Die Predigt im Wortlaut:
„Wir schaffen das!“ Mit diesem inzwischen historischen Diktum von Angela Merkel möchte ich auf die ungeahnten Herausforderungen angesichts der weltweiten Pandemie durch Covid 19 antworten.
Viele Menschen in aller Welt sind in großer Sorge: Wie kann ich mich vor einer Infektion schützen? Wie kann ich die Menschen um mich herum vor Erkrankung bewahren? Wie kommen wir mit den erforderlichen Einschränkungen zurecht? Wie wirkt sich „social distancing“ auf Dauer auf das zwischenmenschliche Miteinander aus? Wie erhalten wir die notwendige Solidarität im überschaubaren Lebensraum, ebenso weltweit? Wie meistern wir als Gemeinwesen die ökonomischen Belastungen?
Im ersten Lockdown vor nunmehr bereits einem Jahr durften wir momentan den Eindruck gewinnen, dass der Blick der Menschen füreinander in unserem Land weiter wurde, dass in vielfältiger Weise Solidarität praktiziert wurde bis hin zum Applaus für Pflegekräfte, Ärzte, Betreuerinnen und Betreuer in Einrichtungen für Kinder, Jugendliche, Menschen mit Behinderungen, Betagte und Gebrechliche. Applaus gab es auch für Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in Lebensmittelmärkten, im öffentlichen Nahverkehr, für Einsatzkräfte bei den Rettungsdiensten, des Katastrophenschutzes, der Feuerwehr, der Polizei. Von Balkonen und in Hinterhöfen wie auch auf öffentlichen Plätzen gab es musikalische Grüße und kleine Konzerte.
Die Freude daran und von daher die Zuversicht, dass das Miteinander in unserer Gesellschaft eine neue, bessere, menschlichere Qualität gewinnen würde, währte nicht lange. Nach wenigen Wochen schon wurden Zweifel laut und immer lauter, ob die Bedrohung durch Corona wirklich gegeben sei, ob sich dahinter nicht eine Verschwörung wirtschaftlicher Interessen bis hin zu weltpolitischen Machtansprüchen verberge. Demonstranten weigerten sich Abstände einzuhalten und Mund-, Nasenschutz zu tragen. Die Aggression gegen Mitarbeitende – ob in Lebensmittelmärkten oder in öffentlichen Verkehrsmitteln oder bei Rettungskräften – wurde immer stärker. Die Einsicht, dass viele Einrichtungen z.B. im kulturellen Bereich, bei denen Menschen einander sehr nahe sind, vorübergehend geschlossen werden müssen, ließ stark nach. Aktuelle Umfragen zeigen, dass mindestens die Hälfte der Bevölkerung in unserem Land die Einschränkungen als nicht mehr hinnehmbare Zumutung empfinden. Sowohl das bewusste Nicht-Beachten der Vorschriften wie auch das Denunziantentum greifen um sich, dazu der mediale Hype über das, was nicht funktioniert. Nicht zu vergessen der parteipolitische Klamauk, was immer auch unternommen wird.
Es ist also nicht einfach zu sagen: „Wir schaffen das!“ – Dennoch bleibe ich dabei: „Wir schaffen das!“ – oder sollte ich vorsichtiger sagen: „Wir können das schaffen, wenn …?“
Im Blick auf das „Wenn“ möchte ich auf die Jahreskampagne 2021 der Caritas unserer Kirche verweisen, deren Leitwort so formuliert ist: #DasMachenWirGemeinsam.
Dahinter steckt die Einsicht, dass die Lebensrealitäten in Deutschland grundverschieden sind, und die Spaltung der Gesellschaft zunimmt. Gerade im Zuge der Pandemie gewinnt die Frage neue Bedeutung: Wie steht es um den Zusammenhalt in unserer Gesellschaft?
„Wir schaffen das!“, davon bin ich überzeugt, kann gelingen, wenn ich selbst getragen bin von einem unerschütterlichen Vertrauen in Gott, weil mich die Zuversicht bewegt, dass wir mit IHM und seiner Botschaft im Herzen einen guten Weg finden und gestalten werden. Von daher bin ich bereit zur Solidarität untereinander.
