Clemens Bieber, bis Ende vergangenen Jahres Pfarrer von Kleinostheim, wird am Freitag, dem 29. Januar, um 9.30 Uhr bei einem Gottesdienst in der Würzburger Don-Bosco-Kirche offiziell zum Nachfolger von Dietrich Seidel als Leiter der Hauptabteilung soziale caritative Dienste im Bischöflichen Ordinariat eingeführt. Gleichzeitig übernimmt der 52-Jährige das Amt des Vorsitzenden des Diözesan caritasverbandes. Seidel wird im Frühjahr das Amt von Domkapitular Dr. Heinz Geist übernehmen, der altersbedingt als Personalreferent der Diözese aus dem aktiven Dienst ausscheidet. Im Vorfeld der Einführung von Clemens Bieber stellte das Sonntagsblatt einige Fragen an den gebürtigen Glattbacher.
Was qualifiziert Sie für das Amt als Leiter der Hauptabteilung soziale und caritative Dienste und als Vorsitzender des Caritasverbandes für die Diözese Würzburg?
Zunächst meine Sorge um die Menschen in ihren unterschiedlichen Nöten. Deshalb bin ich Priester geworden, weil ich überzeugt bin, dass Gott mich gerufen hat, vor der Welt die Frohe Botschaft zu bezeugen und den Menschen zu dienen.
Dann mein Interesse an einer menschlichen und menschenwürdigen, an einer gerechten und solidarischen Welt, in der die Menschenfreundlichkeit und das Erbarmen Gottes deutlich werden. Deswegen engagiere ich mich über den Bereich der Pfarrei hinaus. Und schließlich meine Erfahrung, die ich in über fast 25 Jahren in der Gemeindearbeit gerade im sozialen und caritativen Bereich sammeln konnte, wo wir im Laufe der Jahre aus dem Geist Jesu immer neue Initiativen entfaltet und Einrichtungen geschaffen haben, um den Menschen zu helfen.
Welche Aufgabe sehen Sie momentan als die vordringlichste an, die Sie schon bald anpacken wollen?
Durch Kontakte und Begegnungen möchte ich helfen, dass das Bewusstsein für das caritative Tun als wesentlicher Teil der Pastoral vertieft wird. Caritas ereignet sich vor Ort in den Gemeinden, wo sich die Menschen umeinander annehmen, wo Initiativen ergriffen und Einrichtungen unterhalten werden, um dem Leben in seiner ganzen Bandbreite – von Kindern und jungen Familien bis hin zu hilfs- und pflegebedürftigen Menschen – zu dienen. So erleben sie glaubwürdig und existenziell die Liebe Gottes. Außerdem ist es mir ein Anliegen, hauptberufliches und ehrenamtliches Engagement miteinander zu verzahnen, damit sie sich zu größerer Wirkung ergänzen. Deshalb möchte ich den vielen hauptberuflichen und ehrenamtlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern helfen, sich als wichtige kirchliche Mitarbeiter zu verstehen. Darüber hinaus sehe ich meine Verantwortung auch darin, den Diözesancaritasverband und seine Gliederungen sowie die vielen Mitgliedseinrichtungen bzw. die Träger zukunftsfähig zu machen. Dabei wird es um Trägerstrukturen, um Leitungs- und Aufsichtsstruktur gehen und um die Wettbewerbsfähigkeit mit den vielen „Anbietern“ auf dem sozialen „Markt“. Dazu wird es wichtig sein, den Diözesancaritasverband auf unterfränkischer, aber auch auf bayerische Ebene sozial- und gesellschaftspolitisch zu positionieren. Ebenso möchte ich die örtlichen Caritasverbände unterstützen und beraten, in diesem Sinne auf örtlicher, kommunaler Ebene tätig sein zu können. Zusammenfassend geht es darum, dass die Caritas als Sprachrohr für benachteiligte Menschen wahrgenommen wird.
Welche Erfahrungen haben Sie als Pfarrer von Kleinostheim mit der Caritas vor Ort gemacht? Haben Sie sich eingebracht? Wenn ja, wie? Worauf haben Sie besonderen Wert gelegt?
Die Gemeinde von St. Laurentius macht ihrem Patron, dem römischen Diakon, alle Ehre durch ihr großes und wegweisendes soziales und caritatives Engagement. Das gewachsene Bewusstsein spiegelt sich in dem Leitbild, das sich die Gemeinde in einem groß angelegten Leitbildprozess gegeben hat, in den sich viele hundert Menschen eingebracht haben. Daraus hat sich das kurze prägnante Leitwort ergeben: „Einander zum Nächsten werden!“ Diese Haltung hat z.B. zu unserer großen Sozialeinrichtung, dem Haus St. Vinzenz von Paul, geführt oder zu unserem „Freiwilligenzentrum von Mensch zu Mensch“ und wird schon seit über einhundert Jahren von unserem örtlichen Caritasverein, dem St. Johanniszweigverein, gefördert. In all diese Initiativen war ich aktiv involviert. Wichtig war mir immer, das Bewusstsein in der Gemeinde für den sozialen Dienst zu verstärken.
