Die Predigt im Wortlaut:
„Viele Wege führen zu
Gott, einer geht über die Berge“, so schrieb der verstorbene Bischof von
Innsbruck Reinold Stecher, mit dem ich über 30 Jahre lang freundschaftlich
verbunden sein durfte.
„Viele Wege führen zu Gott, einer geht
über die Berge!“ – In der Tat können wir in der faszinierenden Schönheit
der Berge die Handschrift des Schöpfers erkennen und IHN in der Anmut der
bunten, vielfältigen Natur erahnen.
Reinhold Stecher hat in seinem Bestseller „Die Botschaft der Berge“ von der
Erfahrung in den Bergen her einleuchtende Vergleiche zu unserem Leben, zu
unserem Miteinander gezogen. Er deutet in seinem vielbeachteten Buch u.a. die
Notwendigkeit von Weggefährten und Kameradschaft, um die Herausforderungen der
Berge bestehen zu können.
Und was das bedeutet, haben wir vor einigen Wochen in der unvorstellbaren
Rettungsaktion aus der Riesending-Höhle bei Berchtesgaden erlebt.
Es braucht eigentlich immer, ganz besonders aber in schwierigen, gefährlichen Situationen die Sympathie verlässlicher Weggefährten. Genau dessen gilt es sich immer wieder zu vergewissern. Und wenn wir auf die Geschichte der frühen Kirche achten, dann fielen die Christen der ersten Generationen gerade dadurch auf, dass sie sich um die Menschen annahmen, die in der Gesellschaft nichts galten, die nichts wert waren. Und sie taten das ohne Absicht und ohne Vorbedingungen. Gerade deshalb aber fühlten sich die Menschen angenommen und spürten die Nähe und die Menschenfreundlichkeit unseres Gottes.
Deshalb komme ich nochmals zurück zu Bischof Stecher, der mir immer wieder erzählte, dass das Unterwegssein in den Bergen eine wertvolle Zeit für die existenzielle Auseinandersetzung mit Gott und mit sich selbst ist, um letztlich im Einklang zu leben mit allem, mit Gott, mit sich selbst, mit dem Nächsten, mit der Natur. Er sagte einmal: „Das Unterwegssein in den Bergen schenkt eine ungeahnte Tiefe und Weite in sich selbst und eine starke Nähe zu Gott.“.
Vor einiger Zeit habe von einem sehr ungewöhnlichen
Wallfahrtsort gelesen, von Zeitel auf 2433 Meter Höhe am Piz Curvér in
Graubünden in der Schweiz.
Zu Mariä Himmelfahrt begeben sich alljährlich Hunderte mit hochalpiner
Ausrüstung auf Nachtwallfahrt zur „Trösterin
der Betrübten“. Ich habe gelesen von einem Mann, Mitte 40, der in eine
Lebenskrise geraten war, sein Körper verweigerte ihm die Gefolgschaft – ein
akutes Burn-out-Syndrom. Seit seiner Genesung treibt ihn – wörtlich – „eine Sehnsucht nach Orientierung und Sinn,
nach Entschleunigung und heiterer Gelassenheit“.
Immer mehr – gerade junge Menschen – suchen nach neuen Wegen
für ihr Leben. Sie sind des Konsums, sie sind des weit verbreiteten teilweise sinnlosen
Spaßes und Funs überdrüssig, sie sind die inhaltsleere Dauerberieselung auf
allen Kanälen rund um die Uhr leid.
Dennoch wenden sich die Menschen – wie eine aktuelle Statistik der
Bischofskonferenz in Deutschland zeigt – von der Kirche ab. Der
Mitgliederschwund ist aber nicht allein dem Zeitgeist geschuldet, sondern auch
der Art, wie Kirche nicht nur im Großen erlebt wird!
Deshalb möchte ich auf eine Umfrage unter namhaften Theologen verweisen, die
sich vor einigen Wochen im Blick auf das Pfingstfest mit der Frage beschäftigte,
warum eine kleine Gruppe von Gläubigen innerhalb von drei Jahrhunderten zur
weltumspannenden Religion werden konnte – und das ohne Waffen und trotz
Verfolgung und Spott durch die Eliten.
Die übereinstimmende Erklärung der Theologen lautet: Die Christen blieben nicht
unter sich, sondern machten sich auf den Weg, knüpften enge soziale Netze.
Dabei haben sie alle gesellschaftlichen Schichten angesprochen, haben soziale
Schranken überwunden und vielen Menschen in ganz unterschiedlichen Situationen
einen Sinn für ihr Leben eröffnet. Daraus ergaben sich zahlreiche weitere
Auswirkungen der Frohen Botschaft Jesu wie Mildtätigkeit, Mitleid und die
Hoffnung auf Auferstehung. Die frühen Christen verbanden Glaubenspraxis und
soziales Handeln. Sie sorgten für Arme, Alte und Kranke, kümmerten sich um
würdige Bestattungen.
