Sieben Brücken führen über den Main in Würzburg. Darunter die Alte Mainbrücke - das Wahrzeichen der Stadt. Doch auch eine andere Brücke, nicht aus Stein, Stahl oder Beton, hat das Leben tausender Menschen in Unterfranken nachhaltig geprägt: die „Würzburger Brücke“ – Verein für gemeindenahe Psychiatrie. Nach der Gründung 1978 war der Verein der Wegbereiter für eine gemeindenahe, sozialpsychiatrische Versorgung in Unterfranken. Eines der ersten Projekte: Die Eröffnung des Sozialpsychiatrischen Dienstes (SpDi) in der Juliuspromenade im Jahr 1980.
Um zu verstehen, wie groß die Verdienste des Vereins und seiner Gründerinnen und Gründer sind, muss man einen Blick zurückwerfen in die Jahre vor der Gründung. „Ausgangspunkt für eine kraftvolle Reformbewegung in Deutschland war die so genannte Psychiatrie-Enquete des Bundestages aus dem Jahr 1975“, erinnert sich Klaus Miller, der die Entwicklungen von Anfang an miterlebt hat. „Dieser umfangreiche Expertenbericht zeigte die massiven Mängel der Versorgung von Menschen mit psychischer Erkrankung. Für die stationäre Behandlung waren die räumlich und personell völlig unzureichend ausgestatteten
zuständig. In der ambulanten Versorgung waren außer psychiatrischen Praxen keine Strukturen vorhanden.“ Es war endlich Zeit zu handeln, um psychisch kranken Menschen außerhalb von Psychiatrien ein selbstbestimmtes Leben zu ermöglichen.
In der folgenden bundesweiten Aufbruchsstimmung schuf die „Würzburger Brücke e.V.“ erste Angebote, um die dringend notwendigen Verbesserungen in Unterfranken zu erzielen. „Das waren alles Idealisten und echte Pioniere auf diesem schwierigen Gebiet“, erinnerte sich der ehemalige Würzburger Sozialreferent Dr. Peter Motsch bei der Auflösung des Vereins im Jahr 2003 in der Main-Post: „Dieser kleine Verein hat mutig die ersten großen Schritte auf dem Weg zur gemeindenahen Psychiatrie in Unterfranken unternommen.“
Heute gehören die Einrichtungen der Brücke zum Erthal-Sozialwerk. Die gemeinnützige Gesellschaft wurde 1995 von der Brücke, dem St. Josefs-Stift e.V. und dem Caritasverband für die Diözese Würzburg gemeinsam gegründet und vereint Angebote für Menschen mit psychischer Erkrankung in ganz Unterfranken. Arbeits- und Beschäftigungsangebote in Werkstätten und Tagesstätten gehören zum Erthal-Sozialwerk, ebenso der Wohnverbund mit stationären und ambulanten Wohnangeboten, das Rehabilitationszentrum Haus St. Michael und eben der SpDi in der Würzburger Juliuspromenade 3. Dessen Außenstellen in Gemünden und Marktheidenfeld sind für den Landkreis Main-Spessart zuständig.
„Seit 40 Jahren beraten und begleiten wir Menschen mit psychischer Erkrankung und deren Angehörige. Ein niederschwelliges, lebensnahes und kompetentes Angebot zu schaffen, war damals wie heute unser Ziel“, erzählt Klaus Miller. Seit 1981 ist der Diplom-Sozialpädagoge Teil des SpDi-Teams, 1997 übernahm er die Leitung. Über die Jahre haben er und seine Kolleginnen und Kollegen sehr viele Menschen in Einzel-, Familien- oder Gruppengesprächen beraten. Zusätzlich gibt es ein umfangreiches Gruppenangebot für Betroffen und Angehörige. Die Angebote sind kostenfrei. „Unsere zahlreichen Kontakt- und Freizeitgruppen wären ohne das Mitwirken engagierter Ehrenamtlicher nicht denkbar“, so Miller. Ehrenamtliche Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sind deshalb jederzeit willkommen.
„Aktuell beraten und begleiten wir jährlich rund 600 Klientinnen und Klienten. Dazu kommen einige hundert Angehörige, die durch die Erkrankung ihrer Familienmitglieder oft ebenfalls stark belastet sind“, berichtet der Leiter, der demnächst seinen letzten Arbeitstag haben wird. Nach 39 Jahren im SpDi geht er in den Ruhestand. „Es freut mich sehr, dass ich zusammen mit anderen Menschen dazu beitragen konnte, dass viele psychisch Erkrankte heute verlässlich und kompetent in ihrem Alltag unterstützt werden. Trotz fachlicher Fortschritte und gesellschaftlicher Weiterentwicklung müssen wir aber wohl akzeptieren, dass psychische Erkrankungen immer Teil unseres Menschseins bleiben werden.“
Die große Jubiläumsfeier im März musste wegen der Corona-Pandemie ausfallen. Sie wäre gleichzeitig auch der berufliche Abschied für Klaus Miller gewesen, der den SpDi in den vergangenen Jahren fachlich und menschlich maßgeblich geprägt hat. Aufgrund der aktuellen Ausgangsbeschränkungen kann der SpDi seine Beratungen vorwiegend nur telefonisch anbieten. „Mich von vielen Klientinnen und Klienten, die ich teilweise über Jahre und Jahrzehnte begleitet habe, nicht persönlich verabschieden zu können, finde ich sehr, sehr schade.“ Sobald es möglich ist, sollen Jubiläumsfeier und Abschied nachgeholt werden.
Ab Mitte April übernimmt nun Andreas Mayer die Leitung des Sozialpsychiatrischen Dienstes im Erthal-Sozialwerk. Der Sozialpädagoge wechselt dazu intern aus dem Haus St. Michael, wo er zuletzt die stellvertretende Leitung innehatte. Statt der Rehabilitation wird künftig also die Beratung sein neues Aufgabenfeld sein. „Ich freue mich sehr auf die neue Aufgabe im SpDi. Ich wünsche mir eine erfolgreiche Fortführung und Weiterentwicklung der hier bisher hervorragend geleisteten Unterstützung psychisch erkrankter Menschen“, so der neue Leiter Andreas Mayer.
Kontaktdaten Würzburg
Sozialpsychiatrischer Dienst
Juliuspromenade 3
97070 Würzburg
Tel. 0931 55445
Fax 0931 4651857
E-Mail: spdi.wuerzburg@erthal-sozialwerk.de
Über das Erthal-Sozialwerk
Das Erthal-Sozialwerk hat sich zur Aufgabe gemacht, Menschen mit psychischer Erkrankung oder Behinderung ein selbstbestimmtes und würdevolles Leben zu ermöglichen. Mit vielfältigen, differenzierten Angeboten in den Bereichen Wohnen, Arbeiten, Begegnung, Beratung und Rehabilitation trägt es seit 1996 dazu bei, die Lebensqualität der betroffenen Menschen zu verbessern und deren Teilhabe am gesellschaftlichen Leben zu fördern. Die Einrichtungen und Dienste des Erthal-Sozialwerks befinden sich in Stadt und Landkreis Würzburg, im Landkreis Main-Spessart und in der Stadt Aschaffenburg. Heute sind das St. Josefs-Stift Eisingen e.V. und der Caritasverband für die Diözese Würzburg e.V. zu gleichen Teilen Gesellschafter der gemeinnützigen GmbH Erthal-Sozialwerk.
Melissa Hager