Die Predigt im Wortlaut:
Der russische Angriffskrieg, der brutale und unverhältnismäßige Einsatz von Gewalt gegen friedliche Demonstranten und Kinder im Iran sowie die globale Klimakrise, das waren drei der Themen des Treffens der Außenminister der G7 Staaten. Zur Beratung darüber lud die deutsche Außenministerin an einen symbolträchtigen Ort ein, nämlich nach Münster, und zwar in den historischen Saal des Rathauses. Genau dort hatten die europäischen Mächte vor 374 Jahren nach fünfjährigen Verhandlungen am 24. Oktober 1648 den Westfälischen Frieden besiegelt und damit den Dreißigjährigen Krieg in Europa beendet. – Der historische Ratssaal in Münster eigentlich ein idealer Ort zur Beratung und der Suche nach einer friedlichen Lösung angesichts der angespannten weltpolitischen Situation. Und an der Stirnseite mitten an der Wand das historische Friedenskreuz aus dem Jahr 1540.
Ausgerechnet dieses Symbol des Friedens wurde auf Veranlassung des Außenministeriums entfernt. Damit wurde deutlich, dass die Verantwortlichen offensichtlich nicht verstanden haben, wofür dieser Saal steht. Der Vorgang ist geschichts-, kultur- und traditionsvergessen und ein Affront gegen die Botschaft, auf die sich Jesus am Kreuz festnageln ließ.
Die Entfernung des Kreuzes wurde als rein organisatorische Maßnahme abgetan. Die Stadt Münster erklärt, dass das Außenministerium betont habe, es würden Menschen mit unterschiedlichen religiösen Hintergründen am Treffen teilnehmen. Was immer es für organisatorische oder protokollarische Gründe waren, warum das Kreuz von der Wand genommen wurde, es hat jedenfalls nichts mit Toleranz zu tun.
Der Neutestamentler Thomas Söding sagte, dass sich durch die Kreuz-Entfernung Defizite in der religions- und kulturpolitischen Kompetenz der Politik offenbarten. Das Entfernen habe dem Raum seine „Tiefendimension in die Friedenspolitik hinein“ genommen. Wörtlich betonte Söding: „Wenn man das Kreuz aus dem Friedenssaal herausnimmt, ist dieser Ort, der ja offenbar hoch symbolisch gewählt wurde, entkernt. Er ist nur noch Kulisse.“ Das Kreuz symbolisiere sowohl eine „toxische Verbindung von Religion und Gewalt“ als auch die Versöhnung im Namen Gottes.
Falls es Ziel der derzeitigen Politik sei, christliche oder andere religiöse Symbole im öffentlichen Raum „unsichtbar“ zu machen, ist das „eine fatale Entwicklung“. Durch die Negierung von Religion werden sicher keine politischen Freiheitsräume gewonnen.
Täglich stehen uns in den Nachrichtensendungen eindrucksvolle Bilder vor Augen, wo hochkarätige Politiker über die aktuelle weltpolitische Situation beraten und einzelne Entschlüsse fassen. Ein riesiges goldenes Tor öffnet sich im Kreml, durch das Putin schreitet, um dann an einem langen Tisch mit irgendeinem Staatsgast zu verhandeln. Inmitten von dreitausend Delegierten des Volkskongresses sitzt der Partei- und Staatschef Xi Jinping, um die chinesischen Machtansprüche zu festigen. Der amerikanische Präsident steht an einer Flugzeugtüre und markiert mit seinem erhobenen Daumen den Führungsanspruch in der Welt. Die Beispiele genügen. Das Agieren eines jeden Einzelnen macht deutlich, dass es jeweils nur um Auswirkungen in verschiedenen Bereichen der Politik geht, aber nie wirklich um die Wurzel der Probleme.
