Die Predigt im Wortlaut:
„Der Pfarrer versorgt die Seele, der Wirt den Leib“, diese Aussage fiel kürzlich in einer Gesprächsrunde über das „Wirtshaussterben“, in dem dann auch der Vergleich zu den Kirchen gezogen wurde. Mit Schrecken wird in interessierten Kreisen beobachtet, wie eine über Jahrhunderte gewachsene Kultur untergeht: Kirchen und Wirtshäuser – klassische Stätten der Kommunikation – werden geschlossen.
Hinter dieser Feststellung verbirgt sich für mich die wesentliche Erkenntnis: Die Menschen brauchen Treffpunkte, brauchen Zeiten, in denen sie zusammenkommen, sich begegnen, sich austauschen, in denen sie Ermutigung und Bestärkung finden, in denen sie sich von Herzen des Lebens freuen und miteinander feiern und so auch das Leben mit all seinen Höhen und Tiefen teilen können.
Diese Erfahrung hat mich von Kindesbeinen an geprägt. Bei uns zuhause im Ort ging es am Sonntagmorgen zunächst zur Kirche, zum Gottesdienst, und weil mein Vater die Orgel spielte, durfte ich schon als ganz kleiner Junge mit auf die Empore und anschließend ins nebenan gelegene Gasthaus.
Mit diesem Brauch habe ich auch die Reihenfolge, die Priorität verinnerlicht: zunächst haben wir den Gottesdienst mitgefeiert, und dann erst ging es ins Wirtshaus. Das hat sich mir fürs ganze Leben eingeprägt. Nur in das Gasthaus, nur zur Freizeit wäre entschieden zu wenig!
Der Religionskritiker Ludwig Feuerbach sagte im 19. Jahrhundert: „Der Mensch ist, was er isst.“ Er hat mit dieser Aussage eigentlich behaupten wollen, dass der Mensch ein materielles Wesen und deshalb nicht mehr ist als das, was er an Nahrung in sich aufnimmt.
Da aber – nach unserer Überzeugung als Christen – der Mensch mehr ist als seine irdische Existenz – wie wir am vergangenen Donnerstag, am Fest Mariä Himmelfahrt, bedacht haben – und auch Essen und Trinken mehr sind als Nahrungsaufnahme, nämlich ebenso Zuwendung und Kommunikation, steckt also in der Aussage Feuerbachs eine tiefere Wahrheit, als ihm selbst bewusst war.
Ich möchte es an zwei Redewendungen aufzeigen:
- Wenn Liebende einander ganz nahe sind oder wenn Eltern ihre tiefe Zuneigung zum Kind andeuten wollen, sagen sie manchmal: „Ich hab‘ dich zum Fressen gern.“
- Oder wenn jemand einen schwierigen Zusammenhang verstanden, verinnerlicht hat, dann sagt er salopp: „Ich hab’s gefressen.“
„Der Mensch ist, was er isst“, d.h., was der Mensch in sich aufnimmt, das macht ihn aus. Mit wem er umgeht, was er liest, hört, sich anschaut, – das alles prägt ihn.
Und von daher stellt sich die entscheidende Frage: Was lasse ich an mich heran? Gebe ich mich damit zufrieden, was mir mit dicken Lettern in den Schlagzeilen vor Augen gestellt wird, was mir die Massenmedien Fernseher, Internet oder „social media“ teilweise an bedenklicher „geistiger Nahrung“, was mir die Freizeitindustrie an Abwechslung servieren?
In jedem Menschen, davon bin ich zutiefst überzeugt, steckt eine unendliche Sehnsucht, steckt der Hunger nach „mehr“, nach tieferer Erkenntnis. Weil vielen das aber nicht bewusst ist, suchen sie – letztlich vergeblich – ihr Glück in materiellen Dingen und sind im Grunde nie zufrieden.
Die Suche eines jeden Menschen nach Einsicht und Erkenntnis, die ihn antreibt, hatte Jesus im Blick, als er – wie wir heute im Evangelium gehört haben – sagte: „Wer mein Fleisch isst und mein Blut trinkt, hat das ewige Leben.“ Essen und Trinken stehen hier für eine ganz intensive und enge Gemeinschaft. Es geht darum, die Frohe Botschaft Jesu, sein Wesen, seine Person in sich aufzunehmen und sich dadurch prägen zu lassen. Somit wird Leben möglich und gut.
„Der Mensch ist, was er isst“, wer in der Eucharistie das Brot des Lebens, das heilige Brot, Jesus in sich aufnimmt und wirklich verinnerlicht, der wird ein neuer Mensch.
Das geschieht aber nicht automatisch und mit einem Schlag. Deshalb kommen wir Christen immer wieder zur heiligen Messe zusammen, um uns einzulassen auf SEIN Wort und auf die Communio – die Gemeinschaft – mit IHM. Stück für Stück wird uns die Lebensbotschaft Jesu in Wort und Sakrament zu neuen Menschen machen.
Die sonntägliche Eucharistiefeier ist also mehr als ein frommes Brauchtum, sie ist ein wichtiges Merkmal der Communio, der Lebensgemeinschaft mit Jesus, sie ist Kraftquelle und Ausgangspunkt für die neue Woche und sie ist Bestärkung auf dem Weg hin zum ewigen Leben.
