Die Predigt im Wortlaut:
Schlagzeilenträchtige Tage liegen hinter uns:
- Es geht um die von den Medien zum Teil stärker, zum Teil weniger intensiv in den Blick genommenen Vorgänge in den einzelnen Parteien bei der Suche nach ihrem jeweiligen Spitzenkandidaten für die kommende Bundestagswahl.
- Bei anderen geht es um die äußerst kontroversen Diskussionen über den Umgang mit der sich ausbreitenden Corona-Ansteckung. Die Positionen reichen von schnellem, umfassenden Lockdown bis hin zur Leugnung, dass es überhaupt eine Gefahr gibt.
- Auch die Kirche liefert Schlagzeilen u. a. mit der Debatte um die Segnung von homosexuellen Paaren, der Weihe von Frauen, aber auch durch die politischen Diskussionen um die Staatskirchenleistungen, die prognostizierten Kirchenmitgliedszahlen, sowie eine in der vergangenen Woche veröffentlichten Untersuchung, der zufolge nur 15 Prozent der Deutschen die Kirche als Bereicherung für ihr spirituelles Leben empfinden.
Die Liste der schlagzeilenträchtigen Themen der vergangenen Tage könnte man beliebig fortsetzen – aus dem Bereich der Weltpolitik, der Wirtschaft, ebenso wie des Sports.
Zunehmend mehr Menschen empfinden die sich häufenden Berichte bedrückend. Nachrichtensendungen sind vorwiegend mit negativen Meldungen gefüllt. Und wenn der Vorgang an sich nicht schon abschließend als besorgniserregend bezeichnet werden kann, so werden in den Medien häufig Schlagzeilen, Überschriften, Fragestellungen, Kommentare dazu negativ formuliert. Immer mehr Menschen äußern sich: „Ich kann’s nicht mehr hören!“
Ein simples Beispiel: Als zum Ende der Osterferien angekündigt wurde, dass die Schülerinnen und Schüler ab dem vergangenen Montag nur dann zum Unterricht kommen dürfen, wenn sie zuvor einen Test gemacht hatten, wurde landauf landab von Elternprotesten berichtet. Gestern las ich in einem Kommentar: „Der Aufschrei war groß … Nach einer Woche fällt die Bilanz gemischt aus. An einigen Stellen gab es Chaos, zumeist kamen selbst die Kleinsten gut klar …“
Weil die bekannte Augsburger Puppenkiste ein kindgerechtes Erklär-Video für den Selbsttest in der Schule gestaltet hatte, hagelte es im Internet massiv Kritik wie „Propagandavideo“ und „was der Psyche der Kinder angetan“ werde. In diesem Fall jedoch konnte der Shitstorm gedreht werden, weil die negativen Kommentare von den Fans der Puppenkiste mit einer Welle aus Likes und positiven Nachrichten überrannt wurden.
Die vielfältigen großen Probleme und Herausforderungen für die Welt unserer Tage werden leider zusätzlich belastet durch den Umgang mit den Meldungen dazu. Dabei ist der Umgangston in der Kirche nicht viel anders als in der Politik oder bei gesellschaftspolitischen Diskussionen. So habe ich dieser Tage auf einem Nachrichtenportal der Kirche einen Kommentar zu der Frage der Segnung homosexueller Paare gelesen mit der Überschrift: „Franziskus – Papst der Reförmchen.“ Der Kommentator bezweifelt, dass mit dem aktuellen Papst große Reformen möglich sind. Mit dem gleichen Thema befasst sich die aktuelle Ausgabe der Wochenzeitschrift „Christ in der Gegenwart“. Dort allerdings wird die Frage sehr sachlich analysiert und Möglichkeiten im Umgang damit bedacht. In einem weiteren Beitrag werden im Blick auf die Möglichkeit der Segnung gleichgeschlechtlicher Paare die Ja- wie auch die Nein-Stellungnahmen von Exegeten, Moraltheologen, Dogmatikern und Pastoraltheologen, ob eine Segnung möglich ist oder nicht, einander gegenübergestellt und helfen so den Lesern zur eigenen Meinungsbildung.
Ob wir die K-Fragen der einzelnen Parteien, die erforderlichen Entscheidungen zum Umgang mit der Pandemie, die weltpolitischen Spannungen oder Klärungen in der Kirche bedenken, stets werden dazu Polarisierungen gebildet, die eine gute und sinnvolle Lösung letztlich unmöglich machen.
Deswegen möchte ich unseren Blick auf das Evangelium des dritten Ostersonntags lenken. Dass der Osterglaube nicht selbstverständlich war, haben wir schon am vergangenen Sonntag an der Reaktion des – wie er genannt wird – „ungläubigen Thomas“ erfahren. Auch die versammelte Runde, von der uns heute berichtet wird, erschrak und hatte große Angst, weshalb Jesus sie fragte: „Was seid ihr so bestürzt? Warum lasst ihr in eurem Herzen Zweifel aufkommen?“
Die Verunsicherung, die es in allen Zeiten und ebenso heute gibt, hat ihren Grund sicher auch darin, dass die Evangelisten uns mit keinem Wort sagen, wie das völlig unerwartete Ereignis der Auferstehung Jesu geschehen ist. Mit all dem, was sie uns berichten, sind sie nur an einem interessiert, nämlich an der Tatsache, dass der Herr auferstand.