Die Entwicklung der Pandemie bringt immer neue, ungeahnte Herausforderungen mit sich. Ob das die Mutationen des Virus sind oder die Bemühungen um eine hilfreiche Begleitung der betroffenen Menschen oder die gerechte Verteilung des Impfstoffs oder die zunehmend größeren ökonomischen Belastungen. In all diesen Situationen braucht es ein unerschütterliches Vertrauen, das uns bei unserem Handeln trägt.
Der alttestamentliche Bericht bei unseren Gottesdiensten an diesem Sonntag bringt es auf den Punkt: Das Festhalten an Gott – auch in einer extrem schwierigen Situation – bringt Segen. An Abraham wird deutlich: Die Bereitschaft, sogar seinen Sohn Isaak zu opfern, bedeutet, er übergibt sich und seine Zukunft der Hand und der Allmacht Gottes. Bis zum Äußersten vertraut er auf Gott.
Manchmal kommt es uns über die Lippen, wenn wir seufzen: „Um Gottes Willen!“ – Das kann sowohl der Ausruf des Entsetzens sein, aber auch des absoluten Vertrauens: Ich verlasse mich ganz und gar auf Gott, und deshalb handele ich so!
Meine eigene Erfahrung lehrt es mich: Leben ohne Vertrauen ist nicht möglich. Menschen, die nur in sich gefangen sind, niemandem vertrauen, die vor allem auf materielle Sicherheit bedacht sind, kommen letztlich nicht weiter. Dagegen macht Abraham deutlich, wenn ich Gott vertraue, gewinne ich Leben immer neu.
Deshalb erachte ich die derzeit sehr schwierige Phase für den Einzelnen wie auch für die Menschen insgesamt als eine Herausforderung auf IHN zu hören und IHM zu folgen. Von daher wird dann auch unsere Solidarität, unser Sinn für das Miteinander belebt. Der Blick zurück in die Geschichte zeigt, dass es – gerade in unserem Land – immer wieder Menschen waren, die in Zeiten des Umbruchs, des Neuanfangs getragen vom Vertrauen auf Gott Verantwortung übernommen und angepackt haben: Z.B. ist im 19. Jahrhundert in den gewaltigen wirtschaftlichen Veränderungen mit all ihren sozialen Folgen in der Kirche eine Bewegung mit vielen sozialen Initiativen und caritativen Ordensgemeinschaften entstanden. Dann waren es viele überzeugte Christen, die beim Aufbau der Gesellschaft und des Landes nach dem verheerenden Zweiten Weltkrieg angepackt und Verantwortung übernommen haben. Die Anforderungen für ein soziales, gerechtes, menschenwürdiges Miteinander haben unsere Vorfahren aus dem Geist der Lebensbotschaft Gottes gewonnen.
Die derzeitige Pandemie würde in meinen Augen bleibenden Schaden hinterlassen, wenn wir jetzt nur darauf bedacht sind, dass nachher alles wieder so ist wie zuvor. Dann hätten wir fürwahr nichts gelernt und gewonnen.
Ich bleibe dabei: „Wir schaffen das!“ Darin gilt es aber uns einzuüben. Das beginnt mit der Solidarität in der Familie über die Generationen hinweg. Das Einüben ist ein wichtiger Aspekt in der Erziehung der Kinder, in ihrer Anleitung zum Leben. Das berührt das Zusammenleben in der Nachbarschaft, in einer Gemeinde bis hin zum Blick über den eigenen Kirchturm hinaus auf das ganze Land und das Zusammenleben über Kontinente hinweg in der EINEN Welt.
Es muss jetzt um weit mehr gehen als nur um staatlichen Protektionismus, indem allein mit möglichst vielen Milliarden an Steuergeldern die Situation gerettet werden soll. „Wir schaffen das“ letztlich nur durch ein gestärktes und größeres Miteinander.