„Der Sonntag ist nicht nur ein arbeitsfreier Tag, sondern auch sonst anders als die übrigen Tage. Ohne seine Eigenart verliert er seine Existenzberechtigung, geht er im Strom der Zeit ... unter. Wenn alles flexibilisiert wird, löst sich vieles auf. Familien können sich dann nur noch im Vorbeigehen treffen“, habe ich kürzlich gelesen.
Das Wort „Sabbat“ bedeutet in seinem biblischen Kontext „aufhören“, „Ruhe geben“, „ausruhen“. Oder anders ausgedrückt: Dinge tun, die dem Menschen zum Menschsein verhelfen.
Unsere Verfassung spricht in diesem Sinn vom Sonntag als Tag der „seelischen Erhebung“. Die Väter und Mütter des Grundgesetzes der Bundesrepublik beziehen sich damit auf die menschliche Kulturgeschichte. Aus ihr ist die Erfahrung gewachsen, dass der Mensch Pausen braucht, Zeiten, um zu sich selbst zu kommen und auch mit anderen zusammensein zu können. Der Sonntag ist weit mehr als staatlich organisierte Freizeit. Den Sonntag zu untergraben, ist ein Stück „Enthumanisierung“.
Leider werden bei uns seit Jahren Werk- und Sonntage einander immer ähnlicher: Pausenlos, ruhelos ziehen sie dahin – rund um die Uhr Betriebsamkeit, Hektik, Programm auf allen Kanälen. „Wo es keinen Sonntag mehr gibt, gibt es nur noch Werktage!“
Der Sonntag ist eigentlich der erste Tag der Woche, wir feiern ihn als das wöchentliche Osterfest, wir feiern den neuen Anfang, den Gott uns schenkt. Doch unsere Kalender kennzeichnen ihn längst als den letzten Tag der Woche, und entsprechend wünschen wir uns – zumeist sehr gedankenlos – nicht „einen gesegneten Sonntag“, sondern „ein schönes Wochenende“.
Als Christen feiern wir den Sonntag als Tag der Auferstehung. Dies bedeutet aber auch, dass die Frage des Sonntagsschutzes zunächst eine Anfrage an uns selbst ist: Geht von der Art und Weise, wie wir Christen den Sonntag gestalten, noch eine Strahlkraft aus, die in der Gesellschaft auffällt und sich wohltuend unterscheidet von den inzwischen üblichen Gepflogenheiten?
Gibt es in unserer Lebenspraxis noch den Zusammenhang von Kirche und Gasthaus, von Gottesdienst und freier Zeit, die wir genießen und sinnvoll gestalten?
Diese Frage gilt auch im Blick auf unsere Gottesdienste, nämlich ob und wie wir sie feiern? Wird die Verheißung der Auferstehung spürbar? Gehen wir mit gestärkter, frischer Zuversicht vom Sonntagsgottesdienst aus unseren Weg weiter, oder erfüllen wir einfach die uns anerzogene und gewohnte Pflicht und stehlen uns schon während der Kommunion davon?
Diese Fragen sind wesentlich. Denn die beste Wirkung für den Schutz des Sonntags wird dann erzielt, wenn für die übrige Gesellschaft sichtbar und erfahrbar wird, dass und warum es uns Christen wichtig ist, uns an diesem Tag zu besinnen, zur Ruhe zu kommen und ihn als einen Tag zu feiern, an dem die Erinnerung und Hoffnung auf Erlösung und Befreiung lebendig wird.
Um immer wieder inmitten all der Betriebsamkeit unserer Tage zur Ruhe zu kommen und den eigentlichen Sinn unseres Lebens nicht aus dem Blick zu verlieren, brauchen wir Ruhepausen und Erfahrungen, die über den Alltag hinausweisen.
Genau deshalb lädt Jesus uns, wie damals die Jünger, ein, uns im Mahl mit IHM zu stärken und aus der Kraft der Communio mit IHM zu leben. ER will sich uns einverleiben, damit wir mehr und mehr eins werden mit IHM. Das tun wir jetzt im Gottesdienst, und von da aus können wir dann voller Zuversicht weiter- und aufeinander zugehen und das Leben genießen.
Auf die eingangs erwähnte Aussage „Der Pfarrer versorgt die Seele, der Wirt den Leib“ reagierte ein Gesprächsteilnehmer spontan mit der Feststellung: „Und so soll‘s aa bleib’n!“
– Hoffentlich sagen wir das auch mit aller Konsequenz im Blick auf den Sonntag und das eucharistische Mahl mit IHM: „So soll‘s aa bleib’n!“ – Amen!
Domkapitular Clemens Bieber
www.caritas-wuerzburg.de
Text zur Besinnung
Was Jesus für uns tat
bis in den Tod,
das kann nicht sterben,
das liegt auf der Hand.
Das wiegt leicht wie Brot,
das wiegt schwer wie der Tod,
das ist Brot zum Leben,
das liegt auf der Hand.
Das ist sein Leib,
verschenkt, verteilt,
einer für alle,
das liegt auf der Hand.
Was Jesus für uns tat
bis in den Tod,
das kann nicht sterben,
das liegt auf der Hand.
(Lothar Zenetti)