Der Evangelist Lukas überliefert das Wort Jesu, mit dem er vor falscher Sicherheit warnt, wenn gewaltige Probleme über die Menschen kommen werden, sich an vielen Orten sich Seuchen, Hungersnöte, Erdbeben ereignen und letztlich kein Stein auf dem anderen bleiben wird, wenn sich Völker gegeneinander erheben werden. Genau dann kommt es darauf an, sich nicht in die Irre führen lassen.
Ob wir nun die weltpolitische Bühne vor Augen haben oder die kontroversen Diskussionen in Europa im Blick auf den Umgang mit der Energiekrise oder die militärische Unterstützung für die Ukraine, stets geht es beim Streit um den Umgang mit den Auswirkungen einer falschen Entwicklung, nie aber wirklich um die eigentlichen, tieferen Ursachen der Probleme.
Das gilt auch für die Spannungen und Konflikte in unserem Land, in unserer Gesellschaft. Denken wir nur aktuell an die immer häufigeren Übergriffe der sogenannten „letzten Generation“. Sie lassen sich von Autobahnbrücken ab, um den Straßenverkehr zu stoppen oder kleben sich auf Straßen. Ebenso fragwürdig sind die Aktionen, wenn Leute in Museen und Ausstellungen einmalige, wertvolle Kunstwerke besprühen, bewerfen oder gleich zerstören. Erschreckend sind für mich auch die Aufrufe zu zivilem Ungehorsam, sich also bewusst ungesetzmäßig zu verhalten. Dafür gibt es sogar Unterstützung, indem für die Täter Straffreiheit gefordert wird.
Einzelne mahnen nicht ein Nachdenken über bestimmte Verhaltensweisen an, sie fordern auch nicht ein Umdenken, sondern sie versuchen die Menschen zu zwingen, genau das zu tun, was sie für absolut richtig erachten.
Vielleicht erinnert sich der eine oder andere von uns an die Diskussionen vor einigen Jahrzehnten: „Ich lasse mir nicht vorschreiben, ob ich am Freitag Fleisch esse. Ich mache, was ich will!“ Oder denken wir an die alljährlichen Debatten um die sogenannten „stillen Tage“, wenn der „Bund für Geistesfreiheit“ am Karfreitag zur „Heidenspaß-Party“ aufruft.
All diese exemplarisch genannten Beispiele von der Weltpolitik bis in den Raum des unmittelbaren Zusammenlebens deuten auf das Grundproblem hin: es fehlt das verbindende geistige und geistliche Fundament, auf dem eine lebenswerte und friedvolle Gesellschaft aufbaut und in der nach menschenwürdigen Wegen für das Miteinander gesucht wird. Im Gegensatz dazu steht, wie ich es in diesen Tagen wieder mitbekommen habe, wenn in einer Kommune zwar der Bedarf an Kindergartenplätzen anerkannt wird, aber die Kita nicht in der unmittelbaren Nachbarschaft errichtet werden soll. In einer anderen Gemeinde will der Bürgermeister ein großes Grundstück für den Bau einer Seniorentagesstätte zur Verfügung stellen, doch ein unmittelbarer Nachbar hält die soziale Einrichtung an dieser Stelle für absolut fehl am Platz.
Das Grundproblem unserer Epoche ist: Es fehlt das geistige Fundament und die Orientierung für unser Leben und das Zusammenleben. Wenn es so etwas wie einen gemeinsamen Nenner gibt, dann ist es die Ökonomisierung aller Lebensbereiche. Die Frage, wie kann ich dir helfen, wird überlagert von der Überlegung, was kann ich an dir verdienen? Alles notwendige Nachdenken über eine globale soziale Gerechtigkeit bis hin zu einem Verhalten, wodurch das natürliche Klima geschont wird, bleibt letztlich im Hintergrund, weil der eigene Lebensstandard unantastbar ist.
Ebenso wichtig wäre es über die Egoismen zu sprechen, die sich in den zurückliegenden Jahrzehnten im Denken vieler Menschen und ganzer Völker breitgemacht haben. Verbreitete Haltungen wie „Geiz ist geil“ müssen dabei ebenso reflektiert werden, ebenso die Rolle der Massenmedien und ihre Beiträge zu einer an vielen Punkten unsolidarischen Lebenspraxis.