Im Evangelium des zweiten Fastensonntags wird uns das Ereignis auf dem Berg Tabor berichtet, das auch bekannt ist als „Verklärung Christi“ oder einfacher gesagt und gedeutet: Petrus, Jakobus und Johannes, die mit Jesus auf den Berg gestiegen waren, wird klar, worauf es mit Jesus hinausläuft. Selbst durch den Tod hindurch führt der Weg mit IHM zum Leben. Deshalb ist die Stimme vom Himmel wie eine Bestätigung des Vertrauens auf IHN: „Das ist mein geliebter Sohn … auf ihn sollt ihr hören!“ Gott selbst hat also geboten, auf Jesus und SEINE Lebensbotschaft zu hören – in allen Um- und Aufbrüchen unserer Zeit und bei allen Neuanfängen. Mit dem Vertrauen eines Abraham und im Blick auf Jesus sollen wir der Welt helfen, den Weg zu einem menschenwürdigen Leben und schließlich zum Leben in Fülle zu finden. Deswegen müssen wir Christen uns in den aktuellen Problemen unserer Zeit zu Wort melden und deutlich machen, dass es um weit mehr geht als um möglichst viele Milliarden, um fürs Erste die größte Not zu wenden.
Deshalb erinnere ich an die Jahreskampagne der Caritas unserer Kirche mit dem bemerkenswerten Leitwort: „#DasMachenWirGemeinsam“ – und zwar ohne Punkt und Komma dazwischen, also in einem Zug.
Für das sich Einüben in die Haltung der Solidarität gibt es im Alltag viele Möglichkeiten. Neben den zahlreichen Möglichkeiten im familiären wie im privaten Umfeld möchte ich einige Beispiele aus dem Bereich unserer Caritas erwähnen.
- In den kommenden Tagen findet die sogenannte Caritassammlung statt. Normalerweise besuchen in vielen Gemeinden engagierte Menschen die Häuser in ihrer Umgebung, fragen nach dem Wohlergehen und bitten um eine Spende, um anderen helfen zu können.
- Das Interesse am Mitmenschen, der Blick für ihn und die Bereitschaft zu helfen oder fachkundige Hilfe zu organisieren, ist ein gutes Beispiel für das beherzte Engagement in vielen Pfarrgemeinden.
- Die praktizierte und wirkungsvolle Solidarität fördert zugleich das Miteinander von beruflich und ehrenamtlich engagierten Frauen und Männern im sozialen Dienst.
- Neben dem persönlichen Einsatz – gerade jetzt in der schwierigen Pandemiezeit – sind auch von Herzen kommende Spenden wichtig, weil die Bedarfe an niederschwelligen Unterstützungsleistungen weiter zunehmen.
- Es ist ein weitverbreiteter Irrtum, dass alles, was die Caritas anbietet, vom Staat finanziert werde. Unsere Caritas ist auf Kirchensteuermittel und Spendengelder angewiesen, um vor allem niederschwellige Dienste anbieten zu können – wie z.B. Bahnhofsmissionen, Caritasläden, Wärmestuben, Allgemeine Sozialberatung, Armenfürsorge etc.
- Weil die Caritas nicht auf Herkunft und religiöse Zugehörigkeit schaut, sondern offen ist für alle, die sich hilfe- und ratsuchend an sie wenden, sind nicht nur katholische Christen eingeladen, die Caritas nach ihren Möglichkeiten zu unterstützen
Tag für Tag beten wir: „Vater unser ... dein Reich komme, dein Wille geschehe ...“ Diese Bitte ist getragen vom Vertrauen auf Gott und seine Hilfe. Um die Herausforderungen unserer Tage zu meistern und auf eine lebenswerte, menschenwürdige Zukunft zuzugehen, braucht es über den wirksamen medizinischen Impfstoff hinaus ein unerschütterliches Vertrauen auf IHN, und durch IHN ein starkes Miteinander. Dieser geistige Impfstoff verhindert auch zunehmenden Egoismus, Neid und Hartherzigkeit.
Ich bin überzeugt, das Reich Gottes wird immer dort erfahrbar, wo Menschen aufgerichtet werden, wo ihnen Hoffnung und Zuversicht geschenkt wird, oder wo Menschen in Sorge um ein gerechtes Miteinander gemeinsam anpacken und Verantwortung übernehmen, damit es allen gutgeht.
„Wir schaffen das!“ – mit Gottes Hilfe und in seinem Geist bei unserem Bemühen umeinander.
Domkapitular Clemens Bieber
www.caritas-wuerzburg.de
Text zur Besinnung
Menschen
die aus der Hoffnung leben
sehen weiter
Menschen
die aus der Liebe leben
sehen tiefer
Menschen
die aus dem Glauben leben
sehen alles
in einem anderen Licht
Lothar Zenetti