Den Forderungen nach einer stärkeren Trennung von Staat und Kirche hat der Bundesverfassungsrichter a. D. Professor Dr. Paul Kirchhof beim Diözesanempfang des Bistums Würzburg am Mittwochabend, 11. Januar, in der Universität am Hubland in Würzburg eine deutliche Absage erteilt. Der weltanschaulich neutrale Staat brauche Religion und Kirche, da er selbst die Sinnfrage nicht beantworten dürfe. „Der Staat regelt nur die äußere Ordnung“, unterstrich der Direktor des Instituts für Finanz- und Steuerrecht an der Universität Heidelberg. Gleichzeitig appellierte Kirchhof an Kirche und Recht, gegenüber den modernen Naturwissenschaften den Menschen im Mittelpunkt des Geschehens zu halten. Kirchhofs Rede zum Thema „Die freiheitsbewusste Erneuerung des Verhältnisses von Staat und Kirche“ nahmen die über 800 Gäste aus Kirche, Staat und Politik mit großem Applaus auf. Staat und Kirche seien aufeinander bezogen, betonte auch Bischof Dr. Friedhelm Hofmann in seinem Dankeswort.
Der Festredner aus Heidelberg fesselte mit seinem brillanten Vortrag die Vertreter aus Staat, Politik und Kirche über 50 Minuten lang. „Freiheit ist ein Angebot, das der Mensch annehmen oder ausschlagen kann. Wir erwarten aber, dass der Mensch die innere Kraft hat, das Freiheitsangebot anzunehmen“, eröffnete er seinen Vortrag und nannte sogleich ein „aktuelles dramatisches Beispiel“: Der Mensch habe in Deutschland die Freiheit zu Ehe und Familie. Selbstverständlich werde kein freier Staat einen Menschen zwingen, Kinder zu haben. Doch setze er darauf, dass der Mensch aus sich heraus das Glück der Elternschaft verstehe und annehme. Derzeit sehe ein Großteil der jungen Menschen in Deutschland und Mitteleuropa das aber nicht so. Deutschland liege beim Kapitalreichtum ganz vorne, belege aber weltweit Platz 194 im Kinderreichtum. „Wir sind einer der ärmsten Staaten der Erde! Nur unsere Kinder in unserer kulturellen Prägung können aber die derzeitige Hochkultur fortsetzen.“ Und da setze man dann auf die Kirche mit ihrem vorbehaltlosen Einsatz für Ehe und Familie, ihrer reichen Erfahrung von 2000 Jahren und ihrer Vorstellung von einem besseren Leben.
Und Kirchhof fragte weiter: „Warum spannt der Staat einen Rettungsschirm auf, wenn am Finanzmarkt etwas schief läuft, wenn die Anleger ihre riskanten Geschäfte bei Spiel und Wette zu verlieren drohen? Aber nicht, wenn ein Stück weit seine kulturellen Grundlagen gefährdet sind?“ Angesichts der Dominanz des Marktes und der Gewinnmaximierung betonte der frühere Verfassungsrichter, dass nach dem Recht über allem eine Kultur des Maßes stehe. Wenn die Kirchen mit ihrer Kultur des Maßes dem Finanzmarkt sagten: „Denke darüber nach, ob es richtig ist, dass du dein Geld verdienst, indem du auf den Niedergang eines Unternehmens oder Staates wettest, und du gewinnst, wenn dieses Unglück eintritt“ – dann störten sie den Finanzmarkt. „Aber kirchliche und rechtliche Lehre müssen Störenfriede sein und gegen den Strom stehen.“ Und kritisch fügte er später die Frage an: „Welchen Bedarf eines anderen Menschen hat der befriedigt, der sein Geld durch Spiel und Wette erzielt hat?“