Vor diesem Hintergrund wäre auch das Phänomen der Fremdenfeindlichkeit zu analysieren in einem Land und zu einer Zeit, in der es uns wirtschaftlich so gut geht wie selten zuvor.
Die Geschichte der Welt und der Menschheit lehrt uns, dass es Missstände geben kann, die alle Lebensbereiche durchdringen. Dadurch kann das gesamte System ins Wanken geraten und an allen Ecken und Enden erkrankten, bis es letztlich die politischen, sozialen und religiösen Verhältnisse trifft.
Doch das ist keine Erscheinung unserer Zeit. Im 5. Jahrhundert vor Christus, als der Prophet Maleachi auftrat, aus dessen Buch die kurze Lesung stammt, waren die religiösen, und von daher auch die politischen, gesellschaftlichen, ethischen und sozialen Zustände sehr marode. Wenn man das kleine Büchlein des Maleachi ganz liest, dann drängt sich der Eindruck auf, dass der Prophet gegen einen vielfältigen Niedergang in mehreren Bereichen kämpfen musste.
- Da wird der Gottesdienst nicht ernst genommen, als Last empfunden. Der religiöse Ritus verkommt zu einem bloß äußerlichen Tun, und das religiöse Leben verflacht.
- Maleachi sieht die Missstände im religiösen Bereich in engem Zusammenhang mit dem vielfältigen Fehlverhalten in der Gesellschaft und mit den ethischen Defiziten.
Für den Prophet Maleachi gehören Gottesdienst und gerechtes Handeln zusammen. - Ein weiteres Kennzeichen des gesellschaftlichen Niedergangs ist eine schleichende Miesmacherei, die Maleachi beobachtet: Es herrscht im Volk die Meinung vor, dass es sich gar nicht lohnt, gerecht und gut zu handeln, denn das Gut-Sein zahlt sich nicht aus, weil denen, die schlecht handeln, die habgierig sind, die die Armen ausbeuten, den Lohn für die Tagelöhner zurückhalten, die die Fremden im Land um ihr gutes Recht bringen, kurz: allen, die in verschiedenster Weise gegen das Gebot Gottes handeln, geht es auch noch gut!
Und so entsteht der Eindruck: Die Überheblichen und die Bösen, das sind die Gewinner, und es bringt überhaupt nichts, sich an Gottes Gebot zu halten.
Wenn ein derartiger Werteverfall eingesetzt hat, hilft nur noch ein radikaler Neubeginn. Angesichts der Missstände kann sich der Prophet kein „es wird mit der Zeit schon wieder gut“ vorstellen. Er sieht es als seinen Auftrag an, in klarer Sprache den Überheblichen und Bösen, die Gottes Gebot missachten, die Konsequenzen ihres Verhaltens aufzuzeigen.
Doch im Unterschied zu manchen Ideologen, die von „Revolution“ sprechen und mit Gewalt und „eisernem Besen“ den Umsturz herbeiführen wollen, baut Maleachi einzig und allein auf Gott. Nicht menschliche Rache, nicht revolutionäre Waffengewalt, sondern das Beachten von Gottes Gebot wird die Veränderung ermöglichen.
Deshalb spricht zunächst Maleachi diejenigen an, die noch auf Gottes Seite stehen, aber unsicher geworden sind, ob es sich noch lohnt, nach Gottes Weisung zu leben. Ihnen ruft Maleachi zu, dass der Unterschied deutlich wird zwischen dem, der Gott dient, und dem, der Gottes Gebote missachtet.
Der tschechische Soziologe Tomas Halik, der im Untergrund zum Priester geweiht wurde, nimmt die Christen in Europa in Pflicht. Sie behalten nach seiner Ansicht auch im säkularen Zeitalter einen wichtigen gesellschaftlichen Gestaltungsauftrag. Sie sollten zu einer „schöpferischen Minderheit“ werden. Für die Kirche komme es darauf an, die therapeutische Stärke des Glaubens zu betonen und zur Kultivierung eines sozialen Klimas beizutragen, in dem die Würde des Menschen zentral sei. „Hier kann sie der Demokratie einen großen Dienst erweisen“, fügt Halik hinzu.
