Sechs ukrainische Caritasdirektoren besuchten gestern auf Vermittlung von Dr. Monika Rosenbaum vom Missionsärztlichen Institut den Würzburger Diözesan-Caritasverband. Die Osteuropaexpertin Rosenbaum betreut seit einigen Jahren im Auftrag von caritas international Aids-Projekte in der Ukraine und kennt das Land von vielen Aufenthalten. Aids entwickelt sich dort zu einem immer größeren Problem. Mit über 400.000 HIV-Positiven und über 22.000 Aidstoten allein im vergangenen Jahr hat das Land am Schwarzen Meer die europaweit höchste Infektionsrate. Die Direktoren der noch jungen Caritasverbände interessierten sich daher bei ihrem Besuch vor allem für hiesige HIV/Aids-Arbeit.
Michael Koch, Leiter der unterfränkischen Caritas-Aids Beratungsstelle, stellte seine Arbeit vor. Ca. vierhundert Klienten betreut seine Stelle, etwa die Hälfte der Betroffen sind homosexuell. Der Anteil der Homosexuellen in der männlichen Bevölkerung, so Koch, werde in Deutschland auf ca. fünf Prozent geschätzt. Wie die Kirche zu ihnen stehe, wie sie mit Aids und Homosexualität umgehe und wie der Einsatz von Methadon bei der Behandlung von Drogenabhängigen bewertet werde, wollten die Ukrainer wissen. Denn der Umgang mit drogenabhängigen und homosexuellen Menschen ist dort anders als in Deutschland, ihre Sucht wird als Sünde, ihre sexuelle Neigung als heilbare Krankheit gesehen und landet schnell im Umfeld der harten Kriminalität.
Mit vielen dieser Themen beschäftigen sich kirchliche und caritative Einrichtungen in Ländern der ehemaligen Sowjetunion erst seit wenigen Jahren. Daher sind sie sehr interessiert am Gedankenaustausch und suchen nach Antworten. Mehrere der noch jüngeren Gäste sind die erste Generation ukrainischer Caritasdirektoren. Der Caritasverband in der Diözese Odessa existiert erst seit wenigen Monaten. Hilfe und Antworten der jungen Amtskirche in Fragen der Moral, Ethik und Sozialpolitik gibt es nur selten. „Wir haben ganz andere Rahmenbedingungen“, erklärte Pfarrer Volodymy Chorniy, Caritasdirektor aus Ivano-Frankirsk. „Da unsere Bischöfe noch keine Struktur wie Sie haben, sind wir oft ganz alleine auf uns gestellt. Daher sind wir oft unsere eigenen Bischöfe“, fügte er schmunzelnd hinzu.
Die Verhältnisse in Deutschland müssen den Gästen vorkommen wie im Paradies. Seien es die großen Ehrenamtsstrukturen, die viele Projekte überhaupt erst ermöglichen, die - aus ukrainischer Sicht - gut gefüllten Kassen der Kirchen und Sozialverbände, das System der Kirchensteuer oder steuerbegünstigter Spenden, das es dort nicht gibt, die feste Aufgabenverteilung zwischen öffentlicher Hand und freier Wohlfahrtspflege und die Unterstützung durch die Gesellschaft und Politik. Bei einem Rundgang durch Würzburg, so Pfarrer Igor Chorny, Caritasdirektor der Diözese Kiew, seien ihm die vielen schönen Häuser aufgefallen. „Hier müssen viele glücklich Menschen leben“, meinte er. „Durch den Austausch mit Ihnen“, so Caritasabteilungsleiterin Marlene Hauck, „können wir viel lernen über die Arbeit unter erschwerten Bedingungen“. „Wir können Ihnen sogar sagen, wie man mit gar keinen Geld arbeitet“, entgegnete Vosyl Kolodchyu, Caritasdirektor aus Odessa. Um auch die Verhältnisse in der Ukraine kennen zu lernen, luden die Gäste Würzburgs Caritasdirektor Martin Pfriem zu einem Gegenbesuch in ihre Heimat ein.