Gut besucht ist an diesem Montagabend der große Hörsaal der Universität Würzburg auf dem Campus am Hubland. Die Sitzreihen sind lückenlos gefüllt, dicht gedrängt stehen Zuhörerinnen und Zuhörer in den Gängen. Mehr als 1.000 Frauen und Männer aus allen Regionen Unterfrankens sind der Einladung des Würzburger Bischofs Dr. Franz Jung zum Diözesanempfang 2020 gefolgt. Unter ihnen Verantwortliche aus Kirche und Gesellschaft, Politik und Justiz, Wissenschaft und Wirtschaft, Verbänden und Vereinen; beruflich und ehrenamtlich engagierte Frauen und Männer.
Anerkennung und Wertschätzung
Er selbst verstehe diese Zusammenkunft, die inzwischen gute Tradition geworden sei, als Zeichen der Anerkennung und Wertschätzung eines vertrauensvollen Miteinanders, erklärt Bischof Franz Jung in seiner Begrüßung und fügt hinzu: „Ihnen allen gilt heute Abend mein besonderer Dank für Ihren Einsatz in Kirche und Gesellschaft. Glaube muss sich in der Welt von heute bewähren. Durch Ihr Engagement leisten Sie einen wichtigen und unersetzlichen Beitrag, der Anerkennung und Wertschätzung verdient, die ich Ihnen heute Abend ausdrücklich aussprechen möchte.“
Der Umgang mit Helden in der Demokratie sei problematisch, der Begriff historisch belastet führt der Bischof in das Thema des Abends ein. „Werden Helden im postheroischen Zeitalter (Herfried Münkeler) überhaupt noch benötigt? Oder ist deren Zeit nicht endgültig abgelaufen?“ Bischof Franz Jung erinnert an das alte Hausbuch von Hans Hümmeler „Helden und Heilige“ und verweist damit einerseits auf Eigenschaften, die beide, Helden und Heilige, miteinander teilten und andererseits darauf, dass diese je nach Zeit und Raum, je nach gesellschaftlichem Kontext ganz unterschiedliche gewesen seien.
Dennoch: „Zu klären wäre, was man sinnvoll unter einem Helden zu verstehen hätte. Zu dieser Klärung gehörte dann auch die Verhältnisbestimmung vom Helden zur Demokratie und zur Rolle, die ihm hier vernünftigerweise eingeräumt oder zugebilligt werden könnte“, leitet der Bischof über zum Vertrag des renommierten Philosophieprofessors aus St. Gallen.
Wie Menschen über sich hinauswachsen
Professor Dr. Dieter Thomä dankt für die Einladung und nimmt sein Publikum sofort mit. „Tun Sie mir bitte die Freude, mit mir zu stolpern“, fordert er am Beginn seines ansprechenden und zugleich anspruchsvollen Weges auf. Der nimmt seinen Ausgangspunkt beim Gedenk- und Stolperstein für den seligen Georg Häfner am Würzburger Neumünster. Gut 60 Minuten und viele Gedanken weiter, wird er hier auch seinen Abschluss finden. Dabei ist das Fazit denkbar einfach. Die Demokratie brauche gegenwärtig - angesichts ihrer Widersacher und Feinde -dringend Menschen, die über sich hinauszuwachsen im Stande und Willens seien. Thomä: „Demokratie ist im Kampf geboren, und diesen Kampf darf man nicht als ein Geburtstrauma verstehen, von dem wir uns möglichst rasch erholen und gedanklich abkapseln sollten. Demokratie ist nicht, sondern wird, sie ist immer im Werden, sie lebt von der Auseinandersetzung, vom Streit, und bei diesem Streit kommt es immer wieder zu Situationen, in denen man sich behaupten muss, an seine Grenzen geht und manchmal auch darüber hinaus.“
Allerdings gelte es zu unterscheiden. Nicht jeder, der sich als Held geriere, müsse als ein solcher anerkannt werden. Die Demokratie habe nicht unbegründet ihre Probleme mit dem Heroismus. Aber: „Wenn die Demokratie sich nicht selbst zu Grabe tragen will, muss sie auch die Bewunderung für Großtaten hochhalten. Sie darf die Helden nicht mit dem Blutbad der Geschichte ausschütten.“