Haben Sie bereits Vorstellungen, wie man Pfarrgemeinden und bestehende Caritas-Einrichtungen vor Ort noch intensiver miteinander vernetzen könnte?
Konkrete Vorstellungen kann ich zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht benennen, allenfalls die Grundhaltung und Einstellung zum diakonischen Dienst in der Gemeinde und den Blick dafür, dass caritatives Tun ein wesentlicher Teil der Pastoral ist. Klar ist, dass es nur eine Vernetzung geben kann, wenn die Handelnden vor Ort miteinander in engem Kontakt stehen und sich gegenseitig in ihren Bemühungen bestärken. Dabei scheint es mir wichtig, immer wieder an die Grundfunktionen kirchlichen Handelns zu erinnern: Diakonie – Verkündigung – Gottesdienst. Darum ist die Vernetzung von Sozialarbeit und Caritas mit der Pastoral und der Seelsorge entscheidend wichtig.
Wie wirkt sich die Wirtschaftskrise auf die Caritas aus? Wo besteht Handlungsbedarf?
Zum einen wird die Wirtschaftskrise noch mehr Menschen an den Rand und in – seelische und materielle – Not drängen. Es ist schlimm für Menschen, wenn sie mit ihrer Hände Arbeit und mit ihren Begabungen nicht mehr für sich selbst und die ihnen anvertrauten Angehörigen sorgen können. Zum anderen wird die Diskussion um den Aufwand für Menschen in Not dazu führen, dass sich Hilfsbedürftige bis hin zu Pflegebedürftigen als Last für die Gesellschaft vorkommen. Und schließlich wird die Wirtschaftskrise auch die finanziellen Möglichkeiten der Caritas, zu helfen, stark einschränken. Aber gerade jetzt ist die praktizierte Solidarität der Christen mit Menschen in Armut und Not wichtig. Caritas muss sich dabei besondern auch um Nöte annehmen, für die es keine staatliche Unterstützung gibt.
Sollte die Caritas die Diskussion mit der Politik intensivieren?
Das darf eigentlich keine Frage sein: Die Caritas sowie die Kirchen müssen die grundlegenden Fragen des Lebens in der Gesellschaft aufwerfen und die Diskussion darüber einfordern, und sie müssen von der Frohen Botschaft Jesu und vom christlichen Welt- und Menschenbild her Stellung nehmen. Christliche Kirche darf sich nicht in ein frommes Schneckenhaus zurückziehen, sondern muss sich vernehmbar zu Wort melden und dies durch ihren Einsatz für das Leben zu betonen.
Kirche und Caritas was läuft gut, was ist verbesserungswürdig?
Genau zu der Zeit, als ich 1992 meinen Dienst als Pfarrer von St. Laurentius in Kleinostheim begann, erschien ein Buch von Professor Rolf Zerfaß mit dem Titel: Lebensnerv Caritas. Darin verwies er auf die verhängnisvolle Abspaltung der Caritasarbeit von der Pastoral. Deshalb muss neben allen professionellen Angeboten und Diensten die Kirche insgesamt, damit meine ich die Gemeinden bis hin zu den Bischöfen, ihren Blick für die Not der Menschen schärfen und sich entschieden engagieren. Und die Caritas darf sich nicht als hauptberufliche Sozialorganisation verstehen, sondern als wesentlicher Teil der kirchlichen Sorge um den Menschen.
Was müsste Ihrer Einschätzung nach jeder Einzelne tun, um dem christlichen Grundauftrag der Nächstenliebe annähernd zu entsprechen?
Wenn ich mit den Kindern in den dritten Klassen die sogenannte Goldene Regel (Mt 7,12: „Alles, was ihr also von anderen erwartet, das tut auch ihnen!“) besprochen habe, war ich oft erstaunt, welche konkrete Überlegungen von den Kindern geäußert wurden. Es würde schon genügen, wenn sich jeder Mensch guten Willens immer wieder dem Anspruch Jesu aussetzen und sich selbst und seine Beziehung zu den Mitmenschen hinterfragen würde.
Das ehrenamtliche Engagement innerhalb der Caritas ist vielfältig und unverzichtbar. Wie beurteilen Sie die Ausweitung dieses Bereichs? Sehen Sie die Gefahr, wie manche befürchten, dass hauptamtliche Tätigkeit entwertet und verdrängt wird und dies mittel- und langfristig zum Arbeitsplatzabbau führt?
