Die Predigt im Wortlaut:
Es war ein bewegender Augenblick, den Ihnen sogar die Zeitung vor zehn Tagen schilderte unter der Überschrift „Der Papst und Jaromirs Rosenkranz“. Nachdem der Kammerchor des Würzburger Domes im Innenhof von Castel Gandolfo dem Papst die Oper über das Leben und den inneren Wandel des hl. Augustinus hin zu Gott zu Gehör gebracht hatte, standen die Solisten vor dem Papst, der sich sichtlich aus tiefstem Herzen bedankte; bei den Solisten war auch der zwölfjährige Jaromir Müller. Als ihm Papst Benedikt die Hand gab, zog Jaromir aus seiner Hosentasche den Rosenkranz, den er von seiner inzwischen verstorbenen Urgroßmutter zur Erstkommunion erhielt und bat den Papst, diesen zu segnen – was er sofort tat.
Ein zu Herzen gehendes, bewegendes Ereignis, das ich aus nächster Nähe beobachten konnte. Genau besehen empfinde ich aber nicht nur die Begegnung zwischen Jaromir und dem Papst bewegend, sondern auch die Tatsache, dass der Junge von seiner Urgroßmutter den Rosenkranz erhielt, der ihr selbst ein Leben lang Wegbegleiter und sicherlich auch Stütze und Halt war.
Ein anderes Ereignis, das mich in der vergangenen Woche berührt hat, war, als am Mittwochvormittag auf dem Petersplatz in Rom etwa sechzigtausend Menschen versammelt waren, darunter die große Kranken- Behindertenwallfahrt des Malteser-Hilfsdienstes aus Deutschland. Ein riesiges Heer von Rollstühlen und Gehhilfen stand in den Gängen bereit, an denen der Papst vorbeifuhr, um die Menschen zu grüßen und zu segnen. Sehr viele der Kranken und Behinderten hielten ihre Rosenkränze in Händen und ließen sie segnen.
Der Rosenkranz symbolisiert seit mehr als fünfhundert Jahren die wichtige Botschaft, dass Gott selbst in Jesus Mensch geworden ist und unseren Weg mitgeht, auch durch Leiden und Tod hindurch, und dass der Weg mit IHM letztlich zur Auferstehung und zur Fülle des Lebens führt.
Alles, was Gott durch Jesus für uns Menschen getan hat, betrachten wir im Rosenkranz und verinnerlichen dieses Geheimnis im sich wiederholenden Gebet.
Deswegen ist für mich das Geschenk der Urgroßmutter an Jaromir so wertvoll, weil sie ihm damit in die Hand und mit auf seinen Weg durchs Leben gegeben hat, was ihr selbst im Auf- und Ab ihres langen Lebens mit seiner sicherlich wechselvollen Geschichte Halt geschenkt hat, nämlich die Erfahrung von Gottes Hilfe.
Darauf vertrauen z.B. auch viele der leidgeplagten Menschen, denen ich auf dem Petersplatz begegnet bin, als ich vor der Papstaudienz durch die Reihen ging, um die Mitreisenden und ihre Malteser-Helferinnen und –Helfer aus unserer Diözese willkommen zu heißen.
Das Vertrauen in Gott ist allerdings in vielen Menschen unserer Zeit immer weniger verwurzelt, ja sogar fremd. Ihr Denken wird mehr und mehr davon geprägt, dass alles vom Menschen selbst machbar ist – sogar menschliches Leben von der Erzeugung über die Erhaltung der Gesundheit um jeden Preis bis hin zum selbstbestimmten Sterben.
Damit verbindet sich in meinen Augen eine verhängnisvolle Entwicklung, nämlich dass Menschen die Kriterien festlegen, was lebenswert ist und was nicht.
Ganz anders die Lebensbotschaft des Glaubens, die uns – wie wir heute in der Lesung aus dem Hebräerbrief gehört haben – sagt, dass Jesus selbst das Leiden und den Tod auf sich nahm für die Menschen, um als Bruder alle zur Herrlichkeit des Lebens zu führen.
Diese Überzeugung zu verinnerlichen, damit sie uns trägt, wird uns durch das betrachtende Gebet geschenkt. Das aber ist in unserer lauten, schnelllebigen und leider vielfach auch sehr oberflächlichen Welt mit ihrer starken Diesseitsorientierung kaum mehr möglich. Umso wichtiger ist es, dass Sie hier in Arnstein – nicht nur mit diesem Fest – daran festhalten.
Als Pfarrer habe ich bei meinen Krankenbesuchen den Menschen immer wieder kleine Rosenkränze geschenkt, die ich aus Altötting, aus Lourdes, aus dem Heiligen Land, aus Assisi, aber auch aus Rom mitgebracht hatte.
Das betrachtende Gebet der Geheimnisse, was und wie Gott durch Jesus für uns Menschen gewirkt hat und heute noch wirkt, ist – um dies klarzustellen – kein Beruhigungs- oder Vertröstungsmittel für die Seele, denn Vertrauen und die Gelassenheit, die sich von daher ergibt, kann man nicht machen, sondern wirkt sich aus.