Dem demokratischen Helden gehe es nicht um sich selbst, sondern stets um eine große Sache. Diese große Sache sei heute die Freiheit. Er handele nicht auf Augenhöhe, sondern steche heraus. Das sei aber nicht seine Absicht, sondern Folge seines heroischen Tuns. Zugleich begebe er sich um der Sache Willen in Gefahr. „Demokratische Helden erkennt man daran, dass sie ihre eigene Sonderstellung nicht daraus ableiten, dass sie andere heruntermachen, kleinhalten und auf ihre Schwäche festnageln.“
Thomä nennt konkrete Beispiele für demokratisches Heldentum und verdeutlicht damit: Helden sind nicht unumstritten. Anders als in der Antike seien sie nicht gottgleich, sondern blieben Menschen. Eduard Snowden etwa erinnere die Gesellschaft daran, dass nicht der totale Überwachungsstaat, sondern die individuelle Freiheit ein Ideal sei; Silvia Kugelmann, Bürgermeisterin des bayerischen Kutzenhausen, lässt sich bei ihrem Einsatz für Asylsuchende nicht von Rechtsextremen einschüchtern. Wie groß die Gefahr für Leib und Leben ist, zeige das Beispiel von Regierungspräsident Walter Lübcke. „Der Bogen reicht vom Kampf gegen die Sklaverei über die Frauen- und Bürgerrechtsbewegung bis zur pakistanischen Friedensnobelpreisträgerin Malala Yousafzai“, so Thomä. Schließlich stelle sich auch die Frage nach Greta Thunberg. „Ihre Agenda – die Abwendung der Klimakatastrophe – ist jedenfalls als große Sache über jeden Zweifel erhaben, ihre Mobilisierungskraft gewaltig und ihre Unbeirrbarkeit eindrucksvoll. Ungewiss ist, wie sie mit Anfeindungen umgehen wird und ob ihr der Ruhm zu Kopfe steigt. Einstweilen hält sie sich gut, und so darf man ihr den Status einer Heldin in der Probezeit gönnen.“
Schließlich sei jeder selbst gefragt, ob und wie er bereit ist, sich couragiert einzubringen, wegzuschauen oder einzugreifen, wo Menschen niedergemacht würden, so Thomä. Dass gegenwärtig vor allem junge Menschen viel Aufmerksamkeit für ihr Engagement bekämen sei ein Armutszeugnis für die Erwachsenen. „Dabei steht auch ihnen das ganze Leben lang die Möglichkeit offen, neue Wege einzuschlagen und an Herausforderungen zu wachsen. Sie müssen nicht im Status quo verharren und an der Gegenwart kleben bleiben.“
Wer an Georg Häfner erinnere, müsse auch an einen anderen Würzburger Pfarrer erinnern, dessen Nachname ein wundervolles Programm beinhalte: Engelmar Unzeitig. „Menschen wie er“, so Thomä, „sind nie einfach nur Zeitgenossen, sie folgen auch nicht dem Zeitgeist. Sie sind unzeitgemäß oder eben unzeitig – auch deshalb, weil sie über ihre Zeit, zumal über ihre eigene Lebenszeit, hinausdenken. Dies eben zeichnet auch Helden aus: sie sind Unzeitige.“
Gespräche bei Wein und Brot
Mit langanhaltendem Applaus dankt das aufmerksame Publikum für einen interessanten und zum weiteren Nachdenken anregenden Vortrag. Würzburgs Bischof schließt sich dem an: „Ein gewinnbringender und bereichernder Vortrag.“ Er dankt der Katholischen Akademie Domschule, dem Diözesan-Caritasverband und allen, die zum Gelingen des Abends beigeträgen hätten. Bevor Bischof Franz Jung zu Austausch und Begegnung bei Wein und Brot einlädt singen nochmals „The Quints“ und ernten ebenfalls großen Applaus. Ihnen gilt Dank für die musikalische Rahmung des Abends.
In kleinen Gruppen stehen die Gäste noch lange zusammen, genießen die Atmosphäre des Abends und zeigen sich dankbar für den gelungenen Diözesanempfang 2020.
Literaturhinweis
Dieter Thomä: „Warum Demokratien Helden brauchen. Plädoyer für einen zeitgemäßen Heroismus“, Ullstein, Berlin 2019, 272 Seiten (Taschenbuch: 20 Euro).
Der Vortrag als Videomitschnitt ist hier abrufbar.
Einen Bericht der Pressestelle im Ordinariat Würzburg (POW) und viele weitere Fotos finden Sie hier.
Sebastian Schoknecht