Nein, genau das ist die große Chance, die wir als Kirche haben, dass sich hauptberufliche und ehrenamtliche Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter ergänzen, damit die Sorge um die Menschen noch viel intensiver wahrgenommen werden kann.
Ich hege keineswegs die Befürchtung, dass durch Ehrenamtliche hauptberufliche Arbeitsplätze abgebaut werden. Ich hege eine ganz andere Befürchtung, nämlich dass wir in einigen Jahren viel zu wenig qualifizierte Fachkräfte im sozialen Bereich haben werden. Für soziale Berufe – sei es im Kindergarten, sei es in Pflegeeinrichtungen usw. – braucht es eine viel größere Wertschätzung; dabei ist die Entlohnung nur ein Aspekt. Aber solange der Staat, die Gesellschaft und viele Angehörige Einrichtungen bevorzugen, in denen Pflegesätze deshalb günstiger sind, weil die Pflegekräfte geringere Vergütungen erhalten, sind wir noch weit von einer glaubwürdigen Wertschätzung sozialer Berufe entfernt.
Wie sehen Sie das Verhältnis zwischen Ehrenamtlichen und Hauptamtlichen innerhalb der Caritas? Was ist gut, was ist verbesserungswürdig?
Sozialarbeit braucht ausgebildete, qualifizierte Kräfte. Im Blick auf Kontinuität und Qualität ist mit Ehrenamtlichen nicht alles zu leisten. Darüber hinaus brauchen wir aber für viele Dienste das Ehrenamt. So kann der hauptberufliche Einsatz sinnvoll ergänzt werden. Nur ein Beispiel aus unserem Haus St. Vinzenz von Paul. Die Betreuung von hilfsbedürftigen Menschen durch die hauptberuflichen Pflegekräfte wird z.B. durch Ehrenamtliche ergänzt, die einen Rollstuhlfahrer beim Einkaufen begleiten oder ihn am Sonntag zum Gemeindegottesdienst mitnehmen. Durch viele solche sinnvollen Ergänzungen wird der Mehrwert von Caritas und Kirche deutlich. Deshalb müssen unsere Einrichtungen Ressourcen bereitstellen, um ehrenamtliche Arbeit professionell zu begleiten bis hin zum Dank. Bei all dem muss der Kontakt zwischen Menschen, die sich einem gemeinsamen Anliegen verpflichtet wissen, ständig gepflegt und gefördert werden. Wo dies geschieht, erwächst eine immer größere Zufriedenheit, und durch die unterschiedlichen Möglichkeiten kann viel bewirkt werden.
Was werden sie als ehemaliger Pfarrer von Kleinostheim in Ihrem neuen Amt vermissen?
Den unmittelbaren Kontakt Tag für Tag zu der ganzen Bandbreite des Lebens, von Kindern bis hin zu betagten Menschen am Abend ihres Lebens. Die Feier des Glaubens mit der Gemeinde zu den vielen unterschiedlichen Anlässen im Laufe des Jahres und im Laufe des Lebens. Das engagierte Überlegen mit vielen beherzten Menschen in vielen Kreisen und Gruppen, wie wir unserem Auftrag als Gemeinde heute entsprechen können. Und schließlich die zahlreichen Feste und Feiern, die das Miteinander gefördert haben.
Wenn Sie als Caritas-Sammler unterwegs wären, was wäre ihnen dann ein wichtiges Anliegen?
Ich bräuchte wahrscheinlich sehr viel Zeit für die Kontakte und Gespräche mit den Leuten, denn wenn die Menschen unser ehrliches Interesse spüren, dann werden sie uns auch in unseren Bemühungen unterstützen. Dann wüssten sie aus eigenem Erleben, es geht uns um den Menschen.
Welche Argumente würden Sie als Caritas-Sammler für eine Unterstützung der Caritas ins Feld führen?
Caritas hat viele Augen und deshalb einen klaren Blick für die vielfältigen Nöte. Caritas hat viele Hände und packt deshalb engagiert in ganz unterschiedlichen Lebenssituationen an. Caritas hat eine große Erfahrung, aus der heraus sie gezielt handelt. Caritas ist auch dort zur Stelle, wo es nichts zu verdienen gibt. Caritas hilft, berät, begleitet, richtet auf. Caritas kümmert sich um Kinder, Jugendliche, Familien, Alleinstehende, Menschen ohne Chance im Ausbildungsmarkt, Arbeitslose, Überschuldete, Kranke, Behinderte, Pflegebedürftige, Angehörige und viele andere mehr. Caritas kann umso mehr tun, je größer die Unterstützung ist.