Notwendig ist nach Kirchhofs Worten der Wille zum Besseren – „und das möglichst christlich geprägt“. Dieser Wille lasse auch die aktuelle Finanzmarktkrise meistern: „Lassen Sie uns zusammenrücken und definieren, was das Bessere ist und dieses kraftvoll wollen. Dann kann es gar nicht schief gehen.“ Heute sei Religion wieder hochaktuell. Junge Menschen fragten nach dem Woher und Wohin des Menschen. Diese Fragen könnten nur religiös erklärt werden. Hier liege die eigentliche Wurzel für die Gemeinschaft von Staat und Kirche. Wenn dieses Zusammenwirken gelinge, bringe es Entscheidendes hervor: eben den Willen zum Besseren. „Wenn wir diesen Willen zum Besseren haben und darauf unsere deutsche Geschichte beziehen, dann haben wir keinen Grund, mutlos zu sein.“ Eine aktuelle Aufgabe von Staat und Gesellschaft sah Kirchhof schließlich darin, den Menschen im Mittelpunkt des Geschehens zu halten. Die modernen Naturwissenschaften rückten im Gegensatz zu Recht und Religion den Menschen aus dem Mittelpunkt der Welt. Die Kirche müsse hier das christliche Menschenbild verteidigen und dürfe zusammen mit dem Recht von ihrer Position nicht abweichen. Und auch der gemeinsame Einsatz von Staat und Kirche zur Ausbildung junger Menschen in Kindergarten und Schule fand große Beachtung bei Kirchhof, gepaart mit Kritik an der Ängstlichkeit der Kirche beim Religionsunterricht: „Bei der großen Frage des Religionsunterrichts sind wir erstaunlich ängstlich!“ Dabei sei dieser selbstverständlicher Teil der Einführung junger Menschen „in unserer Kultur“.
Auf eine gelungene Premiere des Diözesanempfangs durfte Bischof Hofmann in seiner Begrüßungs- und Dankesrede blicken: „Dass heute so viele zum erstmals stattfindenden Diözesanempfang gekommen sind, ist ein Ausdruck für die Bereitschaft zu einem fruchtbaren Zusammenwirken von Kirche und Staat zum Wohle der Menschen.“ Der Bischof machte in Anlehnung an die Aussagen Kirchhofs deutlich, dass Staat und Kirche voneinander zu unterscheidende Größen seien, die aber aufeinander bezogen seien. „Wie der Staat prägt auch die Kirche den inneren Zusammenhalt der Gesellschaft. Bei aller Spannung zwischen christlicher Identität und pluralistischer Lebenswelt ist die Kirche auf ihre Weise gemeinschaftsstiftend. Aus ihrer Mitte entspringen soziale Kontakte und Kommunikation.“ Die Kirche forderte der Bischof auf, die Frohe Botschaft, von der die Menschen lebten, nicht in einer frommen Nische, sondern in aller Offenheit zu verkünden. Dann sei das auch für jedes Gemeinwesen von Interesse.
Zu Beginn des Abends hieß Bischof Hofmann die Vertreter der Kommunal-, der Landes-, der Bundes- und Europapolitik und die Mitarbeiter in der Kirche auf Pfarrei-, Dekanats- und Diözesanebene willkommen. Besonders begrüßte er die Präsidentin des Bayerischen Landtags, Barbara Stamm, sowie Regierungspräsident Dr. Paul Beinhofer. Zu den Gästen zählten Bundestags- und Landtagsabgeordnete, Landräte, Bezirks- und Kreisräte, Bürgermeister, Mitglieder des Diözesanrats und der Dekanatsräte, Vorsitzende der Pfarrgemeinderäte, Kirchenpfleger, Vertreter der Caritas sowie das Präsidium der Universität Würzburg mit Universitätspräsident Professor Dr. Alfred Forchel an der Spitze und Mitglieder der Theologischen und der Juristischen Fakultät. Gekommen waren außerdem der Präsident der Katholischen Universität Eichstätt, Professor Dr. Richard Schenk, die evangelische Dekanin Dr. Edda Weise, der Präsident der Landesverbands der Israelitischen Kultusgemeinden in Bayern, Dr. Josef Schuster, Landgerichtspräsidentin Anna Maria Stadler und der Leiter des Katholischen Büros in Bayern, Prälat Dr. Lorenz Wolf. Vertreter der Justiz, der Polizei sowie der unterfränkischen Industrie- und Handelskammern standen weiter auf der Grußliste. Organisiert wurde der Diözesanempfang von der Katholischen Akademie Domschule und dem Caritasverband für die Diözese Würzburg, deren Mitarbeitern Bischof Hofmann besonders dankte.
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