauen“.
Wenn ich zufrieden bin mit meinem Leben, dann kann ich auch gut zu anderen sein. Zum Glück des Lebens gehört also dieses gleichseitige Dreieck, wie es Jesus auf den Punkt bringt mit seinem Wort: „Du sollst den Herrn, deinen Gott. lieben mit ganzem Herzen, mit ganzer Seele und mit all deinen Gedanken. Das ist das wichtigste und erste Gebot. Ebenso wichtig ist das zweite: Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst.“
In der Beziehung: Ich selbst, Gott und der Nächste kann Leben gelingen. Das ist wohl an den frühen Christen aufgefallen. Ihr Glaube hatte werbende Kraft, weil er als Liebe sichtbar wurde.
Darum darf der Blick jetzt nicht bei der neuen Diözesankarte hängen bleiben. Wesentlich bedeutsamer ist das Wort unseres Bischofs, das er gestern an den Anfang des Diözesanforums stellte: „Die Kirche darf nicht um sich selbst kreisen, sondern sie ist nach außen gesandt!“ Es gelte den Blick über die Kirchengemeinden hinaus zu weiten. Wichtig sei, zu hören, welche Fragen und Konflikte die Menschen beschäftigten. Auch gelte, es das Engagement für die am Rande stehenden Menschen zu stärken. Darum ist unserem Bischof die möglichst enge Vernetzung von Pastoral und Caritas so wichtig.
In der Phase des Lockdown wurde deutlich, dass Kirche vor allem durch ihre sozialen und caritativen Dienste nahe bei den Menschen war. Und deshalb wird es auch jetzt in der zweiten Coronawelle wichtig sein, dass wir uns nicht wegducken, sondern bei den Menschen sind und Communio, also Gemeinschaft im Glauben und im Leben, deutlich machen. Am Freitagnachmittag war ich bei einer Sitzung in der Katholischen Akademie in München. Dabei sagte Jesuitenpater Professor Dr. Eckhard Frick, Arzt, Psychiater, Psychoanalytiker und Professor für Anthropologische Psychologie: „Würde die Kirche gerade jetzt nur einen Teil der Energie, die sie für die Beachtung der Distanz aufbringt, in das Bemühen um Nähe investieren, wäre viel menschliche Not gelindert.“
Deshalb wird die Glaubwürdigkeit der Kirche in unserer Zeit auch daran zu messen sein, wie viel Bedeutung sie dem sozialen und caritativen Dienst beimisst oder ob der weitgehende Erhalt der gängigen Strukturen einer verwalteten Kirche größeres Gewicht hat.
Die gewachsene Verortung der caritativen Dienste in unserer Diözese in den Lebensräumen der Menschen bietet eine große Möglichkeit, um deutlich zu machen, dass uns die Nähe und der Dienst am Nächsten wichtig sind. Deshalb ist es stark, dass sich wie hier in Theilheim in rund fünfhundert Pfarreien in unserer Diözese lokale Caritasvereine engagieren. Das konkrete Zusammenwirken von qualifizierten, professionellen mit den ehrenamtlichen Diensten bietet eine große Chance. Denken wir nur an den unermüdlichen Einsatz vor Ort für den Kindergarten, an die Unterstützung des Angebots der ambulanten Krankenpflege durch den St. Johanniszweigverein. Das umfangreiche Netz der Hilfsmöglichkeiten der Kirche und ihrer Caritas beginnt mit der Schwangerenberatung, den verschiedenen Angeboten in der Kinder-, Jugend-, Behinderten- und Altenhilfe, den weiteren Beratungsdiensten für unterschiedlichste Lebenssituationen bis hin zur Telefonseelsorge, der Armen- und Obdachlosenfürsorge, der Familienhilfe, der Migranten- und Integrationsarbeit und reicht bis zur Hospizbegleitung.
Daran werden wir gemessen, ob unsere Glaubensbotschaft und unsere Gottesdienste dem Auftrag Jesu entsprechen.
Bei der Priesterweihe vor zwei Wochen zitierte unser Bischof in seiner Predigt den Apostel Paulus, der im zweiten Korintherbrief schreibt: „Wer kärglich sät, wird auch kärglich ernten; wer reichlich sät, wird reichlich ernten.“ Weiter heißt es bei Paulus: „In allem werdet ihr reich genug sein, um selbstlos schenken zu können; und wenn wir diese Gabe überbringen, wird sie Dank an Gott hervorrufen.“ In diesem Sinne sagte ich zuvor: Der Glaube der frühen Christen hatte werbende Kraft, weil er als Liebe sichtbar wurde.
Vor diesem Hintergrund darf am Missionssonntag in Erinnerung gerufen werden, dass es darauf ankommt, ob wir als Christen überzeugend handeln oder wie Papst Franziskus es in seinem Schreiben „Evangelium Gaudium“ ausdrückt: „Ich bin eine Mission ...“
Wie Bischof Burkard damals, so bauen wir heute weiter an der Kirche von Würzburg. Ob die Menschen um uns und die Generationen nach uns daran noch erkennen können, dass es sich dabei um die Lebensbotschaft Jesu mit dem Gebot zur Gottes-, Selbst- und Nächstenliebe handelt, hängt davon ab, ob wir uns damit begnügen, den binnenkirchlichen Raum möglichst angenehm zu gestalten, oder ob wir als „Kirche für die Menschen“ wahrgenommen werden.
Domkapitular Clemens Bieber
www.caritas-wuerzburg.de
Text zur Besinnung
Dass so viele Leute
in unserer Zeit
in unseren Breiten
der Kirche den Rücken kehren
ist sicherlich
kein
Wunder.
Aber ist es nicht
ein Wunder,
dass so viele
trotz allem
fest in der Gemeinschaft der Glaubenden
stehen?
Dass so viele jammern
nd keine Perspektive mehr sehen,
ist leider
kein
Wunder.
Aber ist es nicht
ein Wunder,
dass es Menschen gibt,
die den Raum ihres Zeltes weit machen
und wildfremden Menschen
Hoffnung schenken?
(Nach Lothar Zenetti)