Damit komme ich zum heutigen Evangelium: Da wird von einer heidnischen Frau berichtet, die in der Sorge um ihre Tochter, die von einem Dämon gequält wird, zu Jesus kommt. Eine äußerst interessante Stelle im Matthäusevangelium, denn der Evangelist gibt damit seiner Gemeinde einen für alle Zeiten wichtigen Hinweis. Die Frau lässt nicht locker. Und letztlich lernt sogar der Jude Jesus von einer heidnischen Frau, mit neuen Augen auf seinen Auftrag zu schauen, nämlich allen Menschen das Heil Gottes zu bringen.
Genau besehen kommt es gar nicht zum direkten Kontakt zwischen Jesus und der kranken Tochter, aber die Mutter macht sich ihr Leid so sehr zu eigen, das sie zur Sympathisantin – wörtlich aus dem Griechischen übersetzt – zur Mitleidenden wird. Die Jünger erschrecken – nicht wegen des Leids der Tochter, sondern wegen der Beharrlichkeit der Mutter.
Es gibt viele neugierige Christen und es gibt Nichtchristen, die sich für den Glauben der Christen und das Leben der Christen ernsthaft interessieren. Wie oft aber werden sie enttäuscht, weil ihnen eine kluge Beratung und eine einfühlsame Begleitung fehlen, weil nicht wenige ausgedörrte christliche Gemeinden ihre geistliche Kompetenz eingebüßt haben. Wie oft erscheint solchen Menschen unser Glaubensweg zu umständlich oder zu unergiebig. Dass Glauben ein Prozess ist, ein lebenslanger Lernprozess, diese Einsicht ist vielfach verblasst. Gerade Papst Franziskus mahnt uns zur Geduld mit den Suchenden.
Dieser Prozess wurde an der Frau deutlich, die sich nicht abbringen lässt, und an Jesus, der sich auf die Auseinandersetzung mit der heidnischen Frau einlässt, und schließlich auch an der Gemeinde des Matthäus, die daraus gelernt hat, dass es letztlich Jesus ist, der zum Heil der ganzen Welt wird.
Christwerden ist eine herausfordernde Lerngeschichte, eine
Beziehungsgeschichte mit Gott und seinem Sohn, unserem Bruder, Jesus.
In der persönlichen Begegnung mit Jesus liegt unser Heil, das Heil der
Menschen. Es geht darum, die persönliche Begegnung mit Jesus zu suchen, auch
durch Schwierigkeiten und Hindernisse hindurch.
An diesem Tag heute wird deutlich: Die Angehörigen von Deborah, Peter, Harald und Stefan, die vor genau einem Jahr, ebenso wie die Angehörigen von Richard und Karl, die vor 20 Jahren abgestürzt sind, setzen ihre ganze Hoffnung für ihre Lieben auf Gott, dass er ihr brüchiges Leben vollendet. Das gilt ebenso für die Angehörigen von Stefan, der an den Folgen eines Autounfalls verstorben ist, wie auch für die weiteren Familien, deren Angehörige wir heute in unser Gebet nehmen.
Die Verstorbenen, ihr Schicksal bewegt uns, deswegen sind wir heute hier. Sie fordern unsere Solidarität ein zunächst mit ihnen, dass wir unsere Hoffnung für sie auf Gott setzen. Zugleich fordern unsere Solidarität untereinander ein, dass wir uns umeinander annehmen, uns stützen, trösten und ermutigen.
Der Glaube der Frau, der wir im Evangelium begegnet sind, war so groß, dass ihre Tochter geheilt wurde. Unsere Aufgabe ist es deshalb, selber auf der Suche nach Jesus zu bleiben und wo immer wir leben, dafür zu sorgen, dass die Menschen – Kinder, Jugendliche, Erwachsene, suchende, fragende Menschen – persönliche Begegnungen mit Jesus in seinem Wort, in den Sakramenten und in unserem Glaubenszeugnis – in Wort und Tat – entdecken können und so zu einem besseren, zu einem heilvollen Leben finden.
„Viele Wege führen zu Gott, einer geht über die Berge“, schrieb Bischof Stecher und er erinnerte an die Notwendigkeit von Weggefährten, durch die ich die Sympathie und die Hilfe Gottes erfahren darf. Dann erfüllt sich auch an uns das Wort Jesu: „Dein Glaube ist groß. Was du willst, soll geschehen!“
Text zur Besinnung nach der Kommunion
Wo bist du, Herr?
Da, wo Menschen sich helfen
da, wo Menschen miteinander teilen
da, wo Menschen füreinander da sind
da, wo Armut und Ungerechtigkeit überwunden werden
da, wo Menschen an dich glauben
da, wo Menschen dich erkennen
da bist du mitten unter ihnen
an ganz anderen Orten als gedacht und erwartet.