Und ebenso wie Menschen mit all ihrer Last und ihrem Leid im betrachtenden Gebet Hoffnung und Zuversicht schöpfen, brauchen auch Helferinnen und Helfer eine Kraftquelle.
Gerne gebrauche ich das Bild vom „Handlanger“ für die Liebe, die Zuneigung, die Menschenfreundlichkeit und Fürsorge Gottes. Das kann ich aber nur sein, wenn ich in herzlicher Verbindung mit ihm stehe. Eine praktische Hilfe kann jeder geben, aber in den Menschen, um die ich mich sorge, das Vertrauen zu bestärken, dass Gott ihnen nahe ist, das kann ich nicht „machen“, das spürt derjenige, dem ich mich zuwende; er spürt, ob ich über den konkreten Dienst hinaus die Nähe Gottes – im wahrsten Sinne des Wortes – vermittele.
Immer wieder werde ich gefragt, was den sozialen Dienst der Kirche und ihrer Caritas unterscheide von den Leistungen anderer Wohlfahrtsverbände und kommerzieller Anbieter auf dem sogenannten sozialen Markt. Die Antwort ist einfach: Kinder qualifiziert betreuen, sich um Menschen mit erhöhtem Förderbedarf fachgerecht annehmen, kranke, gebrechliche, alte Menschen umsorgen und pflegen kann jede entsprechend geschulte Kraft.
Aber die Nähe Gottes vermitteln, das kann nur ein Mensch, der selber im Glauben verwurzelt ist, der aus dem Vertrauen in Gott lebt und im Geist der Frohen Botschaft wirkt. Deswegen geht es uns nicht um Gewinne und Profit, sondern um den bestmöglichen Dienst für den Menschen im Zusammenwirken von beruflichen und ebenso beherzten ehrenamtlichen Helferinnen und Helfern - mitgetragen von und vernetzt mit unseren christlichen Gemeinden.
Insofern ist das Evangelium dieses Sonntags sehr interessant. Es berichtet, wie Jesus mit seinen Jüngern über viele wichtige Fragen diskutierte und ihnen seine Lebenssicht nahezubringen versuchte. Genau in dieser Situation, als intensiv gesprochen, diskutiert und argumentiert wurde, kamen Kinder. Sie wurden von den Jüngern als störend empfunden, während doch gerade darüber nachgedacht wurde, wie man dem Willen Gottes am ehesten entspricht.
Das Zeichen, das Jesus in dem Augenblick setzt, ist eindeutig. Er stellt die Kinder und ihre Offenheit für Gott als Vorbild dar. In ihnen ist die Ahnung wach, dass Gottes gute Hände uns umgeben. Deshalb nimmt er die Kinder in seine Arme, und durch die herzliche Geborgenheit, die er ihnen – ohne viele Worte – schenkt, spüren sie die Nähe Gottes und sind gesegnet.
Aller Einsatz, alle Sorge um ein gelingendes, glückendes und zufriedenes Leben braucht einen – im wahrsten Sinne des Wortes – guten Grund. Deshalb ist es völlig falsch, einen Gegensatz konstruieren zu wollen in dem Sinn: Die einen beten halt nur und die anderen machen was für die Menschen. Es muss eigentlich heißen, beten und sich einsetzen, so dass die Kraft Gottes deutlich wird. Das gilt für diejenigen, die Hilfe brauchen wie auch für diejenigen, die sich für das Leben einsetzen.
Es gibt viele wertvolle Formen, intensiv zu beten und einzutauchen in Gottes Geist. Das Rosenkranzgebet ist eine besondere Form, weil es das Beten mit dem Betrachten all der Geheimnisse verbindet, die Gott durch Jesus für uns getan hat und tut.
Deshalb hat der zwölfjährige Jaromir von seiner Urgroßmutter wirklich ein wundervolles Geschenk erhalten, denn es ist gefüllt mit ihrer Lebenserfahrung, dass das Vertrauen in Gott Halt gibt, in frohen und schweren Zeiten trägt, Kraft schenkt und Zukunft mit und in Gott eröffnet.
Dieses von Herzen kommende Vertrauen ist wirklich bewegend – so wie der Augenblick, als Jaromir dem Papst seinen Rosenkranz hinhielt.
Evangelium
Mk 10,13-16
Da brachte man Kinder zu ihm,
damit er ihnen die Hände auflegte.
Die Jünger aber wiesen die Leute schroff ab.
Als Jesus das sah, wurde er unwillig und sagte zu ihnen:
Lasst die Kinder zu mir kommen; hindert sie nicht daran!
Denn Menschen wie ihnen gehört das Reich Gottes.
Amen, das sage ich euch:
Wer das Reich Gottes nicht so annimmt, wie ein Kind,
der wird nicht hineinkommen.
Und er nahm die Kinder in seine Arme;
dann legte er ihnen die Hände auf und segnete sie.