Halik ruft die Kirchen auf, neue Wege zu beschreiten. „Das Christentum von gestern kann schwerlich eine Hoffnung für das Europa von heute oder morgen sein“, betont er. Das heutige Christentum wirke zu wenig überzeugend und eher als eine „Religion im Abklingen als eine Stärke für morgen“.
Deshalb muss jede und jeder von uns sich fragen, ob sie/er zu denen gehört, die versuchen nach der Weisung Gottes zu leben. Die biblische Botschaft dieses Sonntags und auch der Grund, warum wir uns heute hier in Münsterschwarzach zum Gottesdienst versammelt haben, ermutigen dazu.
In der Woche, bevor Barbara starb, bat sie mich, ihr beim nächsten Besuch ein Kreuz mitzubringen. Das Festhaltekreuz hier aus Münsterschwarzach war für sie Symbol, dass es EINEN gibt, der zu ihr hält und an den sie sich halten kann. Wie oft durften einige von uns es in den letzten Jahren erleben, dass ihr der Blick auf das Kreuz und das Entzünden einer Kerze wichtig waren, wenn wir mit ihr Kirchen besuchten.
Unvergesslich hat sich für mich eingeprägt, wenn sie sich in Diskussionen über die Möglichkeiten der Hilfe zu Wort meldete und mahnte: „Hier sind wir als Kirche, sind wir als Christen gefordert!“ Und wenn finanzielle Bedenken ins Feld geführt wurden, dann wurde Barbara noch deutlicher: „Es geht auch um unsere Glaubwürdigkeit!“
Dass so viele Menschen aus allen sozialen Schichten von Barbaras Sterben betroffen waren, hat genau darin seinen Grund: Die Menschen spürten, dass es ihr nicht um sich selbst, um ökonomischen Vorteil, nicht um politische Taktik geht, sondern um das von Gott gegebene Leben. Deswegen wurde sie nicht müde, die Lebensbotschaft des Gekreuzigten hochzuhalten und nicht – wie in Münster beim G 7 - Außenministertreffen – das Kreuz wegzuräumen.
Gerade in Zeiten der Veränderung, der Versicherung und der Angst kommt es auf die Überzeugung an, dass Gott uns menschliche, gute und verheißungsvolle Wege in die Zukunft aufzeigt. Barbara war uns Freundin, aber auch Vorbild. Jetzt kommt es darauf an, dass wir aufwachen, aufstehen und bewusst als Christen leben und wirken!
Domkapitular Clemens Bieber
www.caritas-wuerzburg.de
Text zur Besinnung
»Er wird wiederkommen in Herrlichkeit« –
Das heißt nicht, dass wir die Hände in den Schoß legen,
aber es dämpft unser menschliches Planen und Tun,
das oft plant und tut, als ob es Gott nicht gäbe
»Er wird wiederkommen in Herrlichkeit« –
Das meint nicht, dass wir keine Regeln mehr brauchen,
aber es lässt Raum für die größere Ordnung Gottes,
für seine Barmherzigkeit und Gerechtigkeit
»Er wird wiederkommen in Herrlichkeit« –
Das fordert nicht, dass wir ständig nach Unheilszeichen suchen,
sondern wir sind gefordert, uns für jene einzusetzen,
die hier und heute im Unheil leben
»Er wird wiederkommen in Herrlichkeit« –
Das bedeutet keine blinde und billige Weltflucht,
sondern dass wir mit Blick auf die kommende Welt Gottes
in unserer Hingabe auf Welt und Mensch hin wachsen
»Er wird wiederkommen in Herrlichkeit« –
Daraus folgt, dass wir zwar in,
aber nicht von dieser Welt sind
Wolfgang Steffel