Jesus seinerseits machte aus dem Ereignis der Auferstehung keine Demonstration, wie es in einer schlagzeilenträchtigen Gesellschaft vielleicht erwartet und gewünscht wäre. Jesus zeigte sich weder in der breiten Öffentlichkeit in Siegerpose, noch demonstrierte er gegenüber seinen Gegnern, dass er doch der Stärkere ist. Was die Jünger verwirrte, war vielmehr die Unauffälligkeit, in der alles geschah.
Damit sind wir bei dem entscheidenden Punkt der Frohen Botschaft dieses Sonntags: Gott handelt unauffällig – im Gegensatz zu vielen – aber nur scheinbar – erfolgreichen Menschen. In der Gestalt eines Kindes kam er in unsere Welt. Er lebte das Leben einfacher Leute und starb schließlich den Tod eines Verbrechers. Ohne Lärm kehrte er aus dem Tod ins Leben zurück. Weil der Herr der unauffällig handelnde Gott ist, deshalb ist er auch der Gott der unerwarteten Überraschungen. Daher bedeutet österlicher Glaube: sich von Gott überraschen lassen.
Gott produziert keine Schlagzeilen in der Art, wie das vor kurzem im Fernsehinterview einer in der Frauenfrage engagierten Sprecherin zu hören war: „Wir müssen laut sein!“
Müssen wir wirklich „laut“ sein? Kommt es nicht entscheidend darauf an, dass wir das Leben der Menschen mit ihnen teilen? Jesus selbst spürt, wie das heutige Evangelium berichtet, dass die Jünger immer noch verwundert waren. Deshalb gesellt sich Jesus zu ihnen, isst mit ihnen und erinnert sie an seine Worte.
Der Prager Theologe und Soziologe Tomáš Halík, der 1978 heimlich zum Priester geweiht wurde und in der Untergrundkirche in der damaligen Tschechoslowakei wirkte, ist überzeugt: „Der Menschen inspirierende Gott, der in der Welt in Liebe, Hoffnung und Glaube gegenwärtig ist – ja, dieser Gott ist lebendig. Für viele Leute ist er vielleicht anonym, aber doch: Er ist da!“ Wörtlich sagt Halik: „Unser Gott ist ein Gott der Überraschung!“
Im Blick auf die aktuelle Situation ermutigt er, als Kirche nach neuen Wegen zu suchen, um Zeugnis für den Auferstandenen zu geben: „Jetzt in der Krise werden viele Menschen mit sehr wichtigen Fragen konfrontiert; mit Leiden, mit Schmerz, mit Tod. Und das weckt metaphysische, spirituelle, geistliche Fragen. Und wir sollen nicht oberflächlich mit alten Phrasen darauf antworten. Sondern wir sollen diese Leute begleiten, uns einfühlen und zusammen mit ihnen die persönlichen Antworten suchen. Wenn die Kirche das anbieten kann, dann habe ich keine Angst, dass die Kirche leer bleibt.“
Es kommt also darauf an, dass wir als Kirche „im Dialog stehen und versuchen, auf die wirklichen, echten Fragen der Menschen überzeugende Antworten zu geben. Es muss eine Sprache aus dem Herzen zu den Herzen der Menschen sein.“
Mit schlagzeilenträchtigem Vorgehen wird die Welt nicht lebenswerter und hoffnungserfüllter und deshalb nicht menschlicher und friedvoller. Es braucht eine klare Haltung, die über alle – von wem auch immer und mit welchem Interesse auch immer – produzierten Schlagzeilen hinweg Zuversicht bestärkt und ermutigt, aus dem Glauben an den Auferstandenen heraus das Leben mit all seinen Herausforderungen bestmöglich zu gestalten.
- Schlagzeilen können sicher nicht der entscheidende Maßstab bei der Suche nach der geeigneten Spitzenkandidatin oder dem geeigneten Spitzenkandidaten für eine Wahl sein.
- Schlagzeilen sind gewiss nicht geeignet, die Einsicht für die jetzt notwendigen Maßnahmen zur Eindämmung der Pandemie zu vertiefen.
- Schlagzeilen sind sicher keine Grundlage, um im Geist der Frohen Botschaft Jesu wichtige Themen, die unser Leben zutiefst berühren, verbindlich zu klären.
In einer Welt, die sich mit Schlagzeilen begnügt, in der deshalb die vielfältige Not von Menschen dahinter verschwindet, ist es umso mehr Aufgabe der Christen in der Kirche, in der Art Gottes den Menschen zu helfen – vielleicht eher unauffällig, dafür umso wirkungsvoller. Deshalb möchte ich schließen mit einem Wort des Apostels Paulus aus dem 1. Korintherbrief (1 Kor 2,9): „Wir verkünden, wie es in der Schrift steht, was kein Auge gesehen und kein Ohr gehört hat, was in keines Menschen Herz gedrungen ist, was Gott denen bereitet hat, die ihn lieben.“
Es kommt nicht auf die Schlagzeilen an, sondern darauf, dass wir in all den Unsicherheiten, Ängsten und Nöten unserer Zeit Zeugnis geben für den Gott der Überraschungen, der dem Leben zum Durchbruch verhilft: Ihr seid Zeugen dafür!
Domkapitular Clemens Bieber
www.caritas-wuerzburg.de
Text zur Besinnung
Jesus Christus!
Mit Dir will ich aufstehen
gegen Not und Tod
gegen Folter und Leiden
gegen Armut und Elend
gegen Hass und Terror
gegen Zweifel und Resignation
gegen Unterdrückung und Zwang
Mit Dir will ich aufstehen
gegen alles, was das Leben hindert
Mit Dir will ich einstehen
für alles, was das Leben fördert
Sei Du mit mir
damit ich aufstehe mit Dir
Anton